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MieterEcho 411 /

Betriebswirtschaft vor sozialem Bedarf

Die Verhandlungen um eine neue Kooperationsvereinbarung verweisen auf die Verselbständigung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften

Von Philipp Möller

„Brennpunkte, Schulden, Mietendeckel: Berlins Wohnungsbaugesellschaften rebellieren gegen Lompscher“, mit diesen Zeilen betitelte der Tagesspiegel einen Hintergrundbericht zu den aktuellen Verhandlungen über eine neue Kooperationsvereinbarung zwischen Senat und den sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die Geschäftsführer/innen und Vorstände der landeseigenen Unternehmen, die sich allesamt hundertprozentig im Besitz des Landes Berlin befinden, tragen die Debatte um die Ausgestaltung der Vereinbarung derzeit öffentlich aus.

 

Gegenüber ihnen wohlgesonnen Medien wie dem Tagesspiegel, der Morgenpost oder BZ Berlin kritisieren sie den Senat und stellen sich gegen weitere soziale Vorgaben. Mietermitbestimmung bei Modernisierungsmaßnahmen bezeichneten sie gegenüber der Morgenpost als „utopisch“. Ersatzwohnraum für Mieter/innen bereitzustellen, für die ein Verbleib in ihren Wohnungen während umfangreicher Arbeiten unzumutbar ist, nannten Vertreter/innen „völlig weltfremd“. Diese Ablehnung von sozialen Mindeststandards verweist auf das Primat der Wirtschaftlichkeit, das angesichts des sozialen Versorgungsauftrags der kommunalen Unternehmen dort gar nicht hingehört.

 

Verselbstständigung gewollt

Das bizarre Schauspiel, das die medienwirksam ausgetragene Debatte über die Neugestaltung der Kooperationsvereinbarung abgibt, verweist darauf, wie vollkommen verselbständigt die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften agieren. Sie geben sich als eigenständige Akteure mit eigener Agenda und die heißt: Wirtschaftlichkeit. Die sozialen Bedarfe der Berliner Bevölkerung stehen dagegen erst an zweiter Stelle. Der harte betriebswirtschaftliche Kurs resultiert aus der neoliberalen Umgestaltung der Wohnungsbaugesellschaften in Richtung gewinnorientierter Unternehmen seit Ende der 1990er Jahre. Diejenigen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die nicht privatisiert wurden, werden von den politisch Verantwortlichen als Melkkühe genutzt. Erwirtschaftete Überschüsse und Einnahmen aus den vom Senat ab Mitte der 1990er Jahre erzwungenen In-Sich-Verkäufen mussten die Wohnungsbaugesellschaften an den Haushalt abführen. Thilo Sarrazin (SPD) drängte in seiner Zeit als Finanzsenator von 2002 bis 2009 den Einfluss von Politik und Bauverwaltung auf die Wohnungsbaugesellschaften zurück und besetzte Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführungen mit neoliberal geschultem Personal. Damit zerschnitt er vollends das jahrzehntelang währende Band zwischen Politik und kommunalen Wohnungsunternehmen. Die Grundsteinlegung ihrer betriebswirtschaftlichen Verselbständigung erfolgte hingegen bereits bei der Gründung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in den 1920er Jahren. Die Wohnungsbaugesellschaften erhielten von Anfang an eine privatrechtliche Rechtsform als Aktiengesellschaft oder GmbH, die Kommunen stützten die Gründungen durch Kapitalbeteiligungen. Die Grundlage für diese Entscheidung war der bis heute vorherrschende Glaube, dass es effizienter sei, Wohnungsbau marktwirtschaftlich, also gewinnorientiert, zu betreiben. Staatlicher Wohnungsbau neige hingegen zu Bürokratismus. Im Gegenzug zu den staatlichen Zuschüssen erhielten Vertreter/innen der Kommune Sitze und Stimmen in den Aufsichts- und Führungsgremien der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die mittels ihres Einflusses die Interessen der Gemeinden im Wohnungsbau und in der Stadtentwicklung durchsetzten. Die finanzielle Beteiligung sicherte der Kommune darüber hinaus Belegungsrechte. Kommunale Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform unterliegen jedoch der Tendenz zur Verselbständigung. Das Primat der Wirtschaftlichkeit erschwert die politische Kontrolle und eine bedarfsgerechte Unternehmenspolitik.

