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MieterEcho 413 / Dezember 2020

Smart Cities und schlaue Stadtzukünfte

Mit einem Marketing-Label lässt sich noch keine intelligente Stadtpolitik machen

Von Anke Strüver

„Will the real smart city please stand up?“ wünschte sich der britische Stadtforscher Robert Hollands vor genau zwölf Jahren in einem Artikel in der Fachzeitschrift City und fragte, ob die echte smarte Stadt eigentlich eine progressive, intelligente oder unternehmerische Stadt – und Stadtpolitik – im digitalen Gewand sei. Zwölf Jahre sind angesichts der extrem hohen Dynamik im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ein sehr langer Zeitraum, zum Beispiel ist das Smartphone in dieser Zeit vom überteuerten Technikspielzeug zum unverzichtbaren Alltagsbegleiter geworden. Im gleichen Zeitraum haben sich auch immer mehr Städte an unterschiedlichen Flecken der Erde zu smarten Städten erklärt und sind untereinander in einen Wettbewerb um „smartness“ und das Versprechen einer hohen Lebensqualität sowie ein effizientes Management der Daseinsvorsorge getreten. Dabei blieb und bleibt zumeist ungeklärt, wie sich „smartness“ jenseits der digitalen Vernetzung definiert, denn eigentlich verstecken sich hinter dem Marketing-Label „Smart City“ unterschiedliche Stadtentwicklungsstrategien – und diese resultieren in oftmals konfligierenden Stadtutopien wie -dystopien.

Dieser Beitrag greift die Frage von Hollands einmal mehr auf und diskutiert Smart Cities anhand von 5 Eckpunkten und daran gekoppelten Fragen vorrangig im Sinne der Optimierung durch digitale urbane Infrastrukturen einerseits und als Ausdruck einer neoliberal-wettbewerbsorientierten Stadtpolitik und ihren sozialräumlichen Effekten andererseits. Dementsprechend wird differenziert, inwiefern Smart City maßgeblich als unternehmensnahes Selbstvermarktungs-Label dient, etwa für Städterankings, und welche alltagspraktischen Konsequenzen Digitalisierung und Vernetzung für urbane Prozesse haben.

1. Datafied Cities

Städte bekommen zunehmend eine digitale Haube. Durch die Ausstattung urbaner Räume mit digitalen Sensoren werden Mobilitätsformen und Verkehrsflüsse, Abfallaufkommen, Energieverbrauch, Umweltbelastungen, Gesundheitsparameter und vieles mehr in Echtzeit erfasst, reguliert und regiert. Dabei werden Unmengen von Daten (Big Data) produziert, aus denen sich als Nebeneffekt Mobilitäts- und Konsummuster sowie individuelle Raumnutzungs- und Aktivitätsprofile erstellen lassen. Durch die Weiterverarbeitung in städtischen wie firmeneigenen und damit privaten Datenzentralen wird versucht, das urbane Leben durch digitale Steuerung zu optimieren, beispielsweise durch die Überwachung von „gefährlichen Orten“, die Vermeidung von Verkehrsstaus und Energiespitzen oder von Umwelteinflüssen wie erhöhten Lärm-, Müll- oder Feinstaubbelastungen. Die digitale Haube wird daher oftmals auch als grüne Haube vermarktet, da digitale Infrastrukturinnovationen zugleich Teil nachhaltiger/ klimafreundlicher/ ressourcenschonender Stadtvisionen sind. In mancher Hinsicht ersetzt das Smart City-Label einfach ein grünes oder nachhaltiges Label.

Mit Big Data wird also Wissen über die Stadt produziert und ihre Abläufe werden durch gezielte Steuerung optimiert. Dieses Wissen ist jedoch eher Ergebnis der verwendeten Algorithmen als der erhobenen Daten. Algorithmische Datenverarbeitung wiederum basiert auf Normen und resultiert daher in einer normierten Wahrnehmung und Steuerung von Stadträumen – sowie einer Gestaltung dieser Räume durch die Überführung der verarbeiteten Daten in Sensorprogrammierungen und Softwareanwendungen. Das heißt auch, dass die digitale Vernetzung die räumliche Organisation, das Strukturieren und Funktionieren von Gesellschaft sowie gesellschaftliche Raumproduktionen als „Datenlandschaften“ verändert: Wie Räume wahrgenommen und genutzt werden, ist daher mittlerweile technosozial produziert.

