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MieterEcho 416 / April 2021

Gewinner und Verlierer der Corona-Pandemie

Während Wohnungs- und Gewerbemieter/innen zunehmend unter Druck geraten, freuen sich Immobilienunternehmen über blendende Geschäfte

Von Andrej Holm

Die ersten wohnungspolitischen Diskussionen in der Geschichte waren eng mit hygienischen Argumenten verbunden. Die Angst vor der Ausbreitung von Seuchen und Revolten brachte selbst bürgerliche Kreise zu der Überlegung, die Gewinnaussichten der Vermietung zu reduzieren. Gustav Schmoller rief in seinem Mahnruf zur Wohnungsfrage (1892) dazu auf, für die Bewältigung der Wohnungskrise auf Gewinne zu verzichten: „Die besitzenden Klassen müssen (…) endlich einsehen, daß selbst wenn sie große Opfer bringen, dies nur (…) eine mäßige, bescheidene Versicherungssumme ist, mit der sie sich schützen gegen die Epidemien und gegen die socialen Revolutionen“ .

Die Geschichte der Wohnungspolitik hat seither sehr deutlich gemacht, dass es mit der Einsicht der Besitzenden nicht weit her ist und weder kleine noch große Verzichte freiwillig erfolgen. In der aktuellen Praxis wird auch die Corona-Pandemie als eine Gefahr für die jeweils anderen angesehen, zu deren Eindämmung die Immobilienwirtschaft keinen Beitrag zu leisten bereit ist.

Der Lockdown definiert das Zuhause als den sichersten Ort in Zeiten der Pandemie. Mit Home-Office und Home-Schooling haben neue Begriffe ihren Weg in den Wortschatz der Alltagssprache gefunden und zeigen, dass Wohnungen mit neuen Anforderungen verbunden sind. Viele Familien bemerkten in der Corona-Krise, dass ihre Wohnungen für die nun geforderten Funktionen zu klein oder ungeeignet waren. Die bis dahin eher zaghaft genutzte Wohnungstauschbörse der landeseigenen Wohnungsunternehmen erlebt seit April letzten Jahres einen regelrechten Boom der Anfragen. Fast alle Tauschgesuche zielten auf einen Umzug in eine größere Wohnung. Wenn alle dasselbe suchen, bietet die Tauschidee keine Lösung. Besonders Haushalte mit geringen Einkommen, die in zu kleinen Wohnungen leben, haben derzeit keine Chance, diese Situation zu ändern.

Wohnungslose besonders betroffen

Gerade dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, bietet die Wohnung auch nur geringen Schutz vor einer Infektion. Die Corona-Hotspots des letzten Jahres zeigen, dass sich die Ansteckung unter den Bedingungen der Überbelegung schneller verbreitet, wie statistische Daten belegen. Familien in zu kleinen Wohnungen sind nicht nur einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, sondern leiden auch stärker unter den Schutzmaßnahmen. Ohne eigene Zimmer für die Kinder und eigenen Garten lassen sich die Einschränkungen des Lockdowns kaum kompensieren und die Überschneidung von sozialer Isolation und Überbelegung kann sich schnell zu einer gefährlichen Mischung der Überlastung verdichten.

Hinzu kommt die Existenzangst durch die Einkommensverluste im Zuge der Corona-Krise. Beschäftigte in Kurzarbeit, Soloselbständige und kleine Unternehmen haben deutliche Einschnitte, die durch Kurzarbeitergeld und Corona-Hilfen – wenn überhaupt – nur anteilig ausgeglichen werden. Da Mieten für Geschäftsräume und die Wohnungen zu den fixen Ausgabeposten zählen, steigt die prozentuale Mietbelastung nochmals an. Schon vor der Pandemie zahlten in Berlin über 640.000 Haushalte mehr als 30% ihres Einkommens für die Miete (Wohnungsbedarfsbericht 2018). Konkrete Zahlen für die aktuelle Situation liegen noch nicht vor, aber es braucht wenig Fantasie, sich vorzustellen, dass sich die Lage nicht verbessert haben kann.

Besonders dramatisch ist die Situation von Wohnungslosen. Wenn alle zu Hause bleiben sollen, weil wir dort am besten geschützt sind, ist es skandalös, wenn Wohnungslose auf der Straße oder in überfüllten Unterkünften und Notstellen übernachten müssen. Kurzfristig wäre hier eine Belegung von ungenutzten Hotels und langfristig die Vergabe von Wohnungen die Lösung.

Ein Jahr Corona zeigt jedenfalls deutlich, dass die Lasten sehr ungleich verteilt sind. Für den Wohnbereich lassen sich Verlierer und Gewinner relativ eindeutig zuordnen. Die Immobilienbranche ist – auch nach eigenen Aussagen – bisher gut durch die Krise gekommen und kann sogar steigende Gewinne vermelden.

