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MieterEcho 415 / März 2021

Mittendrin und trotzdem draußen

Eine neue Broschüre verleiht Obdachlosigkeit Stimmen und Gesichter, untermauert mit Fakten

Von Philipp Möller

Die Räumung der Hütten und Zelte in der Rummelsburger Bucht Anfang Februar brachte die prekäre Situation der vielen Obdachlosen und Wohnungslosen in der Stadt erneut auf die politische Tagesordnung. Viel zu sehr ist man an die vielen Menschen gewöhnt, die allerorten im Freien übernachten müssen oder in Sammelunterkünften untergebracht werden, statt in eigenen vier Wänden zu wohnen. Obdachlosigkeit ist, sofern nicht „freiwillig“ gewählt, ein Skandal und eine Anklage gegen eine Gesellschaft, die es nicht vermag das Grundrecht auf Wohnen einzulösen, während einige wenige unglaublichen Reichtum anhäufen.

Die vom MieterEcho-Bildredakteur und Filmemacher Matthias Coers in Kooperation mit dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Broschüre mit dem Titel „Mitten drin Draußen – Ohne Obdach in der Stadt“ ruft diesen Skandal in Erinnerung. Auf knapp 70 Seiten erzählen Betroffene und ehemalige Obdachlose ihre Geschichte, berichten ehrenamtliche Helfer/innen über ihre Erfahrungen in der praktischen Solidarität und geben Expert/innen einen Überblick über Daten und Hintergründe von Wohnungslosigkeit. Besonders eindrücklich sind die Schilderungen von Dr. Jenny De la Torre Castro. Sie hat unter ihrem Namen eine Stiftung gegründet und betreibt mit Spendeneinnahmen und Fördermitteln ein sozialmedizinisches Gesundheitszentrum in der Pflugstraße 12 in Berlin-Mitte, in dem Menschen ohne Krankenversicherung behandelt werden. Im Interview gibt De la Torre einen Einblick in ihre bewundernswerte Arbeit und nimmt die Gesellschaft für die physischen und seelischen Leiden ihrer Patient/innen in die Verantwortung. 

In einem sehr persönlichen Text beschreibt Izabel ihren Weg in die Wohnungslosigkeit, der mit einem informellen Arbeitsverhältnis, Misshandlung und einer schweren Depression begann und mit einer Räumungsklage endete, nachdem das Jobcenter sechs Monate ihre Miete nicht zahlte. Seit 2015 ist sie auf der Suche nach einer eigenen Wohnung, doch blieb bislang im unwürdigen System der Wohnungslosenheime stecken. Izabels Geschichte steht dabei beispielhaft für zig ähnliche Schicksale. 

Neben Texten enthält die Broschüre  viele Aufnahmen, deren Motive vielen Berliner/innen alltäglich begegnen, ohne dass sie davon großartig Notiz nehmen. Als Bild erzeugen sie beim Betrachter dennoch Empathie und belegen das feine Gespür des Fotografen, aus dem Alltäglichen das Besondere herauszudestillieren. Die Publikation beruht auf einer gleichnamigen Ausstellung, die bereits an verschiedenen Orten in Berlin gezeigt wurde. Für die Broschüre wurde sie um mehrere Texte und Interviews ergänzt. Insgesamt umfasst sie acht Interviews und 27 Bilder.

 

Bei Interesse kann die Broschüre kostenfrei in der Geschäftsstelle des Bildungswerks abgeholt oder über die E-Mail-Adresse info@bildunnullgswerk-boell.de bestellt werden. Bis zu drei Publikationen werden portofrei versendet. Für Anfragen zu der Ausstellung kann unter coersvinulldeo@me.com Kontakt aufgenommen werden.


MieterEcho 415 / März 2021