→ Ist eine Stadt echt „smart“, weil sie automatisierte und sensorbasierte Überwachung praktiziert, Big Data produziert und akkumuliert sowie algorithmisch gesteuerte Effizienzsteigerungen initiiert? Wie wird überhaupt Effizienzsteigerung definiert? Als ökonomisches Wachstum? Als ökologischer Ressourcenschutz? Als Management der Daseinsvorsorge? Als soziokulturelle Lebensqualität?

2. Unternehmerische Stadt(-politik)

Der Wettbewerb um „smartness“ und die Etablierung des Marketing-Labels Smart City entsprechen der Logik der neoliberalen und unternehmerischen Stadtpolitik. Städte werden durch den neoliberalen Umbau wie Unternehmen geführt und entwickeln sich zu wirtschafts- und wettbewerbsorientierten und damit untereinander konkurrierenden „Stadtraum-Unternehmen“. Die neoliberale Stadtpolitik hat von Anfang an zu wachsenden Versorgungslücken im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge geführt, vor allem in den Wohn-, Bildungs- und Gesundheitsinfrastrukturen. Insbesondere durch Public-Private-Partnerships (PPP) sowie die vollständige Privatisierung von vormals öffentlichen Aufgaben vergrößern sich diese Lücken, da private Unternehmen und Investoren wenig Interesse an diesen profitarmen Bereichen haben. Außerdem führt die Umwidmung öffentlicher Mittel zur Beteiligung an PPPs bzw. für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge durch Unternehmens-IKT zu Finanzlöchern in analogen Bereichen einerseits und zur Verlagerung von Verantwortung andererseits. Smart Cities verschieben die Gewährleistung der öffentlichen Versorgung aus der Verantwortung der Stadt(-regierung) in die der Firmen.

Um sich im Wettbewerb positionieren und behaupten zu können, nehmen Städte zunehmend die Beratungsdienstleistungen von Unternehmensberatungen in Anspruch (siehe S. 10). Es verwundert daher nicht, wenn Stadtregierungen Unternehmensführungen immer ähnlicher werden und sich in Rankings mit- bzw. gegeneinander messen. Der Smart City Index 2020 der deutschen Großstädte des Lobbyverbandes bitkom beispielsweise verstärkt solche Prozesse, indem es Städten neben ihren Stärken insbesondere ihre (vermeintlichen) Schwächen im Bereich der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Städten vor Augen führt. Das hat zur Folge, dass der Wettbewerb um „smartness“ völlig unabhängig von konkreten urbanen Problemen ausgetragen wird.

→ Ist eine Stadt echt smart, weil sie ein nationales oder internationales – aber immer entkontextualisiertes – Ranking anführt?

3. IKT-Unternehmen und urbane Digitalisierung

Ähnlich wie die „Stadtraum-Unternehmen“ stehen auch die Unternehmen der IKT-Branche selbst in Konkurrenz zueinander um die bekannteste, allumfassendste, teuerste, modernste etc. Implementierung von digitalen Infrastrukturen. Daher machen Firmen wie IBM, Cisco, Siemens oder Hitachi den Stadtregierungen dafür konkrete Angebote, die häufig zeitlich weit vor der Nachfrage entstehen und die urbane Probleme wie Verkehrsaufkommen, Dichte, Segregation und Ressourcenschutz als technologisch lösbar verstehen. Das heißt, digitale Technologien fungieren hier als Verkaufsstrategie – und sind enger an den Interessen (und Problemen) der Unternehmen als an denen der Städte orientiert. Zudem binden die IKT-Firmen die Stadtregierungen über den Verkauf und die Wartung von Sensoren und Software sowie die Weiterverarbeitung von Daten jahrelang an sich. Die Stadtregierungen können dadurch zwar viele Aufgaben der Daseinsvorsorge an diese Firmen delegieren und sich im Wettbewerb um „smartness“ profilieren – aber sie verlieren die Daten-, Steuerungs- und Versorgungshoheit.

→ Ist eine Stadt echt smart, wenn sie ihre eigenen Entwicklungsinteressen denen von Unternehmen unterordnet? Profitieren davon nicht primär die Unternehmen – und zwar in jeder Hinsicht?

