Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 409 /

Der öffentliche Raum in der Stadt – Krise oder Chance?

Beobachtungen und Utopie einer kapitalistischen Stadt in der Krise

Von Karin Baumert                                   

Selten war der Raum außerhalb der vier Wände so begehrt, so ersehnt, so einsam genutzt. Jogger/innen ziehen still ihre Runde, Spaziergänger/innen begegnen sich höflich mit Abstand. Fahrräder surren vorbei, vereinzelt mal ein Auto, das jetzt öfter für Fußgänger/innen anhält. Die Stadt ist scheinbar zur Ruhe gekommen.                                            

Alles was Geld kostet, von Stadtsoziolog/innen gern als „Festivalisierung der Stadt“ bezeichnet, fällt jetzt aus. Der Freizeitsport des Neoliberalismus – das Shoppen – ist nicht möglich und schon sind auch die Einkaufsmalls verwaist. Niemand braucht sie wirklich, diese Tempel einer Marktwirtschaft, die doch nur den Profit zu realisieren suchen. Aber welche Bedürfnisse sind real?            

So stehen meine Nachbar/innen jetzt mit ihrem Kaffeebecher auf dem Balkon. Nebenan sind auch Menschen. Sie sitzen und warten. Entschleunigung heißt das Wort der Stunde. Einmal die Ängste beiseite gelegt, ist Raum für neue Ideen. Was macht denn meine Nachbarin da unten? Sinnlos harken, werkeln, etwa schon gärtnern?                            

Was wir wissen           
Jetzt macht die Typologie der Räume wieder Spaß. Es gibt den öffentlichen Raum wie die Grünflächen, den privaten Raum wie Hinterhöfe und Gärten am Haus und den halböffentlichen Raum. Letzterer hatte seine Bedeutung erst mit der Moderne im Städtebau bekommen. Er war die Antwort auf die Hinterhöfe der Gründerzeit. Die Wohnblöcke standen so zueinander, dass genügend Platz für „Licht, Luft und Sonne“ blieb. Geplant waren sie als Orte zum Wäschetrocknen, für Kinderspiele (ja, es gab Kinderspiele außerhalb von Spielplätzen), zum Herumstehen und mit Nachbar/innen Quatschen und wofür die Bewohner/innen diese halböffentlichen Räume eben sonst noch nutzen wollten. Im Laufe der Jahre wurde aus ihnen ein dekoratives „Abstandsgrün“. Aber als die ersten Wolgadeutschen in den 1990er Jahren nach Hellersdorf zogen, belebten sie auf einmal diesen Raum mit ihren Traditionen. Die Nachbar/innen staunten nicht schlecht, dass man das Wohnzimmer gemeinsam auf die Bank vor das Haus verlegen kann. Ein Zwitschern mit russischem Akzent flog durch die Luftschneisen.                
Die Sensibilisierung für die Natur ist ein Phänomen der Verstädterung. Noch heute ist die Natur auf dem Land verbunden mit harter körperlicher Arbeit. Das Mittagessen wird  in der Kühle des Hauses eingenommen. Nur die Städter/innen suchen das Picknick auf der grünen Wiese.               

               
Was wir uns wünschen           
In der Stadt entscheiden die Bewohner/innen darüber, was in ihrer naturnahen Umgebung passiert. Die Ideenvielfalt kann wachsen und ist doch immer auch an städtebauliche und soziale Strukturen gebunden. So fragte beispielsweise Brigitte Reimann, eine bekannte Autorin aus der DDR, in ihrem Buch „Franziska Linkerhand“, ob man zwischen Neubaublöcken überhaupt küssen kann. Nach der Wende hieß es eher: „Was kostet ein Kuss?“ Nun sind wir aktuell auf uns und auf unsere vier Wände zurückgeworfen, wenn wir welche haben. Aber wohin setzen wir unseren Fuß, wenn wir die Wohnung verlassen wollen? Spielplätze sind geschlossen, Parks dürfen nur noch zum Spazieren betreten werden und zum Verweilen mit Auflagen. Aber es gibt auch diese halböffentlichen Räume, nicht nur zwischen den Häusern und in den Nischen, etwa in den zahlreichen Urban-Gardening-Projekten.  

                          
Worüber wir nachdenken 
      
Wenn wir dann vom Gärtnern aus dem modernen Hinterhof an das Küchenfenster zurückkehren, schweift unser Blick in die Ferne. Was machen die Menschen in den informellen Räumen am Rande der großen Städte dieser Welt, in den Slums, den Favelas? Mike Davis hat in seinem Buch „Planet der Slums“ schon vor Jahren ihre Bedeutung für die formelle Ökonomie beschrieben. Hier öffnet sich unser Blick für das Wesentliche, denn Stadt ist auch immer die in Stein oder Wellpappe geronnene Gesellschaft. Viele Waren, die wir glauben zu brauchen, sind von Menschen produziert, die in Slums leben. Die Zeit ist reif für eine gemeinsame und solidarische Utopie.                     


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