Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 416 / April 2021

„Nationalsymbol unter nationaler Kontrolle“

Interview mit Philipp Oswalt

Am 17. Dezember 2020 eröffnete das Humboldt Forum in den wiederaufgebauten Fassaden des Berliner Schlosses. Kritiker sehen im Humboldt Forum ein Projekt zur nationalen Identitätsstiftung und den Versuch, die deutsche Geschichte ab 1919 zu verdecken.

 

MieterEcho: Wie fühlen Sie sich angesichts der Eröffnung des Humboldt Forums?

Philipp Oswalt: Ich fand es bemerkenswert, wie kritisch die öffentliche Rezeption war. Das haben sich die Protagonisten sicher anders vorgestellt. Seit dem Start der Debatte gab es eine breite öffentliche Kritik an den Aufbauplänen und Umfragen, in denen sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Schlossaufbau aussprach. Diese Kritik der Öffentlichkeit ist offenbar bestehen geblieben. Man muss aber auch sehen, dass die Befürworter den Schlossaufbau nicht als den Schlusspunkt einer Entwicklung, sondern als Startpunkt eines Kulturkampfes sehen, um von dort ausgehend weitere Rekonstruktionen einzufordern.

 

Welche Alternativen hätte es zum Wiederaufbau des Schlosses gegeben?

Als Alternative empfahl die Expertenkommission bei einer Neubebauung zu prüfen, inwieweit man Teile des Palastes in den Neubau integrieren kann. Dazu gab es Entwürfe. Das wäre adäquat gewesen, um die Geschichtlichkeit des Ortes zu bewahren. Wir sollten aber nicht nur über Fassaden reden, sondern auch über die Frage der Art der Öffentlichkeit, die entsteht. Wir haben es in dem Bereich der Stadt mit einer stark von Repräsentationsbedürfnissen geprägten Stadtgestaltung zu tun. Es gibt Botschaften, Ministerien, Autohäuser und so weiter. Das Herz der Stadt Berlin bräuchte aber eine andere Art von städtischer, ziviler Öffentlichkeit, so wie wir es bei temporären Nutzungen des Volkspalastes in begrenztem Maße hingekriegt haben. Es gab mal den Vorschlag, dort die Berliner Stadtbibliothek zu errichten. Das wäre eine Art der Öffentlichkeit gewesen, die diesem Ort gutgetan hätte, statt ihn gemeinsam mit der Museumsinsel dem touristischen Geschäft zuzuschlagen. Neben der Frage der Fassade wurde die Frage der Programmierung falsch entschieden.

 

Sie sagten, der Schlossaufbau sei kein Schlusspunkt, sondern eher ein Anfang gewesen. Was kommt als Nächstes?

Es steht nicht nur der Nachbau der Schinkelschen Bauakademie bevor. Ich war beim Richtfest zum Zwischenstand des Bauprozesses und vor Ort waren Stände, etwa von der Gesellschaft Historisches Berlin und anderen Vereinigungen, die die Verlegung des Neptunbrunnens, die Überbauung des Marx-Engels Forums als neue Altstadt ebenso wie die Nachbildung historischer Innenräume im Schloss forderten. Ob das gesellschaftlich durchsetzbar ist, wird sich zeigen. Aber das ist die Auseinandersetzung, die zu führen ist.

 

Sie haben in einem Aufsatz über die Rekonstruktion des Stadtschlosses mal geschrieben: „Dieser Bau ist zuerst ein gesellschaftliches Symbol, seine Gebrauchsfunktion ist sekundär.“ Was genau meinen Sie damit?

Die Politik hat sich in den 90er Jahren zunächst für den Fassadenaufbau entschieden und erst danach eine Nutzung gesucht, mit der man das legitimieren kann. Im Sinne einer Political Correctness wurde die Idee des Humboldt Forums geboren, das eine preußische Selbstbestimmung des heutigen Deutschlands mit einer vermeintlichen Interkulturalität ausbalancieren sollte. Genau genommen ist das eine ziemlich perverse Form der Neokolonialisierung, weil es die anderen Kulturen nicht nur in Haftung nimmt, sondern instrumentalisiert, um diese Formen deutscher Identitätsgebung zu legitimieren. Schließlich ist das Ganze zu einem Rohrkrepierer geworden, weil die koloniale Vorgeschichte der Sammlungen inzwischen den Diskurs sehr stark prägt. Der Fassadenaufbau ist ein Versuch einer nationalen Setzung ohne Autorenschaft. Aufgrund der eigenen Geschichte traut sich Deutschland momentan keine nationale Setzung zu machen, sondern vollzieht sie durch den Wiederaufbau eines historischen Baus. Hier kann man sich in einer vermeintlichen Form von Sachlichkeit und Objektivität verstecken. Man sagt Schlüter sei der Autor. Aber natürlich ist die Entscheidung dieses preußische Herrscherschloss wieder aufzurichten, ein Versuch der Bundesrepublik nach 1990 eine Geschichte zu geben, die sich auf die Zeit vor 1919 bezieht. Ich habe die westdeutsche Perspektive immer so verstanden, als dass die Bundesrepublik ein neues Staatswesen sei, das eine Vorgeschichte hat und versucht, eine neue Verfasstheit der Gesellschaft auf den Weg zu bringen. Nun haben wir an vielen Stellen dieses Drängen danach, das gesellschaftliche Selbstverständnis weit tiefer in die Geschichte, in vordemokratische Zeiten zurück zu verwurzeln. Das ist meines Erachtens die wesentliche Botschaft, die dieser Bau aussendet. Er wird als Nationalsymbol benutzt und steht unter nationaler Kontrolle. Das Schloss ist kein kulturelles, sondern ein politisches Projekt der Identitätsstiftung.

