Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 409 /

Wer schädigt das Ansehen der Wohnungsgenossenschaften?

Kritiker/innen drohen strenge Strafen

Von Sigurd Schulze

An den unterschiedlichen Postitionen von Vorständen und Genossenschaftsmitgliedern zum Mietendeckel zeigt sich das begrenzte Mitspracherecht der Mitglieder. Doch nicht nur das. Öffentliche Kritik an ihren Vorständen beinhaltet für Mitglieder sogar die Gefahr, ihre Wohnung zu verlieren. Grundlage für diesen Missstand sind die geltenden Satzungen.

               
Wohnungsmangel und Mietpreistreiberei lasten seit Jahren auf der Berliner Bevölkerung. Zur Veränderung der krisenhaften Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt waren entschlossene Maßnahmen erforderlich, die die rot-rot-grüne Koalition im Berliner Senat mit dem Mietendeckel auch getroffen hat. Der Mietendeckel soll 1,5 Millionen Berliner Mieter/innen eine soziale Entlastung von insgesamt 2,2 Milliarden Euro bringen. Er hat scharfe politische Auseinandersetzungen ausgelöst. Die Mehrheit der Berliner Bevölkerung ist dafür, die private Immobilienwirtschaft dagegen. Scharfe Fronten stehen einander gegenüber. Den Gegnern des Mietendeckels haben sich auch die im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) organisierten Wohnungsgenossenschaften angeschlossen. Ihre Wortführer, Frank Schrecker, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft Berolina, und Andrej Eckhardt, Vorstand der Genossenschaft Grüne Mitte, haben den Mietendeckel sowohl in der Presse als auch im Abgeordnetenhaus scharf abgelehnt. Die Vorstände anderer Genossenschaften beziehen in ihren Mitgliederzeitschriften gegen den Mietendeckel Stellung. Die Erklärungen reichen vom Jammern über den Wegfall geplanter Einnahmen, über den drohenden Verfall der Häuser bis hin zu offenen Schauermärchen, die Genossenschaften würden bewusst ökonomisch ruiniert und dann verstaatlicht. Schrecker gab den „Verlust“ der Genossenschaften  im Juli in der Berliner Morgenpost mit 150 Millionen Euro an, im August im ZDF mit 300 Millionen und am 11. Dezember im Abgeordnetenhaus mit 180 Millionen.                                           

Meinung der Mitglieder nicht gefragt
In der Öffentlichkeit werden die Erklärungen der Vorstände als „die Genossenschaften“ wahrgenommen. Es sieht so aus, als wären die 600.000 Mitglieder der Genossenschaften gegen den Mietendeckel.
Doch die Mitglieder werden gar nicht gefragt. Es gibt in den Genossenschaften gar keinen Verfahrensweg, um die Meinung der Mitglieder überhaupt erkunden zu können. Die Vorstände leiten, wie das Genossenschaftsgesetz besagt, die Genossenschaft unter eigener Verantwortung. Da ist eine Mitwirkung oder gar eine Entscheidung der Genoss/innen gar nicht vorgesehen, auch nicht in solch existenziellen Fragen wie in der planmäßigen Erhöhung der Mieten. Die Mitglieder sind grundsätzlich an stabilen Mieten interessiert und nicht an Miet-
erhöhungen, die sie wie eine Fügung von oben treffen, denn da haben sie nicht mitzureden. Für zehntausende Mitglieder sind die Mieten infolge der Modernisierung ohnehin bereits bis auf das Doppelte gestiegen.


Beim Mietendeckel stehen sich in den Genossenschaften die Standpunkte konträr gegenüber. In öffentlichen Versammlungen der Koalitionsparteien haben sich Genossenschafter/innen für den Mietendeckel ausgesprochen und die Mietpreistreiberei angeprangert. Die Initiative „Genossenschaft von unten“ hat die Vorstände in einem offenen Brief dazu aufgerufen, ihren Widerstand gegen den Mietendeckel sofort einzustellen und dem Senat ihre konstruktive Mitarbeit bei der Lösung der Probleme anzubieten. Kein einziger hat geantwortet. Sie beharren auf ihrer Obstruktionspolitik, ganz entschieden unterstützt vom BBU.
Aber die Genossenschafter/innen, die von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, leben gefährlich. Sie könnten in Konflikt mit ihren Satzungen geraten. Ihre berechtigte Kritik an den Vorständen offenbart deren Fehler. Das wirft ein schlechtes Licht auf die betreffenden Genossenschaften und schadet unvermeidlich dem „Ansehen der Genossenschaften in der Öffentlichkeit“ – zumindest in den Augen jener Berliner/innen, die für den Mietendeckel sind. 


