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MieterEcho 419 / August 2021

Im Fahrwasser der Deregulierung

In Schweden ist Vonovia zum größten privaten Wohnungsanbieter avanciert – Mieter/innen fürchten Verdrängungsdruck durch Modernisierungen

Von Defne Kadioglu

Vonovia ist 2018 in den schwedischen Wohnungsmarkt eingestiegen. Dort investiert sie vor allem in den bezahlbaren Mietwohnungssektor, der heute vorrangig von sozial benachteiligten Gruppen bewohnt wird. Trotz regulierter Mieten profitiert der Wohnungskonzern vor allem durch individuelle und häufig oberflächliche Wohnungsmodernisierung. Doch unter schwedischen Mieter/innen regt sich zunehmend Widerstand.

Schweden gilt allgemein als Vorbild, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Das gilt auch für den Wohnungsmarkt. In den 1930er Jahren etablierte sich neben privaten Genossenschaften ein gemeinnütziger, öffentlicher und für alle zugänglicher Mietwohnungssektor (in Schweden bekannt als allmännyttan). Im Zuge dieser Entwicklung ging der Anteil privater Mietwohnungen erheblich zurück. Zudem wurde der öffentliche Wohnungsbau in den 1960er und 1970er Jahren noch einmal deutlich angekurbelt: In einer Zeitspanne von knapp zehn Jahren finanzierte und subventionierte der schwedische Staat den Bau von über einer Million weitgehend erschwinglichen Wohnungen. Bis heute ist das sogenannte Millionenprogramm als eines der ambitioniertesten sozialdemokratischen Wohnungsbauprojekte weit über die Grenzen Skandinaviens bekannt. 

Allerdings kann man gerade am Wohnungsmarkt sehen, dass die Vorstellung vom schwedischen Egalitarismus heute nur noch bedingt der Realität entspricht. Die Liberalisierung des Wohnungsmarktes, die bereits kurz nach Beendigung des Millionenprogramms begann, hat eine immer noch fortwährende Privatisierungswelle angestoßen, in der öffentliche Mietwohnungen entweder in privatrechtliches Genossenschaftseigentum umgewandelt oder an private Wohnungsunternehmen veräußert werden. Letzteres geschieht seit 2011 immer häufiger, da die liberal-konservative Regierung in Stockholm ein Gesetz erlassen hatte, das öffentliche Wohnungsanbieter dazu anhält, nach „unternehmensähnlichen” Prinzipien – also profitorientiert zu wirtschaften. Dies hat vor allem in Stockholm, aber auch in anderen schwedischen Städten eine enorme Verkaufswelle befeuert. Seit 2011 wurde rund ein Fünftel der öffentlichen Mietwohnungen in Schweden privatisiert. 

Vonovia seit 2018 aktiv

Die Vonovia betrat den schwedischen Wohnungsmarkt 2018, indem sie das schwedische Wohnungsunternehmen „Victoria Park” mit 14.000 Wohnungen akquirierte. Der große Coup kam allerdings ein Jahr später, als Vonovia den schwedischen Wohnungsbetreiber „Hembla” mit 21.500 Wohnungen von der amerikanischen Investmentfirma Blackstone übernahm. Somit wurde der deutsche Immobilienriese auf einen Schlag zum größten privaten Wohnungsanbieter in Schweden. Namentlich operiert sie allerdings immer noch unter den schwedischen Firmennamen, was dazu führt, dass viele Mieter sich gar nicht bewusst sind, dass ihr neuer Vermieter aus Deutschland kommt. Dabei hat sich Vonovia vornehmlich in die Vororte der schwedischen Städte, also in die Mietwohnungshäuser aus der Zeit des großen Bauprogramms, eingekauft. Dort leben heute vor allem sozial benachteiligte Menschen, viele mit Migrationshintergrund. Über 12 Milliarden Kronen (rund 1,2 Milliarden Euro) blätterte Vonovia allein im Stockholmer Vorort Husby für etwa 1500 Einheiten hin. Das ist mehr als doppelt so viel, als ihr Vorgänger Blackstone erst drei Jahre zuvor ausgegeben hatte. Angesichts dieses Investments stellt sich natürlich die Frage, wie genau der Konzern von den Häusern profitiert. 

Im Gegensatz zu den Finanzinvestoren, die zuvor aktiv waren, verfolgt Vonovia eine eher langfristige Strategie. Immer wieder bekundete Geschäftsführer Rolf Buch das Interesse von Vonovia am schwedischen Wohnungsmarkt. Und dies trotz einer immer noch relativ strengen Regulierung der Mieten. Jährlich werden sie zwischen dem Mieterverbund („Hyregästföreningen“) und den öffentlichen und privaten Wohnungsanbietern verhandelt. Dadurch werden zumindest große Mietsprünge in der Regel vermieden. Auch Zwangsräumungen sind in Schweden immer noch die Ausnahme. Mieten dürfen nur dann signifikant angehoben werden, wenn der Wohnungsstandard erhöht wird. Allerdings ist die genaue Trennungslinie zwischen einer normalen Instandhaltung und einer Erhöhung des Standards recht unklar. Dies ist zum Nachteil der Mieter/innen, denn somit ist es für ein Wohnungsunternehmen relativ leicht, durch Maßnahmen wie etwa eine Küchenrenovierung erhebliche Mietsteigerungen einzufordern. Diese Regelungen machen den schwedischen Wohnungsmarkt trotz der staatlichen Regulierungen, für Vonovia attraktiv. 