4. Smarte Inseln

Urbanisierungsprozesse müssen als besondere Form gesellschaftlicher Raumproduktionen verstanden werden, die unter anderem zu sozialräumlichen Ungerechtigkeiten führen. Europäische Städte sind geprägt durch verschiedene Formen sozialräumlicher Segregation oder gar Polarisierung, die mit digitalen Technologien nicht automatisch behoben werden. Es besteht die Gefahr, dass die Digitalisierung urbaner Infrastrukturen sozialräumliche Ungerechtigkeiten eher intensiviert, denn minimiert. Denn die Digitalisierung (teil-)öffentlicher urbaner Alltagsräume basiert auf den sich rasant entwickelnden technologischen Machbarkeiten. Doch die Machbarkeiten smarter Technologien produzieren auch vermehrt Ungerechtigkeiten – und viel zu selten sind sie an konkrete stadtgesellschaftliche Probleme wie beispielsweise schlechte ÖPNV-Anbindung, Energie- und Bildungsarmut, zunehmende Bevölkerungssegregation durch Wohnraumknappheit oder die Auswirkungen des Klimawandels gebunden. Insgesamt forcieren Smart Cities die Marginalisierung bereits benachteiligter Bevölkerung: Die Umsetzung von smarten Strategien erfolgt meist in ohnehin besser ausgestatteten und innenstadtnahen Stadtteilen und lässt die dortigen Bewohner/innen stärker von den öffentlichen Investitionen profitieren als Prekarisierte – und dies verschärft neben der räumliche Exklusion auch die sozioökonomische und -kulturelle Segregation. Zudem wird die Aufwertung ausgewählter Stadtteile aus Mitteln des städtischen Haushalts subventioniert – Mittel, die dann in anderen Bereichen der Daseinsvorsoge fehlen. Somit bestehen Wechselwirkungen zwischen existierenden sozialräumlichen Ungleichheiten in der Stadt und der unternehmensgetriebenen Digitalisierung urbaner Infrastrukturen, die bereits vorhandene sozialräumliche Marginalisierungen verstärken. Im Sinne eines Rechts auf Stadt sollte die digitale Transformation stattdessen eine breitere und demokratischere Teilhabe an städtischen Infrastrukturen für alle Stadtbewohner/innen ermöglichen, insbesondere für diejenigen, die bislang durch Wohnverhältnisse und Mobilitätsinfrastrukturen benachteiligt sind.

→ Ist eine Stadt echt smart, wenn sie durch die Ausrufung und/oder Errichtung smarter Stadtteile Ungleichheiten forciert?

5. Schlaue Stadtzukünfte

Sowohl der Diskurs über als auch die Implementierung von progressiven, intelligenten Stadtentwicklungsstrategien können und müssen jenseits der angebots- und unternehmens-orientierten Digitalisierungsstrategien existieren – und urbane Strategien müssen auch jenseits von Digitalisierung definieren, wie schlaue Stadtzukünfte zu rahmen und zu realisieren sind. Die Datafied City ist bereits Realität – doch Smart Cities bleiben wirtschaftsgetrieben und verstärken technokapitalistische Gesellschafts- und Raumprozesse. Die wirklich smarte Stadt mit einer hohen Lebensqualität und Daseinsvorsorge für alle lässt also immer noch auf sich warten und bleibt hinter den Smart City-Visionen (und ihren Visualisierungen) verborgen. Es ist weiterhin unklar, wer wie Smart City definiert – und auch, wer wie progressive und intelligente Stadtentwicklung kommuniziert und praktiziert. Aktuell werden die wichtigen Adjektive wie grüne/ nachhaltige/ klimafreundliche Stadt auf Digitalisierungsstrategien reduziert und nur selten werden sie auch im Sinne der sozial und ökologisch gerechten Stadtentwicklung diskutiert.

→ Wie wird eine echt smarte Stadt eine schlaue Stadt – eine Stadt, die gut funktioniert, da sie Urbanität als Alltagspraxis und zwischenmenschliche Lebensqualität versteht – und nicht als etwas genuin ungerecht Verteiltes und digital Gesteuertes?

 

Anke Strüver arbeitet als Stadtgeographin an der Universität Graz und beschäftigt sich mit urbanem Alltagsleben – insbesondere mit den Themen Gesundheit, Bewegung, Ernährung und Digitalisierung – sowie im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung.

Zum Weiterlesen:
http://labos.ulg.ac.be/smart-city/wp-content/uploads/sites/12/2017/03/Lecture-MODULE-3-2008-Will-the-real-smart-city-please-stand-up-Hollands.pdf


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