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MieterEcho 417 / Mai 2021

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In ihrem Landeswahlprogramm setzen die Grünen auf eine diffuse „Gemeinwohlorientierung“

Von Rainer Balcerowiak

Die Chancen stehen gut, dass die Grünen nach den kommenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September die nächste Landesregierung anführen werden. In welcher Koalition ist dabei noch lange nicht ausgemacht, als voraussichtlich stärkste Partei stehen ihnen diverse Koalitionsmöglichkeiten zur Verfügung, von der Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition über ein „Ampel“-Bündnis mit SPD und FDP bis hin zu einer „Jamaika“-Regierung mit CDU und FDP. 

Sowohl im Wahlkampf als auch in der kommenden Legislaturperiode wird die Wohnungspolitik eine zentrale Rolle spielen. In ihrem Wahlprogramm stellen die Berliner Grünen einen „Masterplan 50 Prozent Gemeinwohl“ in den Mittelpunkt. Die Hälfte aller Wohnungen sollen sich binnen 30 Jahren in „gemeinwohlorientierter“ Trägerschaft befinden. Darunter verstehen die Grünen nicht nur die landeseigenen Wohnungsgesellschaften, sondern auch „Genossenschaften, Träger sozialer Einrichtungen und Hausprojekte sowie Privatvermietende, die sich wie die öffentlichen Wohnungsgesellschaften auf das Gemeinwohl verpflichten“. Ferner wolle man „Bündnisse mit den Menschen schließen, die ihr Wohnschicksal in die eigenen Hände nehmen, wie beispielsweise Baugruppen“. 20.000 Wohnungen sollen jährlich neu entstehen, Neubauten im Hochpreissegment „möglichst vermieden werden“. Vor allem die Genossenschaftsförderung wollen die Grünen „deutlich erhöhen“.

Zentrales Kriterium der künftigen Wohnungspolitik soll allerdings der Klimaschutz sein. Alle Vermieter/innen sollen verpflichtet werden, bis 2024 verbindliche Pläne für die energetische Modernisierung ihrer Bestandshäuser vorzulegen. Dafür soll die Modernisierungsumlage durch ein „faires System“ ersetzt werden, bei dem Vermieter/innen, Mieter/innen und die öffentliche Hand jeweils ein Drittel der Kosten tragen. Betont wird in dem Programm, dass die Vermieter/innen davon durch Wertsteigerungen ihrer Immobilien profitieren würden.

Skepsis gegenüber Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne

Etwas bedröppelt stehen die Grünen durch das Karlsruher Urteil zum Mietendeckel da. Im Programm ist noch die Rede davon, dass dieser nach dem geplanten Auslaufen im Jahr 2025 durch ein Wohnraumbewirtschaftungsgesetz abgelöst werden könne, auf Basis der Schaffung eines Mieten- und Wohnungskatasters. Ein solches Gesetz erscheint nach dem Karlsruher Urteil kaum realisierbar, und in aktuellen Verlautbarungen setzen die Grünen, wie auch die Linken, vor allem auf die Schaffung eines bundesweiten Mietendeckels. Das gilt auch für Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen, die die Grünen grundsätzlich unterbinden wollen, was aber ebenfalls nur auf Bundesebene zu regeln wäre.

Das derzeit laufende und möglicherweise parallel zur Wahl zur Abstimmung stehende Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ bewerten die Grünen in ihrem Programm als „Weckruf an die Politik, dass dem im Grundgesetz festgeschriebenen Leitsatz Eigentum verpflichtet auch im Bereich Wohnen und Boden Geltung verschafft werden muss“. Vergesellschaftung dürfe aber nur das „letzte Mittel“ sein, wenn sich Wohnungsunternehmen weigern, „ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen“. Quantitative Kriterien für eine Vergesellschaftung lehnen die Grünen ab, börsennotierte Wohnungskonzerne und Großinvestoren sollen nicht grundlegend angetastet werden.

Das Programm verdeutlicht, dass die Grünen das Privateigentum an Wohnhäusern und seine gewinnorientierte Verwertung nicht in Frage stellen, sondern lediglich unter einen schwammigen „Gemeinwohlvorbehalt“ stellen wollen. Unter diesem Dach können sich dann auch große Wohnungsunternehmen und Investoren versammeln, wenn sie bereit sind, in einer Art Ablasshandel ein paar mieterfreundliche Glasperlen zu verteilen. Auch beim Neubau will man Akteure einbinden und sogar gezielt fördern, die rein gar nichts mit der Bereitstellung von angemessenem Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten als sozialer Daseinsvorsorge zu tun haben. Mögliche Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP dürften an diesem Punkt jedenfalls ziemlich reibungslos verlaufen.


MieterEcho 417 / Mai 2021