Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 410 /

Matthias Kollatz als Sarrazin 2.0

Die Sparpläne des Finanzsenators wären in der Krise ein Desaster

Von Marcel Schneider

Aus einer Krise kann man sich nicht heraussparen, das ist mittlerweile – auch nach dem tiefen Fall Griechenlands in der Euro-Krise – unter Ökonom/innen wieder Konsens. Umso mehr verwundert die Position von Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der bereits Einsparungen bei Personal und Investitionen ankündigte, als im März der erste Nachtragshaushalt eingebracht wurde. In einem Meinungsbeitrag für die Berliner Morgenpost legte er am 24. Mai ideologisch nach. So geht Kollatz von einem „dauerhaft niedrigeren Wachstumspfad“ aus, der ein dauerhaft niedrigeres Ausgabeniveau unvermeidlich mache.    

                        
Als „richtiges geistiges Referenzmodell für das wirtschaftspolitische Handeln“ verweist Kollatz auf die Große Depression ab 1929, ohne zu reflektieren, dass die damalige Kürzungspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning die Krise in Deutschland massiv verschärfte und den Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigte. Das Gegenmodell war bekanntlich der erfolgreiche New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt in den USA. Aber massive Konjunkturprogramme, die mittlerweile auch einstimmig vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten „Wirtschaftsweisen“, gefordert werden, sind für Kollatz keine Option, da sie vermeintlich nur in die dauerhafte, massive Verschuldung führen.
Rechtlich notwendig ist eine dergestalte Sparpolitik trotz „Schuldenbremse“ keinesfalls. Zwar gilt ab 2020 das Nullverschuldungsgebot des Grundgesetzes auch in Berlin, doch es kann im Falle einer Notsituation ausgesetzt werden. Alle Bundesländer und auch der Bund nutzen jetzt diese Möglichkeit. Berlin wird sich hierauf ebenfalls im geplanten zweiten Nachtragshaushalt berufen. Beim ersten konnte eine Neuverschuldung noch durch Abbau der geplanten Überschüsse vermieden werden. Finanziert wurden unter anderem der Kauf von Schutzkleidung, medizinisches Gerät sowie die Kapitalerhöhungen für die Messe und Flughafengesellschaft.
Grundlage für die Aufstellung des zweiten Nachtragshaushalts ist die Steuerschätzung vom Mai. Die Steuermindereinnahmen 2020/21 betragen nach Berechnungen der Finanzverwaltung rund 4,7 Milliarden Euro. Das sind 10% des Haushaltsvolumens in 2020 und 5,2% in 2021. Erst 2022 werden die Steuereinnahmen voraussichtlich wieder das Niveau von 2019 erreichen. Im günstigsten Fall fehlen 2020/21 rund 6 Milliarden Euro, die überwiegend durch Neuverschuldung gedeckt werden müssten.   
                       
Gretchenfrage Tilgungszeitraum           
Die Neuverschuldung in einer Notsituation muss nach den Vorgaben des Grundgesetzes in einem angemessenen Zeitraum getilgt werden. Die Länder sind aber frei, diesen Zeitraum zu bestimmen. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist ein möglichst langer Tilgungszeitraum sinnvoll, da der Staat Schulden nie absolut tilgt, sondern aus ihnen „herauswächst“. Zudem soll durch das Neuverschuldungsverbot der Schuldenbremse die Schuldenlastquote (Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung) langfristig gegen Null gesenkt werden. Der vom Finanzsenator als Spargrund angeführte coronabedingte Anstieg der Berliner Verschuldung auf das Niveau von 2011 sagt wenig aus, da die Schuldenlastquote überwiegend durch Wachstum von 58,2% im Jahr 2011 auf 37,5%  in 2019 gesunken ist.
Dennoch legte sich Kollatz früh auf einen kurzen Tilgungszeitraum von 10 Jahren fest. Bei einer Neuverschuldung von 6 Milliarden Euro müsste Berlin dann jährlich mindestens 2% des Gesamthaushalts für die Tilgung aufbringen. Geld, das dann nicht für andere Ausgaben zur Verfügung steht. Ausgerechnet das CDU/FDP-regierte Nordrhein-Westfalen zeigt, dass es auch anders geht. Dort soll die Neuverschuldung „konjunkturgerecht in 50 Jahren“ getilgt werden. Hamburg oder Bayern sehen immerhin 20 Jahre vor.
Glücklicherweise haben einige Berliner Sozialdemokraten die Fehler der Sarrazin-Ära nicht vergessen. Wie schon zuvor bei der Einbeziehung der Extrahaushalte in die Landesschuldenbremse (MieterEcho 405/ Oktober 2019) folgte der SPD-Landesvorstand dem eigenen Senator nicht. Stattdessen wird eine Tilgung in 20 bis 30 Jahren ab 2023 präferiert. Eine klare Absage wurde auch den Kürzungswünschen des Finanzsenators bei den Bezirken erteilt. Grüne und Linke unterstützen diese Haltung.
Ein möglichst langer Tilgungszeitraum ist vor allem wichtig, weil das Konjunkturbereinigungsverfahren des Bundes, an dem sich auch Berlin orientiert, nur kurzfristig Spielräume für Mehrausgaben ermöglicht. Schon nach wenigen Jahren wird voraussichtlich eine konjunkturelle Normalisierung festgestellt werden, obwohl die Krise noch nicht völlig überwunden sein wird. Daher besteht in den nächsten Jahren ohnehin Konsolidierungsdruck, der durch einen kurzen Tilgungszeitraum mit hohen Raten nicht verstärkt werden sollte.
In einem dem MieterEcho vorliegenden Strategiepapier des SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh wird die Linie einer antizyklischen Fiskalpolitik bekräftigt, das heißt, die Konjunktur soll durch Neuverschuldung angekurbelt werden. Des weiteren ist eine Stärkung der sozialen, wirtschaftlichen und digitalen Infrastruktur gefordert. Doch die mögliche Umsetzung bleibt bisher vage. Es stellt sich vor allem die Frage, ob und wann Berlin ein eigenes Konjunkturprogramm auflegen wird. Vorbilder könnten die kommunalen Investitionsprogramme ab dem Jahr 2009 sein. Der Fokus sollte dabei stärker auf Gesundheit, Verkehrswende, Wohnen und Digitalisierung ausgerichtet sein.   

                             
Mehr Landesbeteiligungen sinnvoll           
Es verwundert, dass von Seiten der Landespolitik bislang nicht die Forderung nach Landesbeteiligungen erhoben wird. Gerade weil aufgrund der Spezifik der Corona-Krise sowohl der private Konsum als auch die Unternehmensinvestitionen deutlich einbrechen werden, bleibt eine öffentliche Investitionsoffensive unerlässlich. Zu finanzieren wäre diese über eine erhöhte coronabedingte Neuverschuldung. Die aufzunehmenden Mittel könnten einem Sondervermögen zugeführt und dann über 50 Jahre getilgt werden, zumal Berlin für langfristige Anleihen weiterhin keine Zinsen zahlen muss. Aus der Corona-Krise ist schon jetzt die Lehre zu ziehen, dass nur ein handlungsfähiger Staat und ausreichende öffentliche Güter Leben retten können. Auch ist der investive Nachholbedarf Berlins nach Jahren der Sparpolitik weiterhin groß. 
Kaum diskutiert wird auf Landesebene bisher die Notwendigkeit, Unternehmen auch mit der Zuführung von Eigenkapital zu stützen. Der Bund hatte bereits im März reagiert und den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gegründet. Ausgestattet mit einer Kreditermächtigung in Höhe von 100 Milliarden Euro hat dieser Fonds die Aufgabe, die Kapitalbasis von relevanten Unternehmen, die coronobedingt in die Krise geraten sind, zu stärken. Neben direkter Zuführung von Eigenkapital sind stille Beteiligungen und nachrangige Schuldverschreibungen vorgesehen. Aus einer verteilungspolitischen Perspektive sind direkte Kapitalbeteiligungen zu befürworten, da die öffentliche Hand so an den zukünftigen Unternehmenserfolgen angemessen beteiligt wird. Kapitaleigentümer präferieren dagegen immer Maßnahmen, die ihre Unternehmensanteile nicht langfristig schmälern. Der Staat soll die Risiken tragen, aber an den Erträgen nicht beteiligt werden. Da der WSF nur für größere Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens 43 Millionen Euro vorgesehen ist, wäre das Land Berlin gut beraten, einen eigenen Fonds aufzulegen. Bayern hat dies bereits getan und eine Kreditermächtigung von 20 Milliarden Euro erteilt. Eine Eigenkapitalzuführung nebst späterer Gewinnbeteiligung des Landes sollte zudem an klare Auflagen wie Tariftreue und Arbeitsplatzsicherung gekoppelt werden. Für viele kleinere Start-up-Unternehmen stünde dann erstmals die Frage der Tarifbindung auf der Tagesordnung.
Mit dem von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) geplanten kommunalen Schutzschild steht eine weitere Entscheidung an. Zum einen will der Bund für das Jahr 2020 die Hälfte der Ausfälle der Gewerbesteuer ausgleichen und zum anderen die Hälfte der kommunalen Kassenkredite übernehmen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bei der Gewerbesteuer müsste die Entlastung aber auch für 2021 und 2022 gelten. Denn die Einnahmeeinbrüche werden die Kommunen noch lange begleiten. Bei den Kassenkrediten muss es eine Bonusregelung für Stadtstaaten geben, die keine Kassenkredite zum Ausgleich von Liquiditätsengpässen halten dürfen.

Extrahaushalte sind Sondervermögen des Bundes oder der Länder, die unabhängig vom übrigen Vermögen verwaltet werden, in Berlin z.B. die Bäderbetriebe oder die Hochschulen. Von einer stillen Beteiligung spricht man, wenn Kapital zugeführt wird und der Kapitalgeber dafür am Gewinn beteiligt wird. Bei einer nachrangigen Schuldverschreibung erhält der Darlehensgeber sein Geld im Fall einer Insolvenz erst, nachdem die Verpflichtungen gegenüber anderen Gläubigern erfüllt sind. Kommunale Kassenkredite werden von Kommunen bei finanziellen Engpässen bei Kreditinstituten aufgenommen. Damit werden kurzfristige Differenzen zwischen geplanten Einnahmen und fälligen Ausgaben überbrückt.


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