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MieterEcho 416 / April 2021

Grundstücksnutzung als Leihkapital

Notizen zur Renaissance des Erbbaurechts in der Bundesrepublik

Von Karl-Heinz Schubert

Sollte sich der Berliner Senat einigen und das Bodensicherungsgesetz wirksam werden, dann werden künftig landeseigene Grundstücke, die vom Senat in einem Bodenfonds zusammengefasst werden, nur noch im Wege des Erbbaurechts an private Investoren vergeben. Dass Rot-Rot-Grün das Erbbaurecht als wichtigen Hebel zur Beseitigung der Wohnungsnot ansieht, ist kein Zufall.

Als es in Deutschland im 19. Jahrhundert durch die sich entfaltende kapitalistische Produktionsweise zur kontinuierlichen Verwertung von Grund und Boden als Ware kam, hatte dies eine frappierende Wohnungsnot in den Großstädten und industriellen Ballungsräumen zur Folge. Doch das davon massiv betroffene Proletariat war politisch unterdrückt und von daher nicht in der Lage, sich zu wehren und wohnungspolitische Konzepte mit antikapitalistischer Ausrichtung zu entwickeln. So entstanden zunächst in sozialreformerischen Kreisen des Bürgertums Pläne, den sozialen Sprengstoff Wohnungsnot kapitalkonform zu entschärfen: Aus „besitzlosen Arbeitern“ sollten nun „arbeitende Eigentümer“ werden. Dem Massenmietshaus als Domäne der Bodenspekulation wurde die aufgelockerte Vorstadt- und Gartensiedlung als Wohnmodell für „kleine Leute“ entgegengestellt. Das Genossenschaftsmodell entwickelte sich dabei zu einem beliebten Reformkonzept, das auch in der Sozialdemokratie Anklang fand, weil es sich auf den Mehrfamilienhausbau anwenden ließ. Im Schatten dieser Entwicklung entwickelte sich das Erbbaurecht, das auf der rechtlichen Trennung von Grundstück und Immobilie basiert. Diese Form des Hausbaus sollte vor allem dem Kleinbürgertum eine finanzielle Möglichkeit eröffnen, in „eigenen vier Wänden“ zu wohnen. Um Grund und Boden erbbaurechtlich in Zins abwerfendes Leihkapital verwandeln zu können, mussten vom Staat erst die passenden zivil-, bau- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. 1900 wurde das Erbbaurecht schließlich ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Im Zuge der Novemberrevolution wurde es dort gestrichen und 1919 als „Verordnung über das Erbbaurecht" inhaltsgleich weitergeführt. Diese wurde 1957 in „Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG)“ umbenannt und gilt – nur geringfügig geändert – noch heute. 

Ein komplexes Rechtsinstitut

Auf den ersten Blick erscheint das Erbbaurecht als einfaches Instrument, um aus einem real existierenden Grundstück rechtlich ein zweites – mit dem ersten „grundstücksgleiches“ – zu generieren. Zustande gekommen durch einen Erbbaurechtsvertrag, ausgestattet mit einem eigenen Grundbucheintrag, kann darauf eine Immobilie, belastet mit Grundsteuer, für einen vertraglich festgelegten Zeitraum (oft bis zu 90 Jahren) errichtet werden. Für diese leihweise Überlassung erhält der das Grundstück verleihende Erbbaurechtsgeber einen Erbbauzins vom Erbbaurechtsnehmer für die gesamte Vertragslaufzeit. Dieser wird an eine Wertsicherungsklausel gebunden, wonach der Geber in festen Abständen den Erbzins nach vertraglich vereinbarten Kriterien (z.B. Preisindex, Mieteinnahmen, Bodenwert) erhöhen kann. Ebenfalls müssen sich die Vertragsparteien einigen, dass die vom Nehmer errichtete Immobilie und die dazugehörigen Einrichtungen nach Ablauf der Leihzeit nicht entschädigungslos in das Eigentum des Gebers übergehen, sondern in welcher Höhe Entschädigung gezahlt wird. Rechtlichen Gestaltungsbedarf gibt es vor allem für Bauwerk und Nutzung auf dem Erbbaugrundstück, des Weiteren beim Handel mit der Liegenschaft. So kann der Geber sein Grundstück verkaufen oder die Erbbauzinsen verbriefen und damit spekulieren. Auf der anderen Seite kann der Nehmer sein fiktives Grundstück ebenfalls weiterverkaufen oder auch in fiktive Teilgrundstücke zerlegen, um darauf Eigentumsimmobilien zu errichten. Da solche und weitere ökonomische Interessen der Vertragspartner oft sehr widersprüchlich sind, hat sich das Erbbaurecht mittlerweile zu einem komplexen Rechtsinstitut entwickelt. 

Heute sind in der Bundesrepublik 5% aller Wohnflächen auf Erbbaugrundstücken errichtet. Die meisten davon auf Kirchengütern. Diese Rechtsform zum Bau von Eigenheimen ist besonders für Kirchen profitabel, verfügen sie von alters her über riesigen Grundbesitz. Gesamtwirtschaftlich wenig bedeutsam ist das Erbbaurecht bisher für Gewerbegrundstücke und Mehrfamilienhäuser, sowie zur Verbriefung des Erbbauzinses für Fonds. 