 

Selbstfinanzierung maßgebend

Ihrer Rechtsform entsprechend agieren die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ähnlich gewinnorientiert wie private Unternehmen. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Verwendung der erzielten Gewinne. Eines der stärksten Argumente für die Gründung betriebswirtschaftlich verselbständigter Wohnungsbaugesellschaften war die angestrebte Selbstfinanzierung der Unternehmen. Neuinvestitionen sollen aus selbsterwirtschafteten Gewinnen finanziert werden. Doch dieser Verwendungszweck ist politisch verhandelbar. Nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und der darin vorgeschriebenen Reinvestionspflicht der Gewinne wurden die Renditen der ehemals gemeinnützigen Städtischen unter neoliberaler Ägide an den Haushalt abgeführt. Das änderte sich erst wieder nach dem Abschluss der ersten Kooperationsvereinbarung im Jahr 2016. Das Prinzip der Selbstfinanzierung ist jedoch weiterhin maßgebend für die Betriebsführung. Das zeigte zuletzt die Forderung der Wohnungsbaugesellschaften eine von 50% auf zwei Drittel erhöhte Quote von geförderten Wohnungen im Neubau durch eine Mietsteigerung bei den restlichen freifinanzierten Wohnungen von durchschnittlich zehn auf zwölf Euro/qm gegenzufinanzieren.

Die Kooperationsvereinbarung wiederum ist ein Teil der Verhandlungsmasse des „Kompromisses“ zwischen schwarz-rotem Senat und dem „Mietenvolksentscheid“ im Jahr 2016. Sie löste das zuvor seit 2012 gültige „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ ab. Die Verhandlungen um eine neue Kooperationsvereinbarung finden alle zwei Jahre statt. Darin sitzen jeweils zwei Vertreter/innen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sowie jener für Finanzen bis zu 12 Vertreter/innen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften gegenüber. Allein personell wird das Gewicht der auf Wirtschaftlichkeit orientierten Geschäftsführer/innen und Vorstände der landeseigenen Unternehmen deutlich. Hinzu kommt, dass der Finanzsenat als Teilgesellschafter, aber wesensfremder Akteur, im Bereich des Wohnungsbaus und der Stadtentwicklung eine gewichtige Rolle bei den Verhandlungen einnimmt. Mit der AöR Wohnraumversorgung, die ebenfalls ein Produkt des Mietenvolksentscheids ist, spielt darüber hinaus ein weiterer Akteur mit auf dem Tableau. Diese Kontrollbehörde, deren zwei Vorstände jeweils von den zwei zuständigen Senatsverwaltungen berufen wurden, vermittelt einerseits zwischen ihren politischen Dienstherren und andererseits zwischen Politik und Unternehmen.

Im Vergleich der Mietentwicklung bei den Städtischen mit der allgemeinen Mietentwicklung in Berlin zeigen sich gewisse mietpreisdämpfende Effekte der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften seit dem Abschluss der Kooperationsvereinbarung. Zwar ist der Anstieg der Mieten bei ihnen weniger stark als im Durchschnitt, jedoch folgen auch sie der allgemeinen Marktentwicklung. Mit dem Mietendeckel wird nun die Mietpreisdynamik für nahezu alle Mietverhältnisse verlangsamt. Die Senatsverwaltung kündigte an, dass die Regelungen für die Städtischen auch für den Fall weiter gelten sollen, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kassiert. Die Unternehmen drohten ihrerseits mit Verweis auf Einnahmeausfälle, ihre Investitionen in den Neubau zurückzufahren. Spätestens diese Ankündigung sollte der Politik ein Weckruf sein, über eine grundsätzliche Veränderung der Städtischen nachzudenken und sie dem Primat des sozialen Bedarfs entsprechend auszurichten. Notwendig wäre dafür, ihre Rechtsform in eine öffentlich-rechtliche Struktur zu übertragen, um sie der Gewinnorientierung zu entheben. Statt am Prinzip der Selbstfinanzierung aus Mieteinnahmen festzuhalten, ist eine bedarfsgerechte Finanzierung aus dem Haushalt vonnöten. Die größten Widerstände gegen eine solche Transformation sind wohl von den Vorständen und Geschäftsführungen der Unternehmen selbst zu erwarten. Eine Umwandlung in Anstalten öffentlichen Rechts oder kommunale Eigenbetriebe hätte für sie Einnahmeverluste zur Folge. Sie würden nicht mehr in Anlehnung an die Gehälter der Privatwirtschaft bezahlt, sondern erhielten eine hohe Beamtenbesoldung. Das wäre weniger als zuvor aber immer noch sehr viel für die durchschnittlich verdienenden Berliner/innen, denen sie sich verpflichtet fühlen sollten.

 

 


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