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MieterEcho 413 / Dezember 2020

Ein hochprofitables Geschäftsmodell

Die Accentro Real Estate AG präsentiert sich als führender deutscher Wohnungsprivatisierer

Von Joachim Maiworm

Nach monatelangem internen Streit verständigte sich die Bundesregierung Anfang November im Baulandmobilisierungsgesetz auf Beschränkungen für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Im September noch hatte das Innenministerium das sogenannte Umwandlungsverbot nach Kritik seitens der Wohnungswirtschaft aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Unter den Kritikern befand sich die Accentro Real Estate AG, die Umwandlung als erfolgreiches Geschäftsmodell betreibt.

Ob es sein könne, dass eines der größten Gesetzesvorhaben der Regierungskoalition an „Partikularinteressen von Unternehmen wie Accentro“ scheitern könne, fragte sich deshalb der Immobilienexperte der Tageszeitung Die Welt am 4. Oktober. Nicht ganz unbegründet, nachdem der ehemalige Vorstand von Accentro, Jacopo Mingazzini, im Frühjahr zu einem politischen Rundumschlag ausgeholt hatte. In einem Beitrag für die Immobilienzeitung vom März 2020 warf er der CDU/CSU vor, sich zwar einerseits für die Förderung von Wohneigentum auszusprechen, sich andererseits aber „zum Komplizen der größten Eigentumsbehinderungsaktion der Nachkriegsgeschichte“ zu machen. Die Verbalattacken erzielten zunächst ihre Wirkung. Nach dem politischen Hin und Her erhielt die Hoffnung von Accentro, mit einer neuen mieterfeindlichen Entscheidung der Bundesregierung zusätzlichen Rückenwind zu erhalten, jedoch einen Dämpfer.

Der in Berlin stark angefeindete Konzern preist sich selbst an als marktführend bei der Wohnungsprivatisierung in Deutschland. Sein Kerngeschäft besteht darin, deutschlandweit Wohnungsbestände zu kaufen, zu modernisieren, in Eigentumswohnungen umzuwandeln und anschließend an Mieter/innen, Eigennutzer/innen und vor allem Kapitalanleger/innen teuer zu verkaufen. Den räumlichen Schwerpunkt legt Accentro dabei auf Berlin und weitere „aussichtsreiche Metropolregionen“ wie Hamburg, Rhein-Ruhr, Rhein-Main und Leipzig. Das seit dem Jahr 2007 börsennotierte Unternehmen profitiert nach eigener Darstellung von der Kombination aus der hohen Nachfrage nach Wohneigentum (Anlage suchendes Kapital), kontinuierlich steigenden Mieten und niedrigen Zinsen. Seit 2009 konnten so bundesweit über 15.000 Wohnungen verkauft werden. Der aktuelle Wohn-Preisspiegel des Branchenverbands IVD bestätigte jüngst den positiven Trend von Accentro. Danach stiegen die Preise für Eigentumswohnungen in Berlin im ersten Halbjahr dieses Jahres bundesweit am stärksten (11,5% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum) – trotz Mietendeckels und Corona-Krise, die die Nachfrage offenbar nicht dämpfen konnten.

Im laufenden Geschäftsjahr treibt die Accentro AG deshalb ihr Wachstum voran und baut ihren bundesweiten Bestand weiter aus. So erwarb das Unternehmen seit Anfang 2019 in der Hauptstadt, der Region Rhein-Ruhr (Duisburg, Essen) und anderen wichtigen deutschen Ballungsräumen insgesamt etwa 1.200 Einheiten. Mitte des Jahres verfügte der Konzern über ein zum Verkauf bestimmtes Vorratsportfolio von über 2.200 Wohnungen, davon rund 1.300 in Berlin. Eigentümer der Wohnungsbestände sind die 35 Tochtergesellschaften der als Holding agierenden Accentro Real Estate AG. Und mit denen müssen sich die von Umwandlungen betroffenen Mieter/innen auseinandersetzen.

Mieterproteste

Bewohner/innen von sieben betroffenen Häusern aus verschiedenen Bezirken Berlins schlossen sich deshalb im Accentro-Häuser-Netzwerk zusammen und veröffentlichten im Juli 2020 einen Offenen Brief an den Konzern, den Regierenden Bürgermeister, die damalige Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen sowie die zwölf Bezirksbürgermeister/innen. Darin äußern sie ihre Angst, mittels Eigentumsumwandlung früher oder später aus ihrem angestammten Wohnumfeld verdrängt zu werden. Sie berichten von massiven Belastungen, denen sie während Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgesetzt sind (Entfernung von Asbest, Wasserschäden, Ausfall von Heizungen, Warmwasser und Strom) sowie von Einschüchterungsversuchen (Androhung von Kündigung, unangekündigten Besuchen, telefonischer Belästigung). Ganz offensichtlich ist die Geschäftsstrategie darauf angelegt, möglichst viele entnervte Mieter/innen zu einem frühzeitigen Auszug zu bewegen. Denn unvermietete Wohnungen lassen sich um so teurer an Kapitalanleger/innen veräußern.