Da lauert das Verderben, denn in der Mustersatzung des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen heißt es: „Ein Mitglied kann (…) ausgeschlossen werden, wenn es der Genossenschaft gegenüber seine Pflichten aus der Satzung, aus dem sonstigen Genossenschaftsrecht, aus den allgemeinen Gesetzen sowie aus der Förderbeziehung (insbesondere aus dem Nutzungsvertrag über die Wohnung) schuldhaft oder für die Genossenschaft und ihre Mitglieder unzumutbar verletzt; als Pflichtverletzung in diesem Sinne gilt insbesondere, wenn es das Ansehen der Genossenschaft in der Öffentlichkeit schädigt oder zu schädigen versucht.“ Und wer nicht mehr Mitglied ist, kann in der Folge seine Wohnung verlieren, denn die steht im allgemeinen nur Mitgliedern zu.
Die Mustersatzung wird im allgemeinen von den Genossenschaften übernommen. Manche Genossenschaften setzen noch eins drauf und schreiben in die Satzung, dass auch eine außerordentliche fristlose Kündigung der Wohnung zum Ausschluss führt. Das ist nicht nur ein Mittel zur Bestrafung von Leuten, die öffentlich ihre Meinung sagen, sondern zur Einschüchterung aller Mitglieder.


Nun geht es beim Mietendeckel um ein öffentliches Problem, bei dem Bürger/innen und Amtsträger/innen Position beziehen und sich auch irren können – so auch die Vorstände. Wenn sie falsch entscheiden, wie bei der Beteiligung an der verantwortungslosen Kampagne gegen den Mietendeckel, schadet das dem
Ansehen der Genossenschaft. Aber man kann Ursache und Wirkung vertauschen. Und wer entscheidet über einen Ausschluss? Der Vorstand. Er hat zunächst das Meinungsmonopol.
Ich selbst habe den Vorstand meiner Genossenschaft gefragt, wie sich die 2,7 Millionen Euro errechnen, die er den Mitgliedern an Einnahmeverlusten aus dem Mietendeckel mitgeteilt hat. Er hat nicht geantwortet. Wenn ich das hier erzähle, macht es vielleicht in der Öffentlichkeit einen schlechten Eindruck von der  Genossenschaft und ich habe eine Pflicht verletzt. In der Diskussion über den Mietendeckel treffen zwei Auffassungen von Demokratie und sozialer Verantwortung des Staates aufeinander, die im politischen Leben normal sind. Sie machen auch vor den Mitgliedern und Vorständen der Genossenschaften nicht halt. Muss man in der Öffentlichkeit verbergen, dass es in der Genossenschaft unterschiedliche Meinungen gibt? Und dass sich der Vorstand zur Abbremsung der Mietsteigerungen querstellt? Das ruft den Widerspruch vieler Genossenschaftsmitglieder hervor.
                           
Änderung der Satzungen gefordert            
Eine dieser Stimmen ist die Initiative Genossenschaft von unten. Sie fordert die Aufhebung dieser  Maßregeln in den Satzungen. Nach ihrer Meinung gehört in das Genossenschaftsgesetz und in die Satzungen die Bestimmung, dass Kritik am Vorstand und am Aufsichtsrats kein Ausschlussgrund sein kann. Es ist gerade der Widerstand der Vorstände gegen den Mietendeckel, der dem Ansehen der Wohnungsgenossenschaften geschadet hat. Aber Vorstände ausschließen zu wollen, wäre unrealistisch. Oder noch anders: Der verbreitete Glaube, die Genossenschaften wären demokratisch und Garanten für bezahlbare Mieten, hat Risse bekommen. Das kann nur durch die Demokratisierung der Genossenschaften behoben
werden, zum Beispiel durch die Wiederherstellung des Rechts der Generalversammlung oder der Vertreterversammlung, dem Vorstand Weisungen erteilen zu dürfen. Gerade die Mietenkonzepte dürften nicht vom Vorstand verfügt, sondern müssten von den Mitgliedern beschlossen werden. Auf der Grundlage der Balance von Mieteinnahmen und Kosten kann über Neubau und Modernisierung demokratisch entschieden werden. Für die Zeit nach dem Auslaufen des Mietendeckels würden auf diese Weise mitgliedergerechte Grundlagen für die Entwicklung der Genossenschaften geschaffen.



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