Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 450 / September 2019

„Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum“

Interview mit Lars Rauchfuß

Die SPD will die Frage der Randbebauung des Tempelhofer Feldes erneut auf die politische Agenda
setzen und hat dafür ein Konzept verfasst.  

 
                    
MieterEcho: Vor fünf Jahren gab es einen erfolgreichen Volksentscheid, mit dem die Randbebauung des Tempelhofer Feldes durch ein Gesetz ausgeschlossen wurde. Die SPD will diese Frage jetzt erneut auf die politische Agenda setzen. Missachten Sie damit nicht den Willen der Bürger/innen?
Lars Rauchfuß: Nein, auf keinen Fall. Es gibt einen klaren Beschluss, dass das Tempelhofer-Feld-Gesetz in dieser Wahlperiode nicht angetastet wird. Das gebietet auch der Respekt vor dem damaligen Ergebnis des Volksentscheids. Bei unserem Vorschlag geht es darum, diese Frage in der Stadt neu und breit angelegt zu diskutieren, weil sich sowohl die Stimmungslage in der Bevölkerung als auch die Rahmenbedingungen deutlich geändert haben. Es herrscht ja weitgehend Einigkeit, dass wir mehr neue bezahlbare Wohnungen brauchen. Und natürlich gibt es für das Ergebnis eines Volksentscheids keine Ewigkeitsgarantie.       

 

Die rot-rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag nicht nur einen erneuten Anlauf zur Bebauung in Tempelhof ausgeschlossen, sondern ein ganzes Stadtentwicklungsgebiet mit bis zu 5.000 Wohnungen komplett gestrichen, die Elisabeth-Aue in Pankow. Warum beschränken Sie sich angesichts des dramatischen Wohnungsmangels bei ihrem Vorstoß auf Tempelhof?                               
Wir wollen keine abstrakten Debatten über mögliche Standorte für Wohnungsbauvorhaben. Es geht uns darum, möglichst konkret ein Projekt anzuschieben, das bei entsprechendem Willen vergleichsweise einfach umzusetzen wäre. Natürlich muss auch die Diskussion über weitere Potenziale, wie etwa die Elisabeth-Aue oder die Bürgerstadt Buch, vorangetrieben werden. Doch es würde wenig Sinn machen, das mit Tempelhof zu vermischen.                                   

Einer der Gründe, die zum Erfolg des Volksentscheids führten, war das tiefe Misstrauen vieler Bürger/innen gegen die Wohnungsbaupolitik des Senats. Es wurde befürchtet, dass Flächen auf dem ehemaligen Flugplatz auch für Luxuswohnungen verwendet werden sollten. Wie wollen Sie dieses Misstrauen jetzt überwinden?   

Das geht nur, indem wir eindeutig festlegen, was und in welchem Umfang dort gebaut werden soll. 2014 lag es an beiden Seiten, also sowohl dem Senat als auch der Volksinitiative, dass es zu Unklarheiten und Verunsicherungen kam. Sicherlich war es nicht geschickt, dass der Senat den Neubau der Landeszentralbi-
bliothek mit dem Wohnungsbau verknüpft hat. Auf der anderen Seite wurde immer wieder behauptet, dass auf dem Feld auch Luxuswohnungen entstehen sollen, was definitiv nicht stimmte. Deswegen sagen wir jetzt klipp und klar: Nur bezahlbarer Wohnraum und nur am Rand. Dann wissen auch alle, worüber geredet wird.                  

     
In ihrem Konzeptpapier ist von „ausschließlich dauerhaft bezahlbaren Wohnraum“ mit Nettokaltmieten von 6,50 Euro pro Quadratmeter die Rede. Die bisher in Berlin eingesetzten Förderinstrumente sehen eine solche dauerhafte Deckelung aber nicht vor. Wie wollen Sie das realisieren?
Wir wollen, dass in Tempelhof ausschließlich landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zum Zuge kommen, und mit denen kann das Land Berlin entsprechende Verabredungen treffen