Nun ist vor allem der Bestand in den Siedlungen aus dem Wohnungsbauprogramm stark renovierungsbedürftig, die Gebäude wurden über Jahrzehnte vernachlässigt. Vonovia forciert nun, ähnlich wie andere private Wohnungsunternehmen im Land, individuelle Modernisierungen der Wohnungen – in der Regel aber nur, wenn die bisherigen Bewohner/innen ausziehen. Damit vermeidet sie Proteste und mühsame Verhandlungen mit Mieter/innen. Eine solche Modernisierung, in der vor allem Bad und Küche renoviert, aber auch Luxuselemente wie Bodenheizungen installiert werden, führen dann nach eigenen Aussagen vonVonovia zu Mietsteigerungen von bis zu 50%.

Diese Form der Modernisierung, in Schweden als „konceptrenovering” bekannt und verschrien, führt allerdings zu starkem Unmut unter den Betroffenen. Recherchen des Instituts für Stadtforschung an der Universität Malmö haben gezeigt, dass Mieter/innen sich zum einen durch den ständigen Lärm, der durch Renovierungsarbeiten in benachbarten Wohnungen entsteht, belästigt fühlen. Zum anderen berichten viele von einer Vernachlässigung der Instandhaltung. Einige Mieter/innen fühlen sich dazu gedrängt, in bereits renovierte (und somit teurere) Wohnungen umzuziehen. Außerdem scheint die Qualität der Renovierungsarbeiten zu wünschen übrig zu lassen. So wurden zum Beispiel Wasserschäden in bereits renovierten Wohnungen dokumentiert. Vonovia benutzt für die veralteten Wasserrohre die sogenannte Relining Methode, bei der alte Plastikrohre von innen neu beschichtet werden. Das gilt als günstiger und umweltfreundlicher, da ein komplettes Aufbrechen der Wände vermieden werden kann. Allerdings hat die Methode auch Nachteile, da es einer  aufwendigen Verdämmung zwischen den einzelnen Rohrübergängen bedarf. Wird dies nicht ordentlich gemacht, entstehen die genannten Wasserschäden.

Mieterschutz ist bedroht

In Husby plant Vonovia auch Neubau. Auf einem verkehrsgünstig (U-Bahn-Anschluss) gelegenen Grundstück, auf dem derzeit ein altes Einkaufszentrum steht, sollen nun 600 neue Wohnungen entstehen. Wie das Mietniveau aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Allerdings wird davon ausgegangen, dass der Neubau vor allem für die gutverdienenden IT-Angestellten, die in dem benachbarten Technopark im Stadtteil Kista arbeiten, konzipiert wird. Dies könnte dann in dem bisher wenig populären Husby auch klassische Gentrifizierungsprozesse in Gang setzen. 

Noch bietet das schwedische Mietregulierungsgesetz Schutz vor deutlichen Mietsprüngen. Allerdings könnte sich das auch bald ändern: Die von den Sozialdemokraten geführte Minderheitsregierung hat einem „Marktmietengesetz” zugestimmt, welches besagt, dass die Mieten für Neubauwohnungen (nach dem 1. Juli 2022 erbaut) frei vereinbart werden können, ohne Beteiligung der Mietervereinigungen. Das würde dann auch den geplanten Wohnungsneubau von Vonovia miteinschließen. Noch bleibt es allerdings spannend: Die schwedischen Linken haben der Regierung daraufhin die Unterstützung entzogen und sie damit Ende Juni zum Fall gebracht. Inzwischen gibt  es eine von den Linken tolerierte Neuauflage, als Übergangsregierung. Diese hat das Gesetz aber vorläufig auf Eis legen müssen. 

Der stärker werdende Widerstand gegen weitere Deregulierungen und auch gegen Immobilienriesen wie die Vonovia kommt von der Basis. Organisationen wie „Ort till Ort“ („von Quartier zu Quartier”), aber auch die lokalen und regionalen Organisationen des Mieterverbundes steuern den Entwicklungen auf dem schwedischen Wohnungsmarkt kräftig entgegen. Dabei wird Berlin gerne als Beispiel für eine effektive Mieterbewegung herangezogen. Es scheint an der Zeit zu sein, die Kräfte weiter zu vereinen. 

 

Defne Kadioglu ist Sozialwissenschaftlerin und seit 2019 Postdoktorantin am Institut für Stadtforschung der Malmö Universität. Seit April 2020 erforscht sie gemeinsam mit Ilhan Kellecioglu die Praktiken der Vonovia im Stadtteil Husby in Stockholm.


MieterEcho 419 / August 2021