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MieterEcho 418 / Juni 2021

Zwischen Hightech und Holzbau

„Urban Tech Republic“ und Schumacher-Quartier sollen Leuchttürme der Stadtentwicklung werden

Von Rainer Balcerowiak

Die Tränen der letzten TXL-Nostalgiker dürften allmählich getrocknet sein, der Flughafen ist Geschichte. Jetzt geht es darum, die anspruchsvollen Pläne für die Nachnutzung des Areals umzusetzen. Dafür verantwortlich ist die Tegel Projekt GmbH, ein landeseigener Betrieb mit rund 60 Mitarbeiter/innen. Entstehen soll ein neues Stadtviertel auf einer Gesamtfläche von 500 Hektar, die Grundstücksvergabe erfolgt in Erbpacht, das Land Berlin bleibt Eigentümer. Im Mittelpunkt stehen ein Forschungs- und Industriepark, ein Universitätscampus und ein neues Wohnquartier.

In der „Urban Tech Republic“ sollen bis zu 1.000 große und kleinere Unternehmen mit rund 20.000 Beschäftigten forschen, entwickeln und produzieren. Schwerpunkte sind der effiziente Einsatz von Energie, nachhaltiges Bauen, umweltschonende Mobilität, Recycling, Wasseraufbereitung und der Einsatz neuer Materialien. Alles eng verzahnt mit der Beuth-Hochschule für Technik, die an ihrem alten Weddinger Standort aus allen Nähten platzt. Insgesamt sollen rund 5.000 Studierende den Campus Berlin TXL nutzen.

Auch beim Wohnungsbau soll geklotzt und nicht gekleckert werden. Im Schumacher-Quartier sollen 5.000 Wohnungen für 10.000 Menschen entstehen, überwiegend in Holzbauweise. Für die Realisierung wurde eine „Bauhütte 4.0“ geschaffen, in der die Senatsverwaltung zusammen mit Stadtplaner/innen, Architekt/innen, Werkstoffforscher/innen sowie Vertreter/innen der Bau- und Forstwirtschaft dieses weltweit einmalige Projekt eines großen Holzbauquartiers koordinieren sollen.

Die Hälfte der Wohnungen soll von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften gebaut werden, der Rest der Grundstücke soll an Baugenossenschaften, Baugruppen und Träger für studentische Wohnformen gehen. Der Anteil geförderter Wohnungen im unteren und mittleren Preisbereich soll laut Senatsverwaltung bei 40% liegen. Dazu kommen noch infrastrukturelle Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Sportanlagen, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitareale mit einem Quartiers- und einem Landschaftspark. Der Tiefbau soll 2022 beginnen, ab 2024 werden die ersten Wohnungen gebaut. Der Bildungscampus und die ersten Wohngebäude im Schumacher-Quartier könnten nach derzeitiger Planung 2027 fertig sein. Mitte der 2030er Jahre sollen alle Bauarbeiten beendet werden. Für die benachbarten Quartiere Cité Pasteur und TXL Nord sind weitere 4.000 Wohnungen geplant.

Verkehrsplanung hinkt hinterher

Grundsätzliche Kritik an dem Mammutprojekt, für das bereits 2013 der seitdem mehrmals modifizierte Masterplan vorgestellt wurde, ist kaum noch zu vernehmen. Die CDU fordert allerdings, in einem Teil des 200 Hektar umfassenden Landschaftsparks 2.000 Parzellen für Kleingärtner zu schaffen. Der Naturschutzbund NABU wiederum macht sich Sorgen um Biotope rund um das Flughafengelände. Aber größere Proteste sind – anders als bei anderen Stadtentwicklungsgebieten – weitgehend ausgeblieben und auch nicht mehr zu erwarten. 

Als Achillesferse des Projekts könnte sich allerdings die Verkehrsplanung erweisen. Die mögliche Verlängerung der U6 bis zur Urban Tech Republic ist nach einer ersten Machbarkeitsstudie vorerst auf Eis gelegt worden. Und die Pläne für eine Straßenbahnanbindung befinden sich in einem sehr frühen Stadium, bislang ist auch noch keine Entscheidung über die Trassenführung gefallen. Da derartige Verkehrsprojekte in Berlin eigentlich immer nur äußerst schleppend realisiert werden, ist nicht damit zu rechnen, dass dieses Problem rechtzeitig gelöst werden kann.

Ein weiteres Problem ist eher mittelbarer Natur, aber dennoch gravierend, besonders aus Mietersicht. Denn das neue, attraktive Stadtviertel und der Wegfall des Fluglärms verursachen einen erheblichen Aufwertungsdruck auf die angrenzenden Quartiere. „Man sieht schon jetzt deutliche Preissteigerungen in Richtung des Kurt-Schumacher-Platzes, im Bereich der früheren Einflugschneise“ so Wolf-Christian Strauss, vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in der österreichischen Zeitung Der Standard. Auch die Umgebung rund um den alten Flughafen Tempelhof sei mit dessen Ende deutlich aufgewertet worden.


MieterEcho 418 / Juni 2021