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MieterEcho 416 / April 2021

Kampf um den Freiraum am Fernsehturm

Die Initiative Offene Mitte Berlin stemmt sich gegen die Privatisierung und Bebauung des Areals

Von Matthias Grünzig

Im Zentrum Berlins, rings um den Fernsehturm, besteht eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite befindet sich hier ein Ensemble, das mit genau jenen sozialen und ökologischen Qualitäten aufwarten kann, die heute aktueller denn je sind. Hier befinden sich über 2000 Wohnungen in bester Innenstadtlage, die sich allesamt im Eigentum der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte befinden und auch für Normalverdiener bezahlbar sind. Hier gibt es einen großen öffentlichen Freiraum, in dem sich jeder aufhalten kann und der von einer vielfältigen Nutzerschaft bevölkert wird. Hier existieren große Grünflächen mit zahlreichen Bäumen, die das Stadtklima positiv beeinflussen. Und hier stehen natürlich wichtige Architekturikonen, wie der Fernsehturm, die zu den Attraktionen Berlins gehören.

Doch gleichzeitig ist dieses Ensemble seit Jahren massiven Angriffen ausgesetzt. Immer wieder melden sich gut organisierte Interessengruppen zu Wort, die eine Privatisierung und Bebauung des Freiraumes propagieren. Vor allem die Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin betreibt eine systematische Kampagne für eine Bebauung dieses Raums. Diese Konflikte bilden den Hintergrund für das Engagement der Initiative Offene Mitte Berlin (IOM), die sich seit über fünf Jahren für die Erhaltung und Weiterentwicklung des Freiraumes einsetzt. 

Bereits im Herbst 2013 beschloss das Abgeordnetenhaus ein ergebnisoffenes Bürgerbeteiligungsverfahren mit dem Titel „Alte Mitte – neue Liebe“, in dem über die Zukunft dieses Gebietes entschieden werden sollte. Auf der Auftaktveranstaltung am 18. April 2015 unterschrieben die baupolitischen Sprecher/innen aller Fraktionen des Abgeordnetenhauses ein „Dialogversprechen“ und versicherten, dass sie die Ergebnisse des Partizipationsverfahrens akzeptieren würden. Es folgte eine Vielzahl an Veranstaltungen, wie Fachcolloquien, Bürgerwerkstätten, Foren, Online-Dialoge, „Partizipatives Theater“ und eine Jugendbeteiligung. Insgesamt beteiligten sich rund 100.000 Bürger/innen an dem Verfahren. 

Eine wichtige Zwischenetappe bildete das Halbzeitforum am 5. September 2015, auf dem die Bürger per TED-Abstimmung über verschiedene Thesen zur Zukunft des Gebietes befinden konnten. Zur Auswahl standen sowohl die Erhaltung des Freiraums als öffentlicher Grünraum, als auch die Privatisierung und Bebauung des Gebietes. Eine klare Mehrheit votierte für die Weiterentwicklung des Freiraums als öffentlicher, nicht kommerzieller Raum und eine grüne Oase. Außerdem wurden eine Verkehrsberuhigung und eine bessere Gestaltung des Spreeufers gefordert.

Starke Privatisierungslobby

Dieses Bürgerbeteiligungsverfahren bildete auch die Keimzelle der IOM. Denn in den Veranstaltungen trafen sich Bürger/innen, die sich für diesen öffentlichen Freiraum begeisterten. Sie alle standen vor einem gemeinsamen Problem: Damals gab es zwar starke Interessengruppen, die für eine Privatisierung und Bebauung eintraten. Es existierte aber keine Initiative, die sich explizit für den Erhalt des öffentlichen Freiraumes engagierte. Gleichzeitig war allen bewusst, dass der Raum auch unter Defiziten litt und deshalb weiterentwickelt werden musste. Ein Problem waren die Autoschneisen der Spandauer Straße und der Karl-Liebknecht-Straße, die den Raum zerschnitten. Ein weiteres Defizit war die wenig einladende Gestaltung des Spreeufers. Problematisch war zudem die Nutzung der angrenzenden Gebäude. Dort gab es neben den Wohnungen auch attraktive Gewerbegeschosse, die allerdings wenig einfallsreich genutzt wurden. Filialisten und andere kommerzielle Angebote sorgten für Eintönigkeit. Unser Ziel war eine vielfältige Nutzungsmischung mit kulturellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. 

Die Konflikte ließen nicht lange auf sich warten. Denn nach den Ergebnissen des Halbzeitforums bestand die Gefahr, dass das Dialogverfahren abgebrochen würde. Die Planungsgruppe Stadtkern bezeichnete das Verfahren als „verschwendetes Geld“ und forderte seinen Abbruch. Das Hauptanliegen der IOM bestand deshalb zunächst darin, das Verfahren überhaupt zu Ergebnissen zu führen. Dieses Ziel wurde mit der Erarbeitung von zehn sogenannten „Bürgerleitlinien“ erreicht. Darin wurden wichtige Eckpunkte wie die Erhaltung des Freiraumes als öffentlicher, nicht kommerzieller Raum und seine Entwicklung zu einer grünen Oase festgeschrieben. Weitere Punkte waren eine vielfältigere Nutzung der angrenzenden Gebäude und die Reduzierung des Autoverkehrs. 