 

Sehen Sie im Bereich des Städtebaudiskurses eine Veränderung durch die rot-rot-grüne Regierung in Berlin? 

Ich sehe keinen Paradigmenwechsel, sondern eine Verschiebung von Themen, was den Anforderungen der Zeit geschuldet ist. Die Problematik der Immobilien- und Bodenpreise sowie des Mangels an Wohnraum hat ein sehr großes Gewicht im öffentlichen Diskurs angenommen. Es gibt Diskurse um die Verkehrswende und Mobilität. Insofern sind die Identitätsfragen der 90er Jahre in den Hintergrund geraten und wir haben heute funktionalere Anforderungen als in den 90er Jahren. Gleichzeitig gibt es keinen wirklichen Bruch mit diesen Städtebaudiskursen, wie derzeit am  Molkenmarkt zu beobachten ist. Das Problem sind natürlich auch die sehr langen Planungs- und Entscheidungsprozesse bei städtebaulichen Maßnahmen.

 

Wie müsste ein Paradigmenwechsel aussehen?

Die Fragen von Geschichts- und Symbolpolitik und Identität sind sicherlich nur eine Facette des Städtebaus und der Stadtentwicklung, insofern war ihre Überbetonung problematisch. In einer Hauptstadt mit einer sehr problematischen Geschichte hat sie jedoch eine gewisse Relevanz. Es ist wichtig, dass der Diskurs um das Bodeneigentum und den Bodenmarkt eine Priorisierung erfahren hat. Was die Fragen der Geschichtspolitik und der Stadtentwicklung angeht, würde es für mich darum gehen, die Stadt, wie sie besteht zu akzeptieren und weiterzuschreiben, statt revisionistisch unterwegs zu sein. Die Stadt sollte stärker aus dem Gebrauch ihrer Bürger heraus und nicht nach ästhetischen Fragen gedacht werden. Es geht um Fragen von Raum- und Aufenthaltsqualitäten. Dann stellt sich natürlich die Frage: Was ist mit dem öffentlichen Raum?

 

Nochmal zurück zum Schloss. In der jüngeren Vergangenheit gab es viele Diskussionen über das vergoldete Kreuz auf der Kuppel. Sie selbst haben das Kreuz einmal eine radikale Orthodoxie genannt. Was meinen Sie damit?

Die Rekonstruktionsprozesse seit den 80er Jahren sind eine neue Form, nämlich eine Rekonstruktion aus der Fotografie. Es geht darum, verloren gegangene Bauten fotorealistisch zu reproduzieren. Eine solche Rekonstruktion gab es bis dahin nicht. Rekonstruktion war bis dato immer eine kulturelle Aneignung eines historischen Erbes durch die Gegenwart und eine Interpretation. Das war so gewollt und es war auch gar nicht anders möglich, weil die Überlieferungen gar nicht so genau waren. 

Von den heutigen Rekonstruktionsbefürwortern ist das nicht gewollt. Statt einer kulturellen Aneignung soll es eine technisch-wissenschaftliche Rekonstruktion des Vorgängerbaus sein. Man konstruiert eine Art Sachzwang, demnach eine Rekonstruktion nur echt ist, wenn sie fotoidentisch ist. Durch die Frage der Aneignung kommen Sie aber zu der Frage der Bewertung. Wie positionieren Sie sich selber zu dem historischen Sachverhalt? Unter dem vermeintlichen Siegel der Objektivität verweigert man es, diesen Wertediskurs zu führen. Stattdessen tut man so, als ginge es darum, verloren gegangene Bauten zu reproduzieren, und um Schönheit. Unter dem Signum der historischen korrekten Rekonstruktion verbergen sich aber de facto Wertediskurse, Identitätsdiskurse und politische Diskurse über das Gesellschaftsverständnis. Das ist beim Kreuz natürlich ganz extrem, weil die Kuppel und das Kreuz sowohl Ausdruck eines reaktionären Gesellschaftsverständnisses und sehr problematischen Religionsverständnisses aus dieser post-revolutionären, restaurativen preußischen Zeit nach 1848 sind, als auch Ausdruck von Herrschaft und von Unterwerfung.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Philipp Möller.

 

Philipp Oswalt, Architekt und Publizist, unterrichtet seit 2006 an der Universität Kassel Architekturtheorie und Entwerfen. Von 2009 bis 2014 war er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.


MieterEcho 416 / April 2021

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.