Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 401 / April 2019

„Wo soll ich denn hin?“

Nach 35 Jahren soll ein Mieter wegen Eigenbedarfs ausziehen

Von Heiko Lindmüller

Peter Fuhrmann* lebt zwischen Hoffen und Bangen. Im Frühjahr 2018 erhielt der 71-jährige Rentner die fristgerechte Kündigung für seine 2-Zimmer-Wohnung in der Perleberger Straße in Moabit, die er bis zum 31. Dezember 2018 verlassen sollte. Als Kündigungsgrund machte der Besitzer der Wohnung Eigenbedarf geltend. 

Der Eigenbedarf sei entstanden, weil der Vermieter sich von seiner Partnerin getrennt habe und nunmehr eine kleinere Wohnung benötige, hieß es in dem entsprechenden Schreiben. Fuhrmann schaltete einen Anwalt ein, der der Kündigung Ende Oktober widersprach. Danach bewegte sich lange nichts. Der Fall weist einige Besonderheiten auf, die die Erfolgsaussichten einer Räumungsklage schmälern. Zum einen kann Fuhrmann, der dort seit 35 Jahren Mieter ist, gravierende Gründe für die Feststellung eines Härtefalls geltend machen, da er gesundheitlich stark beeinträchtig ist, was auch durch entsprechende Gutachten behandelnder Ärzte belegt wird. Darüber hinaus gibt es Indizien, die den vermeintlichen Eigenbedarf des Besitzers zweifelhaft erscheinen lassen. Fuhrmanns Vermieter besitzt in dem Haus eine weitere Wohnung, und die vermeintliche Trennung von der Lebenspartnerin musste bereits im September 2015 für eine Eigenbedarfskündigung bei Fuhrmanns Nachbarn herhalten. Dieser schloss schließlich – entnervt von der Unsicherheit – eine Vereinbarung mit dem Vermieter über einen freiwilligen Auszug.
In der Vereinbarung ist von Eigenbedarf allerdings nicht mehr die Rede, vielmehr wird dem Besitzer das Recht eingeräumt, die Wohnung anschließend „schadlos an Dritte zu vermieten oder zu verkaufen“, was auch geschah. Das spricht eindeutig dafür, dass der Eigenbedarf nur vorgetäuscht war. Und auch jetzt – mehr als drei Jahre nach der Kündigung des Nachbarn – wohnt der Hausbesitzer noch immer in seiner alten Wohnung, die angeblich schon damals zu groß und zu teuer für ihn war. Ohnehin erscheint es kaum plausibel, dass ein seit Jahren als Geschäftsführer, Mitarbeiter oder Teilhaber von Immobilien- und Beratungsfirmen tätiger Manager ausgerechnet eine 55-Quadratmeter-Wohnung im Seitenflügel als neuen Lebensmittelpunkt beziehen will.         

Auszüge gegen Abfindungen

Fuhrmann vermutet ganz andere Gründe. Er ist mittlerweile der letzte verbliebene Mieter im Seitenflügel. Ob und wie die anderen Wohnungen derzeit genutzt werden, vermag er nicht einzuschätzen. Viele Mieter/innen wurden unter Mithilfe einschlägig bekannter „Beraterfirmen“ gegen geringe Abfindungen zum Auszug überredet, auch ihm hatte man 2.500 Euro angeboten. „Aber wo soll ich denn hin?“, fragt sich Fuhrmann, der derzeit rund 480 Euro Bruttowarmmiete zahlt und sich mit seiner kleinen Rente auch nicht mehr leisten kann. Ihm sei klar, dass der Besitzer bei Verkauf oder Neuvermietung der dann möglicherweise aufwändig modernisierten Wohnung „viel mehr rausschlagen könnte.“ Er habe den Besitzer sogar gefragt, ob ihm dieser bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung behilflich sein könnte, doch das habe dessen Anwalt brüsk abgelehnt. Ohnehin könne er sich nur schwer vorstellen, wie er sich in seiner gesundheitlichen Verfassung nach 35 Jahren in einer fremden Gegend einleben könnte. Eines hat Fuhrmann mittlerweile schmerzhaft realisiert. Menschen wie er sind im Zeitalter ungebremster Immobilienspekulation nur noch „Störfaktoren“. Und das Haus in der Perleberger Straße unweit des Hauptbahnhofs ist dafür nahezu prototypisch: Seit 1989 wechselte es mehrfach den Besitzer, wobei der Name von Fuhrmanns Vermieter immer wieder in verschiedenen Funktionen in den Handelsregisterauszügen auftaucht. Nach Redaktionsschluss wurde bekannt, dass Fuhrmann inzwischen eine Räumungsklage erhalten hat.


(* Name von der Redaktion geändert)


MieterEcho 401 / April 2019

Schlüsselbegriffe: Eigenbedarf,Eigenbedarfskündigung,Kündigung,Abfindung

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