Der nächste Streit ging um die Frage, ob die Bürgerleitlinien durch das Abgeordnetenhaus beschlossen werden sollten. Die Planungsgruppe Stadtkern fuhr starke Geschütze auf, um den gesamten Beteiligungsprozess zu diskreditieren. In dem Verfahren wären „fachlich nicht ausgebildete Personen nach ihren Vorstellungen und Vorlieben“ befragt worden, und die Ergebnisse seien deshalb irrelevant. Doch auch diese Intervention blieb erfolglos. Am 9. Juni 2016 beschloss das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen aller Fraktionen die Bürgerleitlinien für die Berliner Mitte. Anschließend ging es darum, die Bürgerleitlinien mit Leben zu füllen. Ein erster Erfolg war die Eröffnung der Stadtwerkstatt in der Karl-Liebknecht-Straße im Sommer 2018. Dort entstand ein vielseitig nutzbarer Veranstaltungs- und Ausstellungsraum. In der Stadtwerkstatt finden Beteiligungsveranstaltungen zu Projekten der Senatsverwaltungen statt, daneben können aber auch Initiativen eigene Projekte vorstellen. Auch die IOM nutzte die Stadtwerkstatt für eigene Veranstaltungen.

Wettbewerb mit Bürgerbeteiligung

Ein zweiter Schwerpunkt war eine attraktivere Gestaltung der Grünflächen und eine Erhöhung der Aufenthaltsqualität. Am 14. Januar 2021 wurde ein diesbezüglicher Wettbewerb ausgelobt, dem ein umfangreicher Bürgerbeteiligungsprozess vorausging. Zwischen Ende 2018 und der coronabedingten Schließung im März 2020 fanden zahlreiche Partizipationsveranstaltungen statt, auf denen die Bürger/innen ihre Vorstellungen einbringen und auf Augenhöhe mit Mitarbeiter/innen der Verwaltung und Wissenschaftler/innen Zukunftsthemen der Stadt erörtern konnten. Fragen des Regenwassermanagements und der Biodiversität spielten ebenso eine Rolle, wie die Verkehrswende und die Anpassung an den Klimawandel. 

Im Rahmen dieser Debatte kristallisierten sich auch neue Fragen heraus. So zeigten viele Bürger/innen großes Interesse an der Geschichte des Ensembles. Die IOM reagierte darauf mit einem umfangreichen Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm. Im Februar und März 2019 fand in der Stadtwerkstatt die Ausstellung „Der Komplex Karl-Liebknecht-Straße – zwischen Utopie und Realität“ statt. Im Oktober 2019 folgte die Ausstellung „50 Jahre Berliner Fernsehturm – zwischen Alltagsleben und Weltpolitik“, die bis zum Januar 2020 auf dem Freiraum am Fernsehturm gezeigt wurde. Parallel dazu gab es Vortragsreihen, bei der renommierte Expert/innen und Zeitzeug/innen zur Architektur, zur Landschaftsarchitektur und zur Kunst am Bau referierten. 

Ein weiterer Schwerpunkt war der Verkehr. Laut den Bürgerleitlinien sollten die Spandauer Straße und die Karl-Liebknecht-Straße, die den Freiraum zerschneiden, eine Verkehrsberuhigung erfahren. Doch die zuständige Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz unternahm wenig Aktivitäten, um diesen Beschluss des Abgeordnetenhauses umzusetzen. 

Daher entwickelten wir im Frühjahr 2019 ein Konzept für eine Verkehrsberuhigung. Unserer Forderung verliehen wir durch ein „autofreies Protestpicknick“ am 31. August 2019 öffentlichkeitswirksamen Nachdruck. Gemeinsam mit anderen Klimaschutz- und Verkehrsinitiativen haben wir die Spandauer Straße temporär gesperrt. 

Das Ergebnis all dieser Aktivitäten ist ein Auslobungstext zum Wettbewerb Rathausforum/Marx-Engels-Forum, der auch viele unserer Vorstellungen beinhaltet. Nach den jetzigen Planungen soll der Wettbewerb im August 2021 abgeschlossen werden. Doch auch nach dem Wettbewerb wird noch viel zu tun bleiben. Eine Herausforderung bleibt der Verkehr. Wir wollen den Bereich um den Fernsehturm zu einem Modellgebiet für die Verkehrswende machen, mit einer autofreien Flaniermeile vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor. Und als Fernziel streben wir eine Kommunalisierung der Fernsehturm-Umbauung an, damit auch hier attraktive Nutzungen entstehen können. Der Initiative Offene Mitte Berlin werden jedenfalls auch künftig nicht die Themen ausgehen.

 

Matthias Grünzig arbeitet als als freier Journalist und Bauhistoriker und engagiert sich in der Initiative Offene Mitte Berlin.


MieterEcho 416 / April 2021