Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 414 / Februar 2021

Der Spekulation einen Riegel vorschieben

Die dramatische Krise der Wohnraumversorgung verlangt nach radikalen Veränderungen in der Boden- und Wohnungspolitik

Von Werner Heinz

Die Nachfrage nach Grund und Boden sowie Immobilien ist gegenwärtig immens. Mit dem Siegeszug des Finanzmarktkapitalismus und der gegenwärtigen Niedrigzinspolitik sind Immobilien zum bevorzugten Investitions- und Spekulationsobjekt für Kapitalanleger geworden. Dies gilt nicht allein für Großstädte und wirtschaftlich attraktive Mittel- und Universitätsstädte; auch auf dem landwirtschaftlichen Grundstückmarkt nimmt das Kaufinteresse anhaltend zu.

Dieser preistreibenden Nachfrage stehen in vielen Städten immer mehr Haushalte gegenüber – zunehmend auch von Angehörigen der Mittelschicht –, die den damit kontinuierlich steigenden Miet- und Bodenpreisforderungen nicht mehr nachkommen können. Jeder 10. Großstadthaushalt gibt mehr als die Hälfte des verfügbaren Einkommens für Miete aus. Das Defizit an bezahlbaren Wohnungen beläuft sich in deutschen Städten auf mehr als zwei Millionen. Zur Verschärfung dieser Probleme haben Bund und Länder mit dem Rückzug aus der Förderung des sozialen Wohnungsbaus maßgeblich beigetragen.

Zur Eindämmung der drastischen Bodenpreissteigerungen und zur „Lösung“ der Wohnungsproblematik wird in jüngerer Zeit eine Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil altbekannter Forderungen erhoben, die von einer veränderten Besteuerung von Grund und Boden über eine Ausweitung planungsrechtlicher Maßnahmen bis zu einer verstärkten Bodenvorratspolitik reichen.

Aktuelle Maßnahmen greifen zu kurz

Große Erwartungen in Bezug auf die Reduzierung von Bodenpreisen hat die aktuelle Grundsteuerreform geweckt. Nach der vom Bundesfinanzministerium vorgeschlagenen Öffnungsklausel liegt es bei den Bundesländern, für welche der verschiedenen Reformvarianten – reine Bodenbesteuerung oder kombinierte Besteuerung von Boden und aufstehenden Gebäuden – sie sich entscheiden. Ziel aller Besteuerungsmodelle ist eine Abschöpfung steigender Bodenwerte bzw. Bodenwertzuwächse und damit von leistungslosen, durch kommunale Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen bewirkten Gewinnen.

Ob und in welchem Umfang die mit der aktuellen Steuerreform erwartete Abkehr von einer spekulativen Zurückhaltung auch unbebauter Grundstücke durch private Eigentümer und eine Ausweitung des Angebots an Bauland erreicht werden, ist offen. Ein verstärkter Verkauf von Grundstücken wird allerdings – vor allem in attraktiven Lagen – kaum zu niedrigeren Bodenpreisen und dem Bau bezahlbarer Wohnungen führen, denn die gegenwärtig vorherrschende Funktion von Boden und Wohnungen als profitable Kapitalanlage wird durch steuerliche Reformen nicht beseitigt. Die Einsatzmöglichkeiten „städtebaulicher Verträge“, mit denen Investoren zur Schaffung von sozialem Wohnraum und zur anteiligen Übernahme von Infrastrukturkosten verpflichtet werden können und mit denen gegenwärtig die höchsten Förderzahlen realisiert werden, sind ebenfalls begrenzt. Denn für neu errichtete Wohnungen, die über § 34 Baugesetzbuch genehmigt werden – und dies sind im Durchschnitt etwa 50% – kommen städtebauliche Verträge nicht in Frage. Sie können auf kommunalen Grundstücken, bei denen privatrechtliche Regelungen möglich sind oder im Rahmen neuen Planungsrechts (Bebauungspläne) – geschlossen werden. Mit Hilfe solcher Verträge wurde in München zwischen 1994 und 2017 Baurecht auf privaten Flächen für mehr als 12.000 öffentlich geförderte Wohnungen geschaffen; im gleichen Zeitraum fiel allerdings eine weit größere Zahl von Wohnungen aus der Sozialbindung. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich in Berlin. Im Kontext des Berliner Modells der kooperativen Baulandentwicklung wurde zwischen 2014 und 2020 der Bau von 7.300 mietpreis- und belegungsgebundenen Wohneinheiten vertraglich vereinbart. Die Zahl der aus der Bindung gefallenen Wohnungen ist jedoch auch hier wesentlich höher.

