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Räumungssenat Berlin

Die Berliner Politik tut sich schwer, Räumungen soziokultureller Projekte zu verhindern

Von Tim Zülch

Zurzeit ist Galeria Karstadt Kaufhof in Berlin wieder in aller Munde. Man sollte meinen, dass vor allem der Mutterkonzern Signa aufgrund der deutschlandweit angekündigten Schließung dutzender Filialen und der Entlassung tausender Angestellter öffentlich an den Pranger gestellt würde. Doch weit gefehlt.

 

Mit einer Reihe von Maßnahmen beabsichtigten einst die Berliner Koalitionsparteien (SPD/Die Linke/Grüne), gewachsene Kiezkultur zu erhalten und Räumungen zu verhindern – festgehalten im Koalitionsvertrag. Mittlerweile scheint dem Senat die Kontrolle allerdings entglitten zu sein. Immer mehr soziokulturelle Projekte in Berlin sind bedroht, haben Räumungsklagen erhalten oder sind bereits geräumt. Die Kluft zwischen stadtpolitischen Initiativen und Regierungsparteien wird zusehends größer. Aber auch innerhalb der Regierungskoalition wächst die Kritik.

Am Morgen des 7. August wurde die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat von rund 700 Beamt/innen der Berliner Polizei mit Unterstützung aus Brandenburg geräumt. Zwei Jahre lang hatte sich das Betreiber/innen-Kollektiv nach der Kündigung durch Pears Global Real Estate im Juli 2018 zusammen mit solidarischen Nachbar/innen für den Erhalt des seit 35 Jahren bestehenden soziokulturellen Treffpunkts eingesetzt – letztlich umsonst. Im Herbst 2019 verlor das Syndikat den Räumungsprozess. Auch massive Blockaden und Proteste von Sympathisant/innen des alternativen Nachbarschaftstreffpunkts am Räumungstag konnten diese letztlich nicht verhindern. Sprecher Lukas Selchow findet kurz vor der Räumung deutliche Worte: „Der Wunsch einer Räumung von Pears Global wäre witzlos, wenn nicht der Berliner Senat diese – durch eine irrsinnige Materialschlacht und unzählige Einsatzkräfte – durchsetzen würde, komme was da wolle“.

 

Liebig34 akut gefährdet

Bereits Anfang April hatten Bulldozer des Senats – im Schatten der Coronakrise und von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – den Wagenplatz SabotGarden der Gruppe DieselA an der Rummelsburger Bucht geräumt. Dieser war aus Protest gegen die Bebauungspläne des Bezirks, unter anderem mit dem Aquarium „CoralWorld“, im Mai 2019 besetzt worden. Währenddessen kämpft das queere Wohnprojekt Liebig34 im Friedrichshainer Nordkiez weiterhin um seinen Erhalt und die Zeichen stehen schlecht: Hauseigentümer Gijora Padovicz möchte das Haus, dessen zehnjähriger Pachtvertrag 2018 ausgelaufen war, räumen lassen. Nachdem Vermittlungsbemühungen durch Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) mit dem Vorhaben, Padovicz ein Austauschobjekt anzubieten, gescheitert sind und sich dabei mal wieder zeigte, dass mit Padovicz schwerlich zu verhandeln ist, scheint die Räumung nun immer näherzurücken, auch weil zum Räumungsprozess am 3. Juni 2020 weder Bewohner/innen noch ihr Anwalt Moritz Heusinger erschienen.
Nach dem Gerichtsurteil stellt sich die BVV Friedrichshain-Kreuzberg allerdings hinter das Hausprojekt: „Mit seinem solidarischen Kiezbezug, seiner Widerständigkeit und dem antipatriarchal-politischen Anspruch prägt das Haus seit über zwei Jahrzehnten den Samariterkiez mit und ist von dort eigentlich nicht wegzudenken.“ Als Reaktion macht L34-Vereinssprecherin Lilo ihrem Ärger Luft: „Dies sind warme Worte (…) nachdem ihre Galionsfigur Florian Schmidt im Kampf um die Liebig 34 so gut wie alles verkackt hat, was zu verkacken war. “
Auch die Situation der selbstverwalteten Jugendzentren Potse und Drugstore spitzt sich zu. Nach einem Urteil des Landgerichts vom Juli muss die Potse die traditionsreichen Räume in der Potsdamer Straße herausgeben. Die vom Bezirk für Potse und Drugstore versprochenen Ersatzräume in der gleichen Straße sind nach wie vor nicht bezugsfertig und darüber hinaus für laute Konzerte nicht geeignet.
Die Fälle zeigen, dass vor Gericht für alternative Projekte – meist mit Gewerbemietverträgen – in der Regel wenig zu gewinnen ist. Die Politik ist also gefordert. Nach der Räumung des Syndikats zeigten sich auch zahlreiche Politiker/innen der Berliner Regierungsparteien entsetzt. Selbst der für diese zuständige Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte danach: „Berlin braucht Freiräume. Und das ist in der Tat ein Problem der Politik, dass wir über mehrere Jahre hinweg nicht in der Lage waren, für solche Freiräume dauerhaft zu sorgen“.


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