Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 409 /

Hängepartie um einen Plattenbauriegel

Bezirksamt Mitte strebt Rekommunalisierung in der Habersaathstraße an

Von Rainer Balcerowiak            

Nach langem Hin und und Her ist das Bezirksamt Mitte inzwischen offenbar wild entschlossen, gegen den Leerstand im Wohnblock Habersaathstraße 40 - 48 vorzugehen und den vom Besitzer angestrebten Abriss zu verhindern. Derzeit sind nur noch 20 der 106 Wohneinheiten in dem 1984 errichteten Plattenbauriegel aus der DDR-Wohnungsbauserie WBS 70 bewohnt. Bis 2006 war der Block, der zeitweilig auch als Schwesternwohnheim für die nahe gelegene Charité diente, im Besitz des Landes Berlin, bis er für zwei Millionen Euro an einen Investor verkauft wurde.               


Außer einer energetischen Fassadensanierung passierte in den folgenden Jahren nicht viel, dennoch konnte der Block 2017 für die – offiziell nicht bestätigte – Summe von 20 Millionen an die Arcadia Estates Habersaathstraße 40 - 48 GmbH verkauft werden. Deren Gesellschafter und Geschäftsführer Andreas Pichotta setzt seitdem alle Hebel in Bewegung, um die verbliebenen Mieter/innen aus dem Block zu drängen und den baurechtlich eigentlich zulässigen Abriss wegen „mangelnder wirtschaftlicher Verwertbarkeit“ zu realisieren. Neubauwohnungen mit hohem Standard wären in dieser Lage nach Experten-Einschätzung für  8 bis 10.000 Euro/qm zu vermarkten. Die verbliebenen Mieter/innen setzte Pichotta unter anderem mit horrenden Mieterhöhungsankündigungen für angeblich geplante Modernisierungen und bei Verweigerung der Zustimmung mit Verwertungskündigungen unter Druck. Wenn das nicht fruchtete, gab es auch Angebote, die Wohnungen freiwillig gegen Entschädigungen von bis 30.000 Euro zu verlassen, wie Mieter/innen dem Tagesspiegel berichteten. In den Häusern werden keine Reparaturen mehr durchgeführt, einen Hausmeister gibt es nicht.             

      
Die phänomenale „Wertsteigerung“ dieser Immobilie erklärt sich aus der Lage. Denn seitdem bekannt wurde, dass quasi direkt gegenüber an der Chausseestraße die inzwischen bezogene neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes entstehen würde, erlebte dieser vormals eher schmuddelige nördliche „Wurmfortsatz“ der Flaniermeile Friedrichstraße einen Aufwertungs- und Verdrängungsprozess. Im neuen Umfeld der aufwändig modernisierten Häuser und Neubauten wirkt der eher unansehnliche Waschbetonklotz wie ein Fremdkörper.   

                                   
Eigentumswohnungen als Ersatz?   
Für örtliche Initiativen und das Bezirksamt handelt es sich hingegen in erster Linie um schützenswerten bezahlbaren Wohnraum. Das Bezirksamt hat die Abrissgenehmigung bislang verweigert und beruft sich dabei auf die verschärfte Fassung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes von 2018. Demnach müsste bei einem Abriss Ersatzwohnraum in entsprechender Größenordnung mit einem maximalen Erstvermietungspreis von 7,92 Euro/qm nettokalt geschaffen werden, was der Besitzer kategorisch ablehnt. In der Tat ist diese Festlegung juristisch umstritten. Im August 2019 verpflichtete das Berliner

 

Verwaltungsgericht den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf in erster Instanz zur Erteilung einer Abrissgenehmigung für ein 1960 errichtetes Wohnhaus mit 30 inzwischen komplett entmieteten Wohnungen und bezeichnete in seinem Urteil die in der Zweckentfremdungsverbotsverordnung festgelegten Höchstmieten für Ersatzneubauten nach einem Gebäudeabriss als „nichtig“. Der Eigentümer will als „Ersatz“ auf einer wesentlich größeren Gesamtwohnfläche 60 Eigentumswohnungen errichten. Für die Richter/innen dient dies der Versorgung des allgemeinen Wohnungsmarkts, da die „Luxusgrenze“ nicht überschritten werde. Das Zweckentfremdungsverbot schütze Wohnraum nicht um seiner selbst willen und diene auch nicht dem Schutz der Mieter, heißt es in der Urteilsbegründung. Vielmehr solle es den Wohnraumbestand vor Nutzungen zu anderen als Wohnzwecken bewahren und hierdurch die Wohnraumversorgung sichern. Von diesem Regelungszweck sei aber eine Mietpreisregulierung für neu geschaffenen Ersatzwohnraum nicht gedeckt.         

                                                  
Leerstand nicht beseitigt       
Im Bezirksamt Mitte nährte dieses noch nicht rechtskräftige Urteil erhebliche Zweifel, ob man den eingeschlagenen Weg im Fall Habersaathstraße fortsetzen könne. Doch inzwischen ist man dazu entschlossen. Der Besitzer soll auch mit Zwangsgeldern unter Druck gesetzt werden, um die Wiedervermietung der derzeit leerstehenden Wohnungen zu erreichen. Eine entsprechende Anordnung erging bereits im Februar 2019, doch das Prozedere ist äußerst langwierig. Der Besitzer hat Widerspruch eingelegt und das entsprechende Verfahren muss für jede einzelne Wohnung geführt werden.   

         
Doch Ephraim Gothe (SPD), der Baustadtrat von Mitte, sieht den Bezirk am längeren Hebel, da die juristische Auseinandersetzung um den abgelehnten Abrissantrag voraussichtlich viele Jahre dauern würde und es möglicherweise erst vor dem Bundesverfassungsgericht eine endgültige Entscheidung gäbe. Und eine derartige Hängepartie entspricht nach Gothes Einschätzung in diesem Fall wohl kaum den Verwertungsinteressen des Investors. Geprüft wird daher auch die Möglichkeit einer Rekommunalisierung. Ein von der Linksfraktion in die Bezirksverordnetenversammlung eingebrachter Entschließungsantrag konnte wegen der Corona-Krise noch nicht beraten und abgestimmt werden. Er sieht unter anderem vor, die Möglichkeit zu prüfen, ob der erstmalige Verkauf im Jahr 2006 annulliert und die Rekommunalisierung durch das Land Berlin vorbereitet werden kann. Weiter heißt es dort: „Der Erhalt des Wohngebäudes muss einhergehen mit der schnellstmöglichen Beendigung des dortigen Wohnungsleerstandes und der Vermietung der Wohnungen. Es ist von hoher wohnungs- und mietenpolitischer Bedeutung, dass besonders im Zentrumsbereich der Stadt leistbarer Wohnraum langfristig erhalten bleibt.“

 

Als möglicher Käufer käme die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) in Betracht. Ein entsprechendes Angebot habe er dem Besitzer bereits übermittelt, hat Gothe auch den verbliebenen Mieter/innen mitgeteilt.    

Es gibt also durchaus Chancen, dass dieser Block in bester Innenstadtlage auch langfristig als bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt. Wobei der dann vom Land zu entrichtende Kaufpreis um ein Vielfaches über dem 2006 erzielten Erlös liegen würde. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass der Berliner Senat eine bittere Quittung für die desaströse Privatisierungspolitik des rot-roten Vor-Vorgängersenats erhält.  


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