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MieterEcho 419 / August 2021

Eine Holding für die landeseigenen Wohnungsunternehmen

Andrej Holm und Jan Kuhnert wollen die Debatte um die Neuausrichtung der kommunalen Wohnraumversorgung neu entfachen

Von Rainer Balcerowiak

Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) gelten als Herzstück der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin. Sie bewirtschaften über 330.000 Wohnungen, das entspricht einen Anteil von knapp 20% am gesamten Mietwohnungsbestand.    

Der Bestand wird nach den derzeitigen Senatsplänen weiter steigen, sowohl durch Neubau, als auch durch Ankäufe von privaten Unternehmen. Derzeit wird über ein Paket von rund 20.000 Wohnungen verhandelt, das nach der Fusion der Deutsche Wohnen mit Vonovia von dem neuen Konzern übernommen werden soll.

Doch wird die Berliner Konstruktion von sechs eigenständigen, privatwirtschaftlich als AG‘s oder GmbH‘s verfassten Unternehmen den Erfordernissen einer umfassenden sozialen Wohnraumversorgung als Teil der öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge gerecht? Mit Sicherheit nicht. Denn durch die private Rechtsform, werden die Unternehmen, bei denen es sich faktisch um Konzerne mit unzähligen Tochterfirmen und Beteiligungsgesellschaften handelt, der unmittelbaren Kontrolle des Parlaments entzogen und auf Gewinnerzielung getrimmt. Und dies phasenweise exzessiv: In der heißen Phase des ungebremsten Neoliberalismus wurden überwiegend in den 1990er und 2000er Jahren rund 300.000 Wohnungen an private Eigentümer übertragen. Gleichzeitig kam der Neubau weitgehend zum Erliegen.

Bereits 2014 forderte die von der Berliner MieterGemeinschaft initiierte Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW) eine grundlegende Neuausrichtung und Neuformierung der LWU und deren Überführung in unmittelbare öffentliche Trägerschaft, als Eigenbetrieb des Landes oder als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR). Ursprünglich war dies auch eine der Grundforderungen des Mietenvolksentscheids, wurde aber bis zur Unkenntlichkeit verwässert und in dem nach erfolgreicher erster Stufe des Volksbegehrens mit dem damals amtierenden SPD/CDU-Senat ausgehandelten „Kompromiss“ faktisch begraben. Zwar gibt es seit 2016 eine AöR Wohnraumversorgung Berlin (WVB). Doch dabei handelt es sich um eine nicht rechtsfähige und vermögenslose Anstalt des öffentlichen Rechts des Landes Berlin, welche lediglich „Beratungsaufgaben“ gegenüber dem Senat und den sechs LWU und keinerlei relevanten Einfluss auf deren Unternehmenspolitik hat. 

LWU sind überfordert

Der Stadtsoziologe Andrej Holm und der wohnungswirtschaftliche Unternehmens- und Kommunalberater Jan Kuhnert, der bis vor kurzem auch als einer der beiden Vorstände der WVB tätig war, wollen diese Thematik jetzt wieder auf die politische Tagesordnung setzen und haben Ende Juni eine Broschüre veröffentlicht, mit dem Titel: „Die nächsten Schritte zur sozialen Ausrichtung und Stärkung der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Ein Diskussionsvorschlag“ Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die LWU in ihrer jetzigen Form „von den politisch formulierten Anforderungen an eine öffentliche Wohnungswirtschaft überfordert“ sind. Als Beispiele werden „das wiederholte Unterlaufen von politischen Beschlüssen zu Mietverzichten, der Widerstand der Geschäftsführungen gegen höhere WBS-Quoten bei der Wiedervermietung, gegen eine Erhöhung des Anteils von Sozialwohnungen an Neubauprojekten sowie gegen stärkere Beteiligungsrechte der Mieter/innen“ genannt. Aber vor allem beim Neubau sehen die Autoren erhebliche strukturelle Mängel. „Bis 2030 sollen insgesamt etwa 200.000 neue Wohnungen in Berlin errichtet werden.(...) Das Verfehlen der landeseigenen Ziele für die Legislaturperiode 2016 bis 2021 zeigt, dass die Bau- und Planungskapazitäten der LWU trotz steigender Fertigstellungen und Planungen den notwendigen Neubauanstrengungen nicht gewachsen sind. Viele Neubauprojekte der LWU werden durch externe Bauträger errichtet. Die von den sechs LWU an Baufirmen (direkt) vergebenen Aufträge betrafen in den vergangenen Jahren (2017 bis 2019) gerade einmal 2.500 Wohnungen pro Jahr. Den ambitionierten Zielen für den öffentlichen Wohnungsbau stehen zurzeit unzureichende Ressourcen und Kapazitäten der LWU gegenüber, die auch auf strukturelle organisatorische Defizite zurückgehen.“ Die derzeitige Struktur von 6 unabhängigen Unternehmen in unterschiedlichen Gesellschaftsformen erschwere „den Auf- und Ausbau von übergreifenden und für die öffentliche Wohnungswirtschaft insgesamt notwendigen Planungs- und Baukapazitäten.“ Das betreffe besonders die Grundstücksakquise, die Durchführung von Erschließungsarbeiten, die Übernahme der Bauherrenfunktion und die Planung von größeren Neubauprojekten. Fazit: „Für übergreifende Koordination solcher spezialisierter Kapazitäten fehlt eine in die Gesellschaften durchgreifende Steuerung.“ Zumal der derzeitige politische Steuerungsaufwand, mit sechs Geschäftsführungen, sechs Aufsichtsräten und sechs unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Zielvorgaben der eigentlichen Aufgabenstellung diametral entgegenstehe.

