Mietendeckel scharf stellen
Der Mietendeckel kann nur erfolgreich sein, wenn die Bezirksämter ihre gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen – doch daran hapert es
Von Philipp Möller
Der Mietendeckel feierte am 22. Februar seinen ersten Geburtstag. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zog auf ihrer Jahrespressekonferenz eine positive Bilanz für das erste Jahr seit Inkrafttreten des Gesetzes. „Erfreulicherweise verhalten sich die meisten Vermieter/innen gesetzeskonform. So wurden bei den Bezirken bislang 2785 und bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 1545 Verstöße registriert“ , sagte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke). Der Senator wies gleichzeitig auf die zahlreichen Umgehungsversuche hin, bei denen Vermieter/innen die Unsicherheit der Mieter/innen ausnutzten. „Vor illegalen Umgehungsversuchen möchte ich aber ausdrücklich warnen. Der Mietendeckel ist ein Verbotsgesetz. Verstöße werden von Amts wegen verfolgt und geahndet. Das Bußgeld kann bis zu 500.000 Euro betragen“ , betonte Scheel.
Die Realität sieht indes ganz anders aus. Auch ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes sind die neu geschaffenen Personalstellen in einigen Bezirken noch immer vakant, wie Recherchen des MieterEchos zeigen. So wurden in Pankow bislang nur zwei der vorgesehenen 5,5 Vollzeitstellen besetzt. Desaströs ist die Lage in Spandau, wo es bislang überhaupt kein Personal gibt, das für die Umsetzung und Kontrolle des Mietendeckels zuständig ist. Auf diesen Missstand hatte bereits die Spandauer Linksfraktion in einer Pressemitteilung Anfang Februar hingewiesen. Laut der Antwort des Bezirksamtes auf eine Anfrage Ende Januar bearbeitete der Bezirk aufgrund des Personalmangels bislang noch keine Anzeigen von Mieter/innen, die gesetzeswidrige Mieterhöhungen monierten. „Damit wird der Mietendeckel in Spandau effektiv ausgebremst“, heißt es in der Pressemitteilung der Linken. In anderen Bezirken, wie etwa Neukölln, Reinickendorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Marzahn-Hellersdorf oder Charlottenburg-Wilmersdorf, sind dagegen alle Planstellen besetzt.
Die Probleme bei der Personalfindung sind hausgemacht. Die Entlohnung der Sachbearbeiter/innen im Bereich Mietendeckel ist mit der Entgeltgruppe 9 des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst der Länder vergleichsweise gering angesetzt, sodass geeignete Bewerber/innen nur schwer zu finden sind. In Spandau sprangen die in zwei Bewerbungsverfahren ausgewählten Bewerber/innen kurz vor Vertragsunterzeichnung ab, da sie andere, wahrscheinlich besser dotierte Arbeitsangebote angenommen hatten. Aus einem anderen Bezirk berichtet ein Insider, dass die Befristung und Koppelung der Gruppenleiter-Stelle an die Laufzeit des Mietendeckels weitere Probleme bei der Personalbesetzung verursacht.
Gegenstrategien der Vermieter
Doch es ist nicht allein das fehlende Personal, das die Wirksamkeit des Mietendeckels mindert. Mittlerweile hat die Vermieterseite einen bunten Blumenstrauß an Strategien entwickelt, mit denen versucht wird, die gesetzlichen Vorgaben zu umgehen und vermeintliche Gesetzeslücken zu nutzen. Besonders virulent sind die sogenannten Schattenmieten, also vermeintliche Marktmieten, die Vermieter parallel zu den nach Mietendeckel gültigen Mieten ausweisen. Viele Vermieter/innen sind bei Vertragsabschluss dazu übergangenen, solche Schattenmieten zu vereinbaren, diese aber für die Laufzeit des Gesetzes nicht entgegen zu nehmen. Daneben verlangen einige Vermieter/innen auch die Zustimmung zu Schattenmieterhöhungen in bestehenden Verträgen, auf deren Einzug sie aber bis zum Auslaufen des Mietendeckels verzichten. Beide Praktiken sind rechtlich höchst umstritten und schüren viel Unsicherheit. Gerade bei Neuvermietungen mindern die Schattenmieten die gewünschte Wirkung des Mietendeckels, dessen Ziel es ist, angemessenen Wohnraum für Bevölkerungsschichten mit niedrigen und mittleren Einkommen zugänglich zu machen. Betroffene Mieter/innen sollten in solchen Fällen dringend eine mietrechtliche Beratung aufsuchen.
Unklar ist, ob Schattenmieten gegen die gesetzlichen Vorschriften des Mietendeckels verstoßen. Die bisherigen Urteile lassen dabei viel Spielraum für Interpretationen. Viele Vermieter/innen beziehen sich bei der Vereinbarung von Schattenmietklauseln auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 2020. Zwar ging es in dem Beschluss gar nicht um Schattenmieten, sondern um die Ablehnung eines Eilantrags gegen die Bußgeldbewährung des Mietendeckels. Aus einer Passage des Beschlusstextes leitet die Vermieterseite jedoch ab, dass die Vereinbarung einer höheren Miete für den Fall der späteren Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes grundsätzlich zulässig sei. Kritiker/innen bezweifeln jedoch, dass sich daraus eine Rechtfertigung für Schattenmieten ableiten lässt. Die Entscheidungen von Berliner Gerichten zu Schattenmieten sind sehr unterschiedlich.
Nur Pankow handelt konsequent
Bislang geht einzig der Bezirk Pankow auf Basis des Mietendeckels gegen Schattenmieten vor. „Entsprechende Anzeige vorausgesetzt untersagt das BA Pankow sowohl Schattenmieten im laufenden Mietverhältnis als auch Schattenmieten in Neuverträgen, soweit es sich dabei um vorbehaltlose Preisabreden handelt“, heißt es auf MieterEcho-Anfrage. Im Bezirk wurden nach der Androhung von Zwangsgeldern mehrere Schattenmieterhöhungen zurückgenommen, wie das Neue Deutschland bereits im September 2020 berichtete. Dabei bezieht sich das Amt auf den Mietenstopp und die Festsetzung der Stichtagsmiete im MietenWoG. Im Februar dieses Jahres berichtete das Neue Deutschland zudem über die Untersagung von Schattenmietklauseln in neuen Mietverträgen beim schwedischen Wohnungskonzern Akelius. Dabei beruft sich das Amt auf die Mietobergrenzen, die der Mietendeckel bei Neuvermietungen vorschreibt. Gegenüber MieterEcho betont der Bezirk den Verbotscharakter des Gesetzes. Durch das Vorgehen sei „nicht gesagt, Mietvertragsparteien könnten keinerlei Regelung zur Überbrückung aktuell bestehender Ungewissheit über das Ergebnis verfassungsgerichtlicher Überprüfung des Gesetzes treffen. Eine solche Regelung hätte jedoch in jedem Fall die Anerkennung des MietenWoG zur Voraussetzung. Um nicht gegen das Verbot zu verstoßen, wäre die Preisvereinbarung selbst unter Vorbehalt ihres etwaigen späteren Wirksamwerdens zu stellen.“ In den bis dato zur Anzeige gebrachten und untersagten Fällen fehle es jedoch am entsprechenden Vorbehalt. „Dort wird vielmehr vorbehaltlose Zustimmung zu einer verbotenen Miete (Miethöhe) verlangt“, heißt es aus dem Amt.
Andere Bezirksämter äußern sich auf MieterEcho-Anfrage zum Vorgehen gegen Schattenmieten deutlich zurückhaltender. Dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf liegen laut eigenen Angaben bisher keine Fälle von Schattenmieten vor. Jedoch sei wie in Pankow „in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob die jeweilige rechtliche Ausgestaltung einen Verstoß gegen das MietenWoG oder eine zulässige Absicherung für den Fall der (teilweisen) Verfassungswidrigkeit des Gesetzes darstellt.“ Aus Neukölln heißt es dagegen: „Das Bezirksamt Neukölln sieht derzeit leider kaum Handlungsspielraum, wenn solche Mieten zwar vereinbart, aber nicht entgegengenommen werden.“
Dennoch prüfe das Amt das Pankower Vorgehen. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf erteilt der Pankower Praxis dagegen eine generelle Absage. Demnach sei „nicht möglich mit Bußgeldern gegen die Schattenmiete vorzugehen, da die Miete ja nicht konkret gefordert wird.“ Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg verweist auf die aktuell stattfindende Überarbeitung der Ausführungsvorschriften für den Mietendeckel durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Abstimmung mit den Bezirksämtern. Dabei sei es „beabsichtigt, eine mit dem MietenWoG in Einklang zu bringende Regelung zur Unterbindung von sogenannten „Schattenmieten“ zu finden.“ Ob sich diese Hoffnungen tatsächlich erfüllen, bleibt fraglich. Eine endgültige Klärung über den Umgang mit Schattenmieten ist ohnehin erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über den Mietendeckel zu erwarten, die für das zweite Quartal dieses Jahres vorgesehen ist. Das entschiedene und dadurch erfolgreiche Vorgehen des Bezirksamts Pankow verweist indes auf den notwendigen politischen Willen, die herrschenden Gesetze auch tatsächlich anzuwenden. Daran scheint es in vielen Bezirken jedoch zu mangeln.
MieterEcho 416 / April 2021