Die quantitative Wirksamkeit des geltenden Vorkaufsrechts ist in wohnungspolitischer Hinsicht gleichfalls begrenzt. Kommunales Eingreifen ist nur in Gebieten möglich, in denen durch Milieuschutz- oder Erhaltungssatzungen  Gemeinwohlgründe zur Ausübung des Vorkaufsrechts vorliegen. Die Zahl derartiger Gebiete ist begrenzt und die Satzungen sind überdies auf wenige Jahre befristet. Dementsprechend niedrig ist auch die Zahl der Vorkäufe  in den meisten Großstädten. Eine Ausnahme bildet Berlin, wo das Instrument Vorkauf offensiver eingesetzt wird. Zwischen 2015 und 2019 wurden in Milieuschutzgebieten 1.780 Wohnungen über das Vorkaufsrecht erworben. Gleichzeitig konnten über 3.400 Wohneinheiten durch – allerdings zeitlich befristete – Abwendungsvereinbarungen geschützt werden, in denen sich die Eigentümer zum Verzicht auf die Umwandlung in Einzeleigentum und mietpreistreibende Modernisierungen verpflichten.

Für die Schaffung bezahlbarer Wohnungen wird schließlich von vielen Seiten eine aktive Baulandpolitik der Städte und Gemeinden gefordert und die Losung  „Bauen! Bauen! Bauen!“ ausgegeben. Vernachlässigt wird dabei allerdings, dass auch gegenwärtig gebaut wird, zum Teil sogar in beträchtlichem Umfang – nur eben nicht im Marktsegment mit dem größten Fehlbedarf, dem des bezahlbaren Wohnraums. Dieser ist derzeit für private Investoren im Vergleich mit anderen Kapitalverwertungsmöglichkeiten nicht rentabel. Ein dauerhafter, bezahlbarer und der Renditelogik entzogener Wohnungsbestand entsteht nicht als Ergebnis einer „aktiven Baulandpolitik“, sondern erfordert einen wohnungspolitischen Paradigmenwechsel, mit dem bezahlbarer Wohnraum Teil der kommunalen Daseinsvorsorge wird.

Für die Stärkung des wohnungs- und bodenpolitischen Handlungsspielraums der Kommunen wird zunehmend eine Erweiterung des öffentlichen Eigentums an Grund und Boden gefordert. Ein erster, wenn auch begrenzter Schritt ist dabei die Abkehr vom Verkauf von in öffentlicher Hand befindlichen Grundstücken zu Höchstpreisen an Private. Diesen sollten vielmehr befristete Nutzungsrechte mit Gemeinwohlbindungen im Wege des Erbbaurechts eingeräumt werden. Mit diesem Instrument haben Kommunen das Recht, Nutzer und Art der Nutzung zu bestimmen und behalten damit ihre planerischen Gestaltungsmöglichkeiten.

Zusätzlich zum Erhalt soll mit einer gezielten Politik der Bodenbevorratung – die beispielhaft in Ulm bereits seit mehr als 100 Jahren praktiziert wird – und der Einrichtung revolvierend angelegter Boden- und Infrastrukturfonds auch für den Ausbau des kommunalen Grundstückspools gesorgt werden. Diese Fonds sollen ihre durch die Bodenentwicklung erzielten Erträge für den Erwerb neuer Flächen verwenden. Anfang 2020 hat das Land Berlin die Gründung eines solchen Bodenfonds mit einem Volumen von 250 Millionen Euro beschlossen, um eine Flächenreserve für Wohnungsbau und Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu schaffen. 

In den Flächenländern soll der Aufbau kommunaler Boden- und Infrastrukturfonds über Mittel aus den anfangs skizzierten Bodensteuern erfolgen. Eine zusätzliche Unterstützung wird von Bund und Ländern gefordert: mit einer Anschubfinanzierung sowie der Bereitstellung bundes- und landeseigener Grundstücke. Ein aktueller Beschluss des Bundestages kommt dieser Forderung teilweise entgegen. Demnach sollen von den knapp 20.000 Liegenschaften, die die bundeseigene Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet, etwa 5.000 kostengünstig an Kommunen für den Bau von Wohnungen vergeben werden.
Diese Zahlen klingen zunächst hoch, erweisen sich aber angesichts des vorhandenen Bedarfs als vergleichsweise gering. Und die erwarteten Mittel aus Grundsteuer-Einnahmen dürften infolge weiterer kommunaler Aufgaben, die mit ihnen finanziert werden sollen, kaum zum Aufbau eines angemessenen Bodenvorrats reichen.

Zur Bekämpfung der kommunalen Boden- und Wohnungskrise sind die diskutierten wohnungs- und bodenpolitischen Interventionen der öffentlichen Hand weitgehend unzureichend. Es gibt keine an den Ursachen der gegenwärtigen Wohnungs- und Bodenproblematik ansetzende Strategie, kein übergreifendes und weitreichendes Konzept, sondern nur ein Patchwork aus in der Regel befristeten Maßnahmen mit begrenzter Wirksamkeit und unzureichender Quantität. 