Petra Sommer*, Bewohnerin eines derzeit von Umwandlungen betroffenen Berliner Accentro-Hauses und mietenpolitisch engagiert, berichtete gegenüber dem MieterEcho von mangelhaften Sanierungsarbeiten und einem zunehmenden Leerstand im Gebäude. Es sei schwer erträglich, über einen Zeitraum von bald zwei Jahren unter den Bedingungen einer Dauerbaustelle leben zu müssen. Insbesondere gelte dies in der Corona-Zeit für verbliebene Nachbar/innen, die im Home-Office arbeiten müssten. Nach Meinung der betroffenen Mieterin geht Accentro durchaus geschickt vor. Denn das Unternehmen versuche, den Konflikt mit den Mietparteien den neuen Käufer/innen zu überlassen. Einzelne hätten sich bereits bei ihren Mieter/innen gemeldet und Abfindungen angeboten, um sie
zum Wegzug zu bewegen. Eine besondere Ironie bestehe darin, dass sich der Wohnwert der Wohnungen durch die Modernisierungsmaßnahmen nicht verbessern, sondern verschlechtern würde. Kleine dunkle Wohnungen erhielten nun Balkone, die in dunkle Hinterhöfe ragten. Die „astronomischen“ Verkaufspreise seien deshalb komplett entkoppelt von der angebotenen Wohnungsqualität, so Petra Sommer.

Eigentumsideologie

Einzelne Beispiele aufgerufener Verkaufspreise unvermieteter Wohnungen aus verschiedenen Gebäudekomplexen belegen diese Einschätzung. So bietet das Unternehmen eine 2-Zimmer-Wohnung in der Kreuzberger Monumentenstraße – 55,1 qm, Hochparterre – für 7.511 Euro/qm an. In der Torstraße 225 in Berlin-Mitte soll eine 45 qm große Wohnung, 1900 erbaut, ohne Balkon und im Erdgeschoss gelegen, für nicht weniger als 6.638 Euro/qm den Eigentümer wechseln. Beträge in dieser Höhe widersprechen der Selbstdarstellung von Accentro, dass die „Schaffung von Möglichkeiten des Immobilienerwerbs für breite Bevölkerungsschichten im Mittelpunkt der Unternehmensstrategie und der operativen Aktivitäten stehen“ (Geschäftsbericht 2019). Der Konzern gibt sich sozial, profitiert aber vom Sozialabbau der vergangenen Jahrzehnte. Die Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung und die Teilprivatisierung der Altersorsorge seit Anfang der 2000er Jahre verschafften Firmen wie Accentro eine wesentliche Voraussetzung für ihren Erfolg. Denn die möchten „aus den Deutschen ein Volk von Wohnungseigentümern“ machen, wie der bis März 2020 amtierende Vorstand Jacopo Mingazzini schon vor zwei Jahren gegenüber dem Handelsblatt erklärte. Die Erhöhung der angeblich zu geringen Eigentumsquote hierzulande würde der Vermögensbildung und damit der Altersvorsorge dienen.

Mingazzini, der laut Pressemitteilung nach einer Auszeit von zwei Jahren als Aufsichtsrat in das Unternehmen zurückkehren wird, gründete vor drei Jahren den „Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin“, um unter dem Motto „Wohneigentum ist der beste Schutz vor Altersarmut und steigenden Mieten“ Lobbyarbeit zu leisten. Gaby Gottwald (Die Linke), Mitglied des Abgeordnetenhauses, sprach deshalb gegenüber dem Neuen Deutschland von einer „Verquickung von Geschäftsinteressen eines brachialen Umwandlers mit der steuerbegünstigten Gemeinnützigkeit eines Vereins“, die „augenscheinlich und schamlos“ sei. Mingazzini ist auch Mitglied der Liberalen Immobilienrunde e.V. der FDP und sorgte im Jahr 2017 für den Beitritt von Accentro zum Zentralen Immobilienausschuss (ZIA), der wichtigsten Interessenorganisation kapitalmarktorientierter Immobilienunternehmen. Der politisch umtriebige Immobilienmanager kämpft gegen Milieuschutz und Mietendeckel und sieht nach wie vor einen „Nachholbedarf“ bei der Preisentwicklung in Berlin bei Mieten und Eigentumswohnungen. Für den sozialen Ausgleich soll dabei die Subjektförderung sorgen, zum Beispiel das Wohngeld: „Wer bedürftig ist, soll für eine Weile Unterstützung bekommen“, so Mingazzini gegenüber dem Handelsblatt.

Wer so spricht und handelt, trifft auf widerständige Mieter/innen. Engagierte Betroffene sind im Accentro-Häuser-Netzwerk und in der berlinweiten Initiative #200Häuser organisiert. 

* Name von der Redaktion geändert

 

Weitere Informationen:
www.200haeuser.de


MieterEcho 413 / Dezember 2020