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MieterEcho 415 / März 2021

Offene Grenzen für Spekulanten

Mit Verbriefungen und Risikokapital soll die Kreditvergabe für Investitionen in der EU erleichtert und harmonisiert werden

Von Sandra Schuster

„Um die Finanzierung unserer Wirtschaft zu verbessern, sollten wir die Entwicklung und Integration der Kapitalmärkte weiter vorantreiben“ . Mit diesem Leitziel gab der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Juli 2014 den Anstoß für eine vertiefte Kapitalmarktunion.

Kernstück der Kapitalmarktunion ist die Stärkung der marktbasierten Unternehmensfinanzierung, sowohl über Aktien, Risikokapital und anderes Beteiligungskapital als auch über die Ausweitung der Kreditvergabekapazität des Bankensektors durch die Förderung von Verbriefungen. Ziel ist ein EU-Binnenmarkt für Kapital, der zu mehr grenzüberschreitender Risikoteilung, liquideren Märkten und einer größeren Vielfalt an Finanzierungsquellen beiträgt.

Die Kapitalmarktunion soll die im Vergleich zu den USA und anderen Ländern starke Bankzentrierung im europäischen Raum abmildern. Auch sollen Privatinvestoren durch harmonisierte Instrumente und Standards besser grenzüberschreitend investieren können und hierdurch mehr privates Kapital in Anlageprodukte fließen. Hier liegt die Relevanz für den Immobilien- und Wohnungsmarkt: Es werden Instrumente geschaffen, um Geld in Immobilien als Vermögenswerte anzulegen.

Die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen wurde im vergangenen Jahr vom Europäischen Rechnungshof eher ernüchternd als „langsamer Start in Richtung eines ehrgeizigen Ziels“ bewertet (Sonderbericht Nr. 25/2020). Die mangelnden Fortschritte werden auf interne organisatorische Mängel und unzureichende Priorisierung zurückgeführt. 

Insgesamt hat die EU-Kommission seit 2015 immerhin 13 Rechtsvorschläge vorgelegt, die von den beiden entscheidenden Institutionen, EU-Parlament und Europäischer Rat, angenommen wurden. Sie reichen vom „grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds“ bis zur „Prospektverordnung“. Beim Crowdfunding werden wichtige Neuerungen ab November 2021 gelten. Dann können Crowdfunding-Plattformen Privatanlegern europaweit Wertpapiere und Kredite anbieten – dies war bislang Banken vorbehalten (siehe FAZ vom 10. Dezember).

Bankkredite bleiben erste Wahl

Der erhoffte Rückenwind für mehr Wirtschaftswachstum wird von der Kapitalmarktunion kaum ausgehen. So haben gerade kleine und mittlere Unternehmen, auf die sich die Kommission gerne beruft und die sie am meisten unterstützen will, oft weder die nötige Größe noch die technischen Möglichkeiten, um sich mit angemessenem Aufwand über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Sich einen Investor reinzuholen und Entscheidungs- und Gestaltungsraum abzutreten, muss sich ein Unternehmen erst mal leisten können. Das jüngste KfW-Mittelstandsbarometer zeigt für die hiesige Wirtschaft sehr deutlich, dass der Bankkredit nach Eigenmitteln mit weitem Abstand die erste Wahl für die Investitionsfinanzierung ist: Der Kreditanteil im Finanzierungsmix für Investitionen lag 2019 bei 36%. Demgegenüber wurde im gleichen Zeitraum Beteiligungskapital außérhalb des Bankensektors zusammen mit anderen „sonstigen Quellen“ lediglich mit einem Anteil von 6% am gesamten Finanzierungsvolumen in Anspruch genommen. In den USA verhält es sich nicht anders. Das von der EU-Kommission bemühte Leitbild der USA als Vorbild erscheint somit stark überzogen.

Instrumente wie die Crowdfunding genannte Schwarmfinanzierung, deren Potenzial für die Wohnungswirtschaft und zur Linderung der Wohnungsnot in den Metropolregionen zunehmend diskutiert werden, eignen sich allenfalls bedingt. Ein potenzieller Nutzen ist stark abhängig vom jeweiligen regulatorischen wohnungs- und mietenpolitischen Umfeld. Wenn auch nicht so stark wie bei Immobilienfonds besteht auch bei dieser Finanzierungsform ein Druck zu Renditesteigerung. Dieser dürfte sich auf Wohnmieten und Gebäudewerte auswirken und die spekulative Blasenwirkung weiter antreiben. Auf der anderen Seite kommt es beim Crowdfunding auch auf Schutzvorkehrungen für die Anleger/innen an, die hohe Risiken tragen und im Fall von Verlusten sehr viel schlechter dastehen als die Bank.

 

Sandra Schuster ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Referentin für Finanzpolitik für die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag.


MieterEcho 415 / März 2021