Eigentumsrechtliche Eingriffe sind ein Muss

Angesichts des Problemumfangs und der Ursachen der aktuellen Bodenproblematik ist inzwischen ein Kipppunkt erreicht, der einen radikalen,  über befristete und quantitativ unzureichende Eingriffe hinausgehenden Politik- und Paradigmenwechsel erforderlich macht. Mit einer generellen Infragestellung des Privateigentums an Grund und Boden und einer problemadäquaten Ausstattung des kommunalen Handlungs- und Planungsspielraums. Beispiele aus dem Ausland wie Wien und der dortige Kommunale Wohnungsbau oder die auf staatlichem Bodeneigentum basierenden Erbbaurechtspolitiken von Singapur oder den Niederlanden könnten hier als Vorbilder dienen. Boden steht in diesen Staaten zum einen kostengünstig für bezahlbaren Wohnraum und Einrichtungen der Daseinsvorsorge zur Verfügung und kann zum anderen im Erbbaurecht an Private verpachtet werden. 

Nach den Regelungen des Grundgesetzes ist eine solche Bodenpolitik auch hierzulande vorstellbar. Artikel 14 Abs. 2 GG bestimmt, dass „Eigentum verpflichtet“ (...), „sein Gebrauch … zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (soll)“ und Enteignungen im Sinne dieses Wohles zulässig sind (Abs. 3). Nach Artikel 15 kann „Grund und Boden (…) zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Ein in jüngerer Zeit häufig zitierter Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1967 verweist darauf, dass „die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, (es) verbietet, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte (..) vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern“.

Angesichts der zunehmenden Beeinträchtigung des Gemeinwohls und der Wohn- und Lebensverhältnisse von immer mehr städtischen Haushalten durch die Entwicklungen auf dem Boden- und Wohnungsmarkt ist es also höchste Zeit, dass die Interessen der Allgemeinheit über private Profitinteressen gestellt werden. Städtischer Boden müsste folglich – vor allem in den Ballungszentren – sukzessive dem Kapitalverwertungskreislauf und den Profitinteressen einer begrenzten Zahl von Anlegern entzogen und dauerhaft in Gemeinschaftseigentum überführt werden. 

Zur politischen Durchsetzung dieses Ziels gibt es das Instrument der Enteignung gegen Entschädigung. Beim Bau von Autobahnen oder Einrichtungen der Energiewirtschaft sind Enteignungen – anders als im Wohnungssektor – keine Seltenheit. Vorschläge aus jüngerer Zeit gibt es bereits. Auf breite Unterstützung auch von Mieterorganisationen stößt ein in Berlin auf den Weg gebrachtes Volksbegehren der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, das darauf zielt, die Wohnungsbestände großer Wohnungsbauunternehmen mit Gewinnerzielungsabsichten und einem Bestand von mindestens 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu überführen. Im September 2020 wurde das in der ersten Stufe erfolgreiche  Volksbegehren von der Senatsverwaltung für rechtlich zulässig erklärt, die 2. Stufe, bei der rund 180.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt werden müssen, wird voraussichtlich im Februar 2021 beginnen. Gelingt dies, muss über die Vorlage ein Volksentscheid durchgeführt werden. Dieser wäre in Bezug auf eine tatsächliche Enteignung allerdings rechtlich unverbindlich, da er nicht explizit die Forderung nach einem „Vergesellschaftungsgesetz“ enthält.

An einer anderen Stellschraube dreht der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Er will Grundstückseigentümer, die ihre Baurechte aus spekulativen Gründen nicht ausüben, mit einem Baugebot nach §176 Baugesetzbuch verpflichten, diese Baurechte innerhalb einer von der Kommune festgesetzten Frist von vier Jahren auf der Basis geltender Bebauungspläne auszuüben. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, droht ein Bußgeld. Wenn auch dies folgenlos bleibt, sollen die Grundstücke von der Kommune gegen eine Entschädigung  zum Verkehrswert enteignet werden.

Die mit einem staatlichen Eingriff in die private Bodenverwertung von Kritikern stets – wie auch schon 1972 im Kontext der bodenpolitischen, auf eine Aufspaltung des Bodeneigentums in ein Verfügungs- und ein Nutzungseigentum zielenden Vorschläge des damaligen Oberbürgermeisters von München Hans-Jochen Vogel – befürchtete Beseitigung der kapitalistischen Wirtschaftsform ist weder in Wien noch in Singapur eingetreten. Die besondere, auf öffentlichem Eigentum basierende Bodenordnung der beiden (Stadt-)Staaten ist allerdings mit maßgeblichen Vorteilen für die Wohnungsversorgung der dortigen Bevölkerung verbunden. „Gesellschaftliche Veränderungen“, darin waren sich kritische SPD-Politiker bereits 1972 einig, „werden uns nicht geschenkt, sie müssen erkämpft werden. Dies gilt auch für ein soziales Bodenrecht“.

 

Dr. phil. Werner Heinz ist Planungswissenschaftler und war bis 2009 Leiter der Kölner Abteilung des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU). Seine Arbeitsschwerpunkte sind kommunale und regionale Entwicklungspolitik. Gegenwärtig arbeitet er als freier Berater und Autor. 


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