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MieterEcho 420 / September 2021

Chance verpasst

Die Zweckentfremdung von Wohnraum hat die rot-rot-grüne Koalition nicht in den Griff bekommen – ein grundsätzlicher Kurswechsel ist nicht in Sicht

Von Philipp Möller

Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz (ZwVbG) feiert in diesem Jahr seinen achten Geburtstag. Im November 2013 beschloss die damalige schwarz-rote Regierung neue gesetzliche Regelungen, um gegen die umgreifende Zweckentfremdung des knapper werdenden Wohnraums vorzugehen.

Seitdem gab es zwei Novellierungen. Eine dritte Novelle wird momentan diskutiert. Zwar ist unklar, ob sie in der laufenden Legislatur noch beschlossen wird. Die bereits bekannten Details lassen jedoch darauf schließen, dass der Senat keine grundlegende Reform plant. Dabei verfehlt das Zweckentfremdungsverbot in vielen Fällen seine Wirkung. 

Sinn und Zweck des ZwVbG ist der Wohnraumschutz, der sich grob in vier Bereiche aufteilen lässt: Dazu zählt, die gewerbliche Nutzung von Wohnraum zu untersagen, Leerstände zu beseitigen, Abrisse an soziale Kriterien zu binden und die Ferienwohnungsvermietung zu regulieren. Bei Verstößen gegen das Verbotsgesetz drohen Bußgelder bis zu einer Höhe von 500.000 Euro. 15.703 Wohnungen wurden laut Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Die Linke) seit Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots bis zum Juni dieses Jahres wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt. Zuständig für die Umsetzung des Gesetzes sind die Bezirke, die dafür in ihren Wohnungsämtern eigene Fachabteilungen aufgebaut haben, und die nach Jahren personeller Engpässe mittlerweile in vielen Bezirken personell relativ gut aufgestellt sind. In einigen Bezirken verstärken die ursprünglich für den Mietendeckel eingestellten Mitarbeiter/innen nun die Fachbereiche für Zweckentfremdung.

Leerstände nicht konsequent verfolgt 

Im Gegensatz zum momentan diskutierten Entwurf wagte sich der rot-rot-grüne Senat im Mai 2018 an eine umfassende Gesetzesnovelle, inklusive einiger Verschärfungen. Seither dürfen Wohnungen nur noch maximal drei Monate statt wie zuvor sechs Monate leer stehen. Nach diesem Zeitraum brauchen Eigentümer/innen eine Genehmigung durch den Bezirk und müssen den Leerstand begründen, etwa durch anstehende Sanierungsmaßnahmen oder den geplanten Abriss. Kommen sie dieser Vorgabe nicht nach, kann der Bezirk die Wiedervermietung verlangen und bei anhaltender Weigerung Bußgelder verhängen. In der Praxis hat sich diese Regelung nur teilweise bewährt. Vielfach führen Eigentümer/innen die Verwaltung durch immer neue Tricks an der Nase herum und täuschen Sanierungsmaßnahmen vor. Mittlerweile werden Baufortschritte in einigen Bezirken über Auflagen kontrolliert, etwa durch die regelmäßige Vorlage von Dokumenten oder durch Vor-Ort-Begehungen. Trotz dieser Verschärfungen beobachten Mieter/innen in betroffenen Häusern oder Aktivist/innen, die leerstehende Wohnungen beim Bezirk melden, häufig nur wenige Fortschritte. Ohne bauamtlichen Sachverstand hinzuzuziehen, sind die eingereichten Dokumente oftmals für die Sachbearbeiter/innen in der Zweckentfremdung kaum zu durchdringen. Oftmals endet der Leerstand erst dann, wenn die leeren Wohnungen teuer veräußert wurden. Die Quantität der Leerstände in Relation zur Gesamtsituation auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt ist ohnehin nur gering. Laut dem Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) liegt er bei 0,7% des Wohnungsbestandes. Doch gerade angesichts der akuten Wohnungsnot ist jeder Leerstand ein Ärgernis, da er dem Wohnungsmarkt den dringend benötigten Wohnraum entzieht.

Eine weitere Verschärfung brachte die Gesetzesnovelle von 2018 in Form der Treuhänderregelung. Sie soll es Bezirken ermöglichen, länger leerstehende und dem Verfall ausgesetzte Häuser vorübergehend zu enteignen. So sollen die Gebäude auf Kosten der Eigentümer/innen instandgesetzt und anschließend wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden. Als tiefen Eingriff in die Eigentumsfreiheit verkaufte die Koalition die Enteignungsmöglichkeit, als großen Wurf. In der Praxis erwies sich die treuhänderische Verwaltung von Häusern bislang jedoch als zahnloser Tiger. Zu kompliziert und zu langwierig sind die Verwaltungsvorgänge. Nicht selten verweilen sie über Jahre hinweg in juristischen Hängepartien und Widerspruchsverfahren. Nur in den seltensten Fällen kommen selbst jahrzehntelang leerstehende Immobilien überhaupt an den Punkt, wo die Bezirke die treuhänderische Verwaltung in Betracht ziehen.

Symptomatisch dafür ist der Fall des Hauses Gardeschützenweg 3/Ecke Hindenburgdamm 73 in Steglitz-Zehlendorf. Die Immobilie im Besitz eines pensionierten Radiologen steht seit über 15 Jahren leer und ist derzeit unbewohnbar. Seit dem Frühsommer 2019 versucht Bezirksstadtrat Michael Karnetzki (SPD) die Immobilie unter treuhänderische Verwaltung zu bringen. Dabei scheitert er jedoch bislang an den eingelegten Rechtsmitteln des Eigentümers, den zuvor Zwangsgelder in Höhe von bis zu 20.000 Euro nicht zum Einlenken bewegten. 

Viele Bezirke scheuen zudem das finanzielle Risiko einer treuhänderischen Verwaltung. Bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens müssen der Bezirk oder die eingesetzte Treuhändergesellschaft für die Instandhaltungskosten in Vorleistung gehen. Im Gegenzug erhalten sie eine finanzielle Zusicherung durch die Senatsverwaltung für die Finanzen. Den einzigen Lichtblick bietet der Bezirk Pankow. Hier gelang es Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (B90/Die Grünen) ein seit den 90er Jahren leerstehendes Gebäude mit 15 Wohnungen im Komponistenviertel in Weißensee zu beschlagnahmen. Dabei spielte dem Bezirk in die Hände, dass es sich bei der Eigentümerin der Immobilie in der Smetanastraße 23/ Ecke Meyerbeerstraße 78 laut Neues Deutschland um eine Reichsbürgerin handelte, die sich einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Bezirk verweigerte. Die weitgehende Wirkungslosigkeit der Treuhänderregelung hat mittlerweile auch die rot-rot-grüne Koalition erkannt. Gerade die grüne Stadtentwicklungsexpertin Katrin Schmidberger drängt darauf, das Verfahren zu vereinfachen. Im aktuell diskutierten Entwurf für die dritte Gesetzesnovelle finden sich dazu einige Neuformulierungen. Ob die wirklich ausreichen, um das Instrument zu stärken, wird wohl erst die Praxis zeigen.    

Wacklige Regelung für Abrisse

Die verschärften Kriterien für die Genehmigung von Abrissen haben sich in der Praxis bewährt und sind dementsprechend scharfen Angriffen ausgesetzt. Mit der Novelle von 2018 führte die rot-rot-grüne Koalition in den Ausführungsvorschriften zum Gesetz eine Mietobergrenze von 7,92 Euro/qm für Ersatzwohnraum ein. Eigentümer/innen müssen als Ausgleich für einen Abriss von „schützenswerten“ Wohnungen Ersatzbauten schaffen oder eine Ausgleichszahlung an den Bezirk leisten. Diese Vorgabe mindert die Attraktivität von Abrissen als Verwertungsform deutlich, da Neubauten zu diesem Preis kaum gewinnträchtig sind. Manche Eigentümer/innen versuchen durch Gutachten nachzuweisen, dass ihr Wohnraum aufgrund von baulichen Mängeln nicht schützenswert ist, um den Ersatzwohnraum daher von der Mietobergrenze auszunehmen. 

Ein Beispiel dafür ist das laufende Verfahren um die 106 größtenteils leerstehenden Wohnungen in der Habersaathstraße 40–48 qin Berlin-Mitte, bei dem der Eigentümer die Vorgaben für Ersatzbauten nicht akzeptiert. Andere spekulieren darauf, dass die Mietobergrenze vor Gericht fällt. Momentan führt der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf einen Musterprozess zur Mietobergrenze vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin. In erster Instanz entscheid die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts gegen die konkrete Vorgabe von 7,92 Euro/qm. Trotz der Gefahr einer erneuten Niederlage vor Gericht plant der Senat keine Neufassung der Mietobergrenze, obwohl diese selbst von vielen progressiven Jurist/innen als nicht haltbar eingeschätzt wird.

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit genießt das Zweckentfremdungsverbot wohl aufgrund seiner regulierenden Funktion bei der Vermietung von Ferienwohnungen. Die ausufernde Zweckentfremdung von Wohnraum für  touristische Vermietungen hat in vielen europäischen Metropolen wie Barcelona, Paris oder Amsterdam mit der Etablierung von Plattformen wie Airbnb massiv zugenommen. In vorpandemischen Hochzeiten belief sich die Zahl der über Airbnb und andere Portale inserierten Ferienapartments in Berlin auf mehr als 20.000. Doch statt dieser Praxis durch eine restriktive Gesetzgebung entgegenzuwirken, liberalisierte die rot-rot-grüne Koalition die gesetzlichen Regelungen in der Novelle von 2018. Der Hauptwohnsitz darf seither zeitlich unbegrenzt als Ferienwohnung vermietet werden, solange Feriengäste nicht mehr als die Hälfte der Wohnfläche nutzen. Zweitwohnungen dürfen maximal 90 Tage im Jahr als Ferienappartments vermietet werden. Dafür bedarf es zwar einer behördlichen Registrierung, bei der die Wohnungen eine Nummer zugewiesen bekommen. Diese kann jedoch nicht verweigert werden. 

Mit dieser Regelung weichte der Senat das vorher gültige, grundsätzliche Verbot einer Ferienwohnungsnutzung von Wohnraum auf. Die Koalition begründete die Liberalisierung mit der „Anpassung an die Lebensrealität“ vieler Berliner/innen, die auf die Einnahmen aus der kurzzeitigen Vermietung ihrer Wohnung angewiesen seien. Viel eher lässt sich die Aufweichung jedoch mit der unter der rot-rot-grünen Koalition forcierten Förderung der Tourismusbranche erklären. Längst wird der Markt der Ferienwohnungsvermietung von professionellen Akteuren beherrscht. Laut der Ende 2020 veröffentlichen Studie „Plattform Failures“ wurden in acht untersuchten Vergleichsstädten, darunter Berlin, 72% der Inserate auf Airbnb von professionellen Gastgeber/innen angeboten, die ganze Wohnungen über das gesamte Jahr hinweg vermieten. 

In der dritten Novelle plant der Senat nun die Registriernummern auch auf gewerbliche Angebote auszuweiten, die bislang von der Registrierpflicht ausgenommen sind. Juristisch ist die Ausweitung höchst umstritten, da das Zweckentfremdungsverbot ausdrücklich dem Wohnraumschutz dient und durch eine Ausweitung auf Gewerbe angreifbar werden könnte. Die Regulierung der Ferienwohnungsvermietung hat sich durch die Registriernummern ohnehin kaum verbessert. Nach dreijähriger Praxis beklagen viele Bezirke eine mangelnde Kontrolle durch das Registriersystem. In der Studie stellen Murray Cox und Kenneth Haar fest, dass 80% der auf Airbnb gelisteten Wohnungen über keine Registriernummer verfügen. Die Behörden können dagegen jedoch kaum vorgehen, da Airbnb die genaue Lage der Wohnungen und Identität der Anbieter/innen verschleiert. 

Mühlen der Justiz mahlen langsam 

Seit Jahren klagen viele europäische Städte und Kommunen auf die Herausgabe der Daten. Die Plattform entzieht sich dieser Forderung jedoch bislang mit Verweis auf den restriktiven Datenschutz in Irland, wo Airbnb seinen Firmensitz hat. Zuletzt kassierte das Unternehmen jedoch zwei Niederlagen vor Gericht: Zum einen verpflichtete ein irischer Gerichtshof die Plattform letztinstanzlich zur Herausgabe der Vermieterdaten an die Steuerbehörden. Ob diese Daten auch für die Verfolgung von Zweckentfremdung genutzt werden dürfen, wird momentan geprüft. Zum anderen entschied die 6. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts im Juni, dass die Plattform Vermieterdaten bei einem Anfangsverdacht auf Zweckentfremdung an die Behörden übermitteln muss. Damit könnten sich die Vermieter/innen nicht länger den Behörden entziehen. Jedoch dürfte dieser Musterprozess durch alle Instanzen geführt werden, weshalb wohl noch einige Jahre bis zu einem endgültigen Urteil vergehen werden. Airbnb scheint sich seiner Sache jedoch nicht mehr allzu sicher zu sein. Das Unternehmen unterbreitete dem Senat erst kürzlich das Angebot, zukünftig selbständig eine Registrierung seiner Vermieter/innen vorzunehmen und deren Daten anschließend an die Behörden zu übermitteln. Dieser Versuch, eine freiwillige Selbstkontrolle gegenüber einer öffentlichen Regulation der Ferienvermietung ins Spiel zu bringen, stieß jedoch bislang nicht auf offene Ohren beim Senat. 

Trotz großspuriger Ankündigungen in den Wahlprogrammen von Linken und Grünen verpasste die Koalition jedenfalls die Chance, das Zweckentfremdungsverbotsgesetz in ein schlagkräftiges Instrument in Form eines Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes umzubauen und die Datenlage durch die Erstellung eines Wohnraum- und Mietenkatasters zu verbessern. Das Thema Zweckentfremdung wird die Stadt jedenfalls noch viele Jahre beschäftigen. 


MieterEcho 420 / September 2021