Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 419 / August 2021

Berlin plant Teilprivatisierung der S-Bahn

Breites Bündnis will Ausschreibungsverfahren noch stoppen

Von Carl Waßmuth

In Berlin steht Deutschlands größte Privatisierung der letzten zehn Jahre an: Der Betrieb der Berliner S-Bahn soll erst in verschiedene Stücke aufgeteilt und dann größtenteils an Private abgegeben werden. Das Vorhaben wird vom rot-rot-grünen Senat nicht Privatisierung genannt, man spricht verharmlosend von einer Ausschreibung, die mehr Wettbewerb erzeugen solle. Teilweise wird sogar von Abgeordneten behauptet, die S-Bahn würde auf diesem Wege kommunalisiert. Die großen Tageszeitungen in Berlin folgen dieser Erzählung, und so dürfte den meisten in Berlin bisher entgangen sein, dass die Legislaturperiode mit einer folgenschweren Entscheidung zu enden droht.

Die Ausschreibungsunterlagen sprechen eine deutliche Sprache. Gesucht werden gleich mehrere private Konzerne, die jeweils Teile des Betriebs übernehmen, die Nord-Süd-Strecken sowie die Ost-West-Verbindungen. Die Ringbahn bleibt bei der zum bundeseigenen DB-Konzern gehörenden S-Bahn Berlin GmbH, jedoch auch nur noch bis 2027. Das Land Berlin soll neue Züge kaufen, die innerhalb des Privatisierungsprojekts in eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) überführt werden. Direkt nach dem Erwerb durch Berlin bekommt ein weiteres Privatunternehmen 1.300 Wagen übergeben, und zwar bis zur Verschrottung. Diese Wagen darf der Private an die anderen Beteiligten vermieten. Solche ÖPPs sind aus dem Bereich von Autobahnen bekannt, aber auch von Schulen. ÖPPs stehen zu Recht im Ruf, extrem teuer zu sein, die übertragenen Leistungen der Daseinsvorsorge nur sehr schlecht zu erbringen und demokratische Kontrolle gänzlich auszuhebeln, die Rechnungshöfe kritisieren das Modell seit vielen Jahren heftig. 

London als warnendes Beispiel

Das gesamte Vorhaben unter der Federführung der grünen Senatorin Regine Günther dekliniert eine neoliberale Agenda durch. Bisher hat Berlin einen einheitlichen S-Bahn-Betrieb. Damit private Firmen verschiedene Teilstücke übernehmen können, müssen vom Land erst umfangreiche Baumaßnahmen vorgenommen werden: neue Werkstätten, neue Ein- und Ausfahrten, neue Abstellanlagen. Über das Karower Kreuz, den großen Eisenbahnknoten im Norden Berlins, soll diagonal über die bestehende Brücke eine weitere fast 300m lange Brücke gebaut werden, die nur dazu dient, eine geplante Werkstatt ans Netz anzuschließen. Die vorhandenen Werkstätten der S-Bahn werden weitgehend überflüssig, und mit ihnen die Arbeitsplätze der dort arbeitenden Menschen. Für die Privatisierung des Fuhrparks wurde vom Abgeordnetenhaus eine staatliche „Briefkastenfirma“ errichtet, die „Landesanstalt Schienenfahrzeuge“. Die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) darf keine eigene Tätigkeit ausüben, sie kauft nur formal die Wagen, um sie dann sofort an Dritte abzugeben.

Blaupause scheint die Privatisierung der Londoner U-Bahn gewesen zu sein. Dort wurde vor gut 20 Jahren der Betrieb der beliebten „Tube“ in zwei Schritte geteilt, an Private abgegeben und auch die Wageninstandhaltung privatisiert, alles genau wie jetzt in Berlin vorgesehen. Das Londoner ÖPP-Vorhaben scheiterte allerdings dramatisch, die Privatkonzerne behinderten sich gegenseitig und richteten das für London unverzichtbare Massentransportmittel technisch zugrunde. Nach acht Jahren wurde das Projekt abgebrochen, die öffentliche Hand musste alles zurücknehmen und aufwendig sanieren, um einem Verkehrskollaps in der Millionenmetropole vorzubeugen. 

Aber es gibt Widerstand: Es hat sich das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ gegründet, die Aktiven protestieren regelmäßig und haben zuletzt eine vierseitige Sonderzeitung der Tageszeitung taz beilegen lassen, in der sie über die Privatisierung aufklären. Noch sind die Würfel nicht gefallen. Da die Privatisierung als Ausschreibung abgewickelt wird, dauert das Verfahren noch mehrere Jahre. Ein von dem Bündnis beauftragtes juristisches Positionspapier hat ergeben: Die Ausschreibung kann jederzeit noch abgebrochen werden. Es gibt mehrere kommunale Alternativen, von denen jede Einzelne kostengünstiger ist und vor allem eine nachhaltige Ausgestaltung der S-Bahn im Sinne des Klimaschutzes erlaubt. 

 


MieterEcho 419 / August 2021