Obwohl es massive Einkommenseinbußen, steigende Zahlen von Menschen gibt, die auf Transferleistungen angewiesen sind und auch viele kleine Geschäfte auf ihre Einnahmen verzichten müssen, gibt es nur wenige Beispiele für einen Verzicht oder wenigstens eine Reduzierung von Mietforderungen. Selbst der von der Bundesregierung beschlossene Kündigungsschutz in den ersten Monaten der Pandemie musste durch eine zusätzliche Verzinsung bei der Rückzahlung der Mietrückstände versüßt werden, um den Segen der Immobilien-Lobby zu erhalten. Im Gewerbemietrecht berufen sich die Vermietenden auf die juristische Floskel des „Verwendungsrisikos“ seitens der Gewerbetreibenden. Wenn es keine Einnahmen gibt, sei das ja nicht die Schuld der Vermietenden und deshalb gebe es auch keinen Grund für einen Mietverzicht. Wer nicht zahlen kann, weil der Laden dicht machen musste, hat Pech gehabt. Wenn kleine Gewerbetreibende Rücklagen und Altersversorgung zur Deckung der laufenden Kosten aufbringen müssen, fließt ein großer Teil davon auf die Konten der Immobilienbesitzer.

Während andere Branchen rote Zahlen schreiben, Insolvenzen anmelden und auch die vielen auf Kurzarbeit Gesetzten und Soloselbständigen sich um ihre Existenz sorgen müssen, verkündet die Immobilienbranche beruhigende Nachrichten: „Gewerbemieten trotzen der Corona-Krise“, „Immobilienbesitzer müssen sich keine Sorgen machen“ und „Höhere Immobilienrenditen im Umland“ lauten die Schlagzeilen des wirtschaftsnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln in den letzten Monaten. Insbesondere der „Wohnimmobilienmarkt erweist sich in der Corona-Krise als erstaunlich robust, weder die Kaufpreise noch die Mieten haben nachgegeben – im Gegenteil, es gab sogar teilweise weitere Preissteigerungen“ schreibt Michael Voigtländer im IW-Kurzbericht zum Jahresende 2020.

Verwertungschancen dank Corona

Auch das Herbstgutachten der Immobilienwirtschaft kommt zu der Einschätzung, dass „bei vermieteten Wohnungen (…) bislang keine besonderen Verwerfungen durch Corona entstanden“ seien. Nur bei 0,6% der Mietverhältnisse seien demnach Mietrückstände zu verzeichnen. Neben den Maßnahmen der Bundesregierung führt das Herbstgutachten auch die zynische Erklärung an, dass durch die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie „die Konsumausgaben der Haushalte gesunken“ seien, so dass sich trotz sinkender Einkommen „die Mietzahlungsfähigkeit nicht verschlechtert“ habe. Wie zutreffend diese Einschätzungen waren, zeigen aktuelle Geschäftszahlen. Vonovia – mit über 400.000 Wohnungen das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland – verkündete für das Jahr 2020 einen Jahresgewinn von 1,3 Milliarden Euro (Handelsblatt 4.März 2021).

Dass Vorteile nicht nur trotz, sondern wegen Corona möglich sind, zeigen neue Verwertungsstrategien in Berlin. Presseberichten zufolge kontaktierte der Immobilienhändler Einar Skjerven in den letzten Monaten über 100 inhabergeführte Hotels, um mögliche Verkaufsabsichten zu erfragen. Ziel sei es, die durch die ausbleibenden Gäste in Schwierigkeiten geratenen Hotels in Berlin in exklusive Wohnapartments umzuwandeln und für „gewerbliches Wohnen“ zu nutzen (Neues Deutschland, 3.März 2021). Das lohnt sich auch, weil die Erstvermietung nach einer solchen Umwandlung nicht unter die Regeln des Mietendeckels fällt.

Von der geforderten Solidarität der Besitzenden mit der Allgemeinheit scheinen wir heute genauso weit entfernt wie zu Gustav Schmollers Zeiten. Dass es in einer auf Markt und Leistung getrimmten Gesellschaft keinen freiwilligen Verzicht auf mögliche Erträge und Gewinne gibt, sollte nicht verwundern. Eine angemessene Beteiligung der Immobilienwirtschaft an den Kosten der Krise kann nur über staatliche Interventionen erfolgen. Der inzwischen auch bundesweit geforderte Mietenstopp weist da in eine richtige Richtung. Kurzfristig sollten die Schutzmechanismen für Kündigungen ausgeweitet und um die Aufhebung des zurzeit bestehenden Rückzahlungsgebots von Mietrückständen ergänzt werden. Langfristig – wie bei so vielen Wohnungsfragen – wird nur die Ausweitung von öffentlichen und nicht profitorientierten Wohnungsbeständen helfen. Die Pandemie hat hier keine neuen Probleme offengelegt, aber die Dringlichkeit für eine Neuausrichtung des Wohnungswesens jenseits der Marktlogik verstärkt.    


MieterEcho 416 / April 2021