Stufenplan für eine Holding

Zur Lösung dieses drängenden Problems haben Holm und Kuhnert einen Stufenplan „für eine strukturelle Veränderung der öffentlichen Wohnungswirtschaft in Berlin“ entwickelt. Er umfasst einen Zeitraum von 2021-26. Erster Schritt wäre die Gründung einer Managementeinrichtung als AöR mit einem gemeinsamen Aufsichtsrat aller LWU als Kontrollorgan. Für die nächste Stufe ist die Gründung einer Bausteuerungs-GmbH als Tochter der AöR geplant, um die Neubautätigkeit zu bündeln und zu optimieren. In dieser Phase soll auch die Gründung einer Holding als Dach für die LWU vorbereitet werden, die dann in der Stufe ab 2024 als AöR gegründet werden soll. Die LWU sollen als „bestandshaltende Objektgesellschaften“ erhalten bleiben, unterlägen aber der operativen Steuerung durch die Holding, bei der auch die Finanzkraft der LWU gebündelt wäre. Dafür würde das Land Berlin seine Gesellschafteranteile an den LWU in die AöR einbringen. Nach derzeitigem Stand wären das 505 Millionen Euro. Der Verwaltungsrat der Holding soll dann mehrheitlich von Vertreter/innen des Senats besetzt werden und ernennt auch den dreiköpfigen Vorstand für die Bereiche Finanzen/Controlling, Bestandsverwaltung und Technik/Bau. Skizziert wird auch die Gründung eigener Tochterfirmen der Holding, etwa für die Bauausführung und die Bauelementeproduktion. Ziel ist ferner die Schaffung eigener Planungskapazitäten, um alle Prozesse umfassend steuern zu können und nicht mehr auf die Dienste externer Planer angewiesen zu sein. Die bestehenden Tochterfirmen der LWU sollen schrittweise in die Holding integriert werden. 

Neben dem Erwerb größerer Bestandspakete und – zusammen mit der Bodenfondsgesellschaft des Landes – von für Wohnungsbau geeigneten Grundstücke, sollen seitens der Holding auch größere Areale erworben werden, von denen nur Teile für künftigen Wohnungsbau vorgesehen oder geeignet sind. Dies betreffe insbesondere größere Konversionsflächen bisheriger industrieller Nutzungen, heißt es dazu in dem Konzept. „Hierdurch kann der Kaufpreis niedriger gehalten werden, als für den Fall, dass nur für Wohnungsbau geeignete Teilflächen erworben werden. Auch ist zu prüfen, ob in einer solchen Zusammenarbeit durch Umsiedlungen und Flächenoptimierungen aus bisherigen gewerblich genutzten Flächen Grundstücke für den Wohnungsbau gewonnen werden können.“ Noch in der Prüfungsphase befindet sich die wirtschaftsrechtliche Konstruktion der Holding, weil dabei recht komplizierte Fragen des Steuerrechts und der Eigenkapitaleinbringung der bestehenden LWU gelöst werden müssen.  

2026 sollen dann die Regelungseffekte der Holding-Konstruktion evaluiert und gegebenenfalls optimiert werden. Ferner soll die Verwaltung der Wohnungsbestände dann auf die bezirkliche Ebene verlagert werden. Es geht also um Zentralisierung der Steuerung bei gleichzeitiger Dezentralisierung der Verwaltung. Denn bislang sind die auch für Mieter/innen und Wohnungssuchende relevanten Anlaufstellen anhand der jeweiligen Bestände der LWU organisiert.  

Zwar hört sich dieses Konzept auf den ersten Blick recht technokratisch an, doch im Kern enthält es tatsächlich wesentliche Elemente für eine Neuausrichtung der kommunalen Wohnraumversorgung und des kommunalen Wohnungsbaus. Berlin würde damit nicht zum neuen „roten Wien“ werden. Aber es wäre ein wichtiger Aufschlag, um den systemischen Fehlern der Berliner Wohnungspolitik auf den Grund zu gehen. Ganz im Sinne der INKW.


MieterEcho 419 / August 2021