Durch die sukzessive Demontage des fordistischen Sozialstaats zeigte sich im vergangenen Jahrzehnt immer mehr, dass geeignete Instrumente zur Regulierung von Krisen im Reproduktionsbereich und zur Milderung sozialer Verwerfungen fehlen. Besonders signifikant trat dieser Mangel im Bereich des urbanen Wohnens zu Tage. Bedeutete Gentrifizierung anfänglich für die Betroffenen lediglich Umzug, so kann heute die Verdrängung aus der Wohnung direkt in die Obdachlosigkeit führen. Angesichts dessen entdeckten die Kirchen und mit ihnen kooperierende Parteien und Verbände im Erbbaurecht einen Hebel, der Wohnungsnot mit „bezahlbarem“ Wohnraum begegnen zu können, ohne in Widerspruch zu den Praktiken der „unternehmerischen Stadt“ zu geraten, wo Daseinsvorsorge, Förderung und sozialer Schutz nach kapitalistischen Kosten/Nutzen-Kriterien angeboten werden. Dazu organisierte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) 2018 und 2019 einen sogenannten Fachdialog „Erbbaurechte – ein Beitrag zur Bereitstellung von Wohnbauland für den bezahlbaren Wohnungsbau?“ – allerdings mit zwiespältigen Ergebnissen. Bezeichnenderweise findet das Erbbaurecht in der im Januar 2020 vom BMI veröffentlichten 20-seitigen Checkliste „Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Kommunen“  keine Erwähnung.

Bislang bescheidene Nachfrage

​Mag das Verleihen von nicht mehr benötigtem bäuerlichem Boden für den Bau eines Einfamilienhauses noch als einfaches Vertragsgeschäft ablaufen – die Anwendung des Erbbaurechts auf städtischen Grund und Boden zur Errichtung von Mietshäusern mit „bezahlbaren“ Mieten gleicht derzeit eher einer Black Box. Brauchbare Vertragsvorlagen gibt es mangels Erfahrungen für solche Erbbaurechtsimmobilien bundesweit bis heute nicht.  Entsprechende Erfahrungen aus anderen Ländern können nur bedingt herangezogen werden, da ihnen wie z.B. in Großbritannien ein völlig anderes Erbbaurecht zu Grunde liegt. Und wenn der Erbbauzins deutlich über dem seit einem Jahrzehnt fallenden Kapitalzins liegt, gerät das Erbbaurecht in Verruf, zu teuer zu sein. So sinkt seitdem z.B. in den Niederlanden die Nachfrage nach Erbbaurechtsgrundstücken rapide. Rotterdam und Utrecht haben gegengesteuert und ihre Erbbaurechtsgrundstücke in preiswertes Eigentum für die Erbbaurechtsnehmer umgewandelt.

In Berlin hat sich – obgleich ökonomisch mit ca. 30 Erbbauprojekten bedeutungslos – die TRIAS-Stiftung, die mit der Maryon-Stiftung und der GLS-Bank eng verbunden ist, als Erbbaurecht-Influencer etablieren können. Diese Firma, geprägt von der Ideenwelt Rudolf Steiners, ist Gründungsmitglied des 2012 von ihr mit ins Leben gerufenen „Runden Tisches Liegenschaftspolitik“, der die Berliner Landesregierung seitdem mit stadt- und bodenpolitischen Ideen versorgt. 2016 hat Rot-Rot-Grün, den Vorschlägen dieses Spektrums folgend, die Nutzung des Erbbaurechts für die Vermarktung landeseigener Grundstücke in ihren  Koalitionsvertrag aufgenommen und die Aufgabe der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) übertragen. Laut Tagesspiegel vom 2. Mai 2018  hatte die BIM innerhalb von sechs Monaten gerade einmal vier Erbbaurechtsverträge abschließen können. Größere Vollzugsmeldungen blieben in der Folgezeit aus. Der ausbleibende Vollzug ist angeblich eine Folge der zu hohen Erbbauzinsen, wurde im November 2020 verlautbart. Und durch die Halbierung der Erbbauzinsen für 20 Jahre könnten angeblich mehr Erbbaugrundstücke abgesetzt werden. Wer sich die vier derzeit in der EU-weiten Ausschreibung befindlichen Erbbaurechtsprojekte (insgesamt ca. 10.000 qm) auf der BIM-Internetseite ansieht, kann unschwer erahnen, dass der Zinsfuß nicht allein das Hemmnis ist, private Investoren als Vertragspartner zu finden. Auf drei Grundstücken soll ein „nichtgewinnorientiertes, selbstverwaltetes und / oder selbstgenutztes Wohnangebot“ errichtet werden. Das vierte soll für ein „nichtgewinnorientiertes Angebot für künstlerische Produktion, Präsentation und Begegnungen“ verwendet werden. Diese Ziele und ihre Erbbaurechtsbedingungen sind nicht verhandelbar.


MieterEcho 416 / April 2021