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MieterEcho 421 / Dezember 2021

Befriedung oder Demokratisierung?

Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Stadtentwicklung


Von Elisabeth Voß

Unter dem Slogan „Gemeinsam Stadt machen“ wurden auf Landesebene Leitlinien für die Beteiligung von Bürger/innen an der Stadtentwicklung erarbeitet. Neben Politik und Verwaltung wirkten daran auch ausgeloste Bürger/innen mit. Als Bürger/innen werden hier – anders als bei Volksentscheiden, die einen deutschen Pass voraussetzen – alle diejenigen verstanden, „die in Berlin wohnen oder an der räumlichen Entwicklung Berlins interessiert sind“ .  


Die Bezirke bekamen für 2021 ein Budget von je 250.000 Euro, um nun auch bezirkliche Beteiligungs-Leitlinien zu erarbeiten. In Mitte gibt es bereits ein Büro für Bürgerbeteiligung, das je zur Hälfte durch den Bezirk und durch den Träger L.I.S.T. (Lösungen im Stadtteil) betrieben wird. Beteiligungsverfahren werden beispielsweise durchgeführt für die Neugestaltung des Max-Josef-Metzger-Platzes, für ein Müllmuseum des Quartiersmanagements (QM) Soldiner-/Wollankstraße, das fürs Thema sensibilisieren soll, oder für ein Gesundheitsprojekt für Ältere des QM Moabit Ost. In Reinickendorf nimmt eine Anlaufstelle des Bezirks, gemeinsam mit der Mieterberatung Prenzlauer Berg GmbH, ihre Arbeit auf.

Machtasymmetrien verschieben?

In Tempelhof-Schöneberg werden die Leitlinien von einem partizipativen Gremium, der triAG, erarbeitet. Ihr gehören – anders als der Name vermuten lässt – vier Personengruppen an: Bezirksverordnete jeder Partei in der BVV, Vertreter/innen aus der Verwaltung, aus der organisierten Zivilgesellschaft sowie ausgeloste Bürger/innen. Grundlage sind die Leitlinien des Landes, die an die Bedürfnisse des Bezirks angepasst werden. Der Vorschlag der triAG ist nicht bindend, entschieden wird vom Bezirksamt.

Eine Chance könnte darin liegen, dass Vorhaben früher als bisher bekannt werden, sodass vielleicht die Bürger/innen noch Einfluss nehmen können, bevor mit vertraglichen Vereinbarungen Tatsachen geschaffen werden. Ob sich dadurch Machtasymmetrien wirksam verschieben lassen, hin zu einer echten Demokratisierung? Ein aktuelles Beispiel, wie jahrelanges Engagement gegen machtvolle Interessen nichts ausrichten konnte, ist die Genehmigung der Höherbebauung im Inneren des denkmalgeschützten Schöneberger Gasometers. Die Einwendungen aus der Bevölkerung, aber auch von Fachleuten, wurden im Beteiligungsverfahren beiseite geschoben, im ausschließlichen Interesse des Eigentümers, der mit prominenter Unterstützung letztlich am längeren Hebel saß (MieterEcho 419/ August 2021).

Erfolgserlebnisse benötigt

Die bezirkliche Anlaufstelle, die nun aufgebaut werden soll, soll auch die Aufgabe haben, die Selbstorganisation von Bürger/innen zu unterstützen – mit Beratung, Weiterbildung und der Bereitstellung von Räumen. Dies zielt eher auf ein vertrauensvolles Miteinander als auf Konfrontation. Solche Kooperation kann der Befriedung und Entschärfung von Konflikten dienen, wie es die private Bauwirtschaft schon länger praktiziert – Stichwort Mitmachfalle (MieterEcho 381/ Juni 2016). 

Ob darin auch Potenziale zur Stärkung von Nachbarschaften und öffentlicher Hand gegenüber finanzstarken privaten Vorhabenträgern liegen? Angesichts der aktuellen sozialen und ökologisch-klimatischen Herausforderungen wäre es über die Betrachtung von Einzelvorhaben hinaus notwendig, auch größere Quartiere für soziales Wohnen und Klimagerechtigkeit mit Beteiligung der Bürger/innen und ohne Profitabilitätszwänge zu entwickeln.

Zunächst wird es darauf ankommen, ob die Partizipationsangebote überhaupt wahrgenommen werden. Der öffentliche Online-Dialog auf berlin.de wurde im Sommer aufgrund geringer Beteiligung um einen Monat verlängert. Er war wohl einfach viel zu wenig bekannt. Wie kann sichergestellt werden, dass sich „alle“ angesprochen fühlen? Vielsprachigkeit und Bekanntmachungen auf vielen Kanälen könnten Schlüssel dafür sein. Gegen den allseitigen Zeitmangel hilft das allerdings nicht. Eins steht jedoch schon jetzt fest: Die Entwicklung einer Beteiligungskultur wird lange dauern und sie braucht Erfolgserlebnisse.   

 

Transparenzhinweis: Die Autorin hat als ausgeloste Bürgerin an der Entwicklung der bezirklichen Leitlinien in Tempelhof-Schöneberg mitgewirkt, die zum Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen war.

Landesleitlinien: www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/leitlinien-buergerbeteiligung/
Leitlinien Tempelhof-Schöneberg (mit Podcast): https://mein.berlin.de/projekte/leitlinien-burgerbeteiligung-tempelhof-schoneberg/


MieterEcho 421 / Dezember 2021