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MieterEcho 419 / August 2021

Krankenhausschließungen gefährden Ihre Gesundheit

Das Wenckebach-Klinikum in Tempelhof-Schöneberg soll geschlossen werden – Proteste von Beschäftigen und Anwohner/innen werden vom Senat ignoriert

Von Carl Waßmuth

Der Klinikkahlschlag geht weiter. Bedroht ist aktuell das Wenckebach-Klinikum in Tempelhof-Schöneberg, ein
Krankenhaus mit 440 Betten, mitten in Berlin.

Der Träger Vivantes behauptet, es wäre nur ein Umzug ins Auguste-Viktoria-Klinikum. Dort wird zwar neu gebaut, aber nur für den eigenen Bedarf. Für Beschäftigte und Patient/innen des Wenckebach-Klinikums ist kein Platz. Aber trotzdem werden seit Jahresbeginn Betriebsteile verlagert und damit die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses gefährdet. Die Zustände drohen chaotisch zu werden, viele Beschäftigte haben gekündigt. Ersatz zu finden ist einer solchen Situation schwer.

Die Schließung des Wenckebach-Klinikums erscheint absurd; war doch gerade die stationäre Versorgung seit März 2020 in Berlin ein extrem knappes Gut. Man würde erwarten, dass an einer Behebung von festgestellten Schwächen gearbeitet wird. Bezahlung und Arbeitsbedingungen vor allem im Bereich der Pflege sind so schlecht, dass in den Krankenhäusern an allen Ecken und Enden Personal fehlt. Gesundheitsminister Jens Spahn sieht bei den Krankenhäusern hingegen eine Überversorgung, vor allem in den Ballungsgebieten. Tatsächlich können sich gerade in den großen Städten Krankenschwestern und -pfleger oft die Miete nicht mehr leisten und ziehen weg oder wechseln den Beruf. 

Bundesweit 700 Standorte gefährdet

Seit Anfang 2020 mussten in Deutschland bereits zwanzig Kliniken schließen. Gerade in Stoßzeiten wird es auf den Stationen und in den Rettungsstellen oft mehr als eng. Aber es kann noch schlimmer kommen: Kürzlich forderte der Vorsitzende des sogenannten Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, die Schließung von 700 Krankenhäusern in Deutschland. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das ausführende Organ des Bundesgesundheitsministeriums. 

Hecken eröffnete damit eine neue Runde in der Schließungsdebatte. Bereits 2019 hatte die Bertelsmann-Stiftung es geschafft, mit der Forderung nach flächendeckenden Krankenhausschließungen in die Primetime der ARD zu kommen. Auch der neuerliche Angriff auf Deutschlands Krankenhäuser ist ernst gemeint.  Um die Schließungen einfacher durchsetzen zu können, soll nach dem neuen Vorschlag das Grundgesetz geändert werden. Bisher liegt die Verantwortung für die Krankenhäuser bei den Ländern, für das Klinikschließungsprogramm soll der Bund die Zuständigkeit übertragen bekommen. 700 Schließungen würden an 700 Standorten zu einer stationären Unterversorgung führen, 700mal müssten tausende Menschen im Notfall weiter fahren, ganze Regionen und Stadtviertel würden abgehängt.  

SPD trägt die Pläne mit

Mit der Schließung der Krankenhäuser verschwinden weder die Erkrankungen noch die Patient/innen, es müsste Ersatz geschaffen werden. Ein Krankenhaus entspricht vom Bauvolumen her einer Wohnanlage mit durchschnittlich 75 Wohnungen. 700 Kliniken abzureißen und anderswo neu zu bauen kann verglichen werden mit dem Abriss und Neubau einer Stadt mit 100.000 Einwohner/innen.

Vielerorts kämpfen Beschäftigte inzwischen gemeinsam mit Anwohner/innen gegen drohende Schließungen. In Berlin wurde Anfang des Jahres die Initiative „Wenckebach muss bleiben“ ins Leben gerufen. Bei den Berliner Verantwortlichen beißen die Aktiven allerdings bisher auf Granit. Das Klinikum liegt zwar unweit vom Wohnsitz des scheidenden Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Als Bundestagskandidat rührt er für das Krankenhaus dennoch keinen Finger. Auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) wohnt in der Nähe. Sie hat der Schließung im Aufsichtsrat zugestimmt, verweigert der Initiative aber jede Antwort auf Anfragen. Der Tempelhofer Linken-Abgeordnete Philipp Bertram  hat angeboten, der Initiative einen Gesprächstermin bei der Senatorin zu vermitteln. Aber auch er wird seit Monaten hingehalten. 

Vielleicht hilft es ja, dass bald wieder gewählt wird. Schließungen dürfte den Menschen derzeit besonders schwer vermittelbar sein: Sie sollten zu Hause bleiben, haben teilweise Arbeit und Einkommen verloren, und das vor allem, um das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Der droht jetzt aber trotzdem. 

 

Carl Waßmuth ist Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Der Verein tritt für die Bewahrung und umfassende Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen ein, insbesondere der Daseinsvorsorge.


MieterEcho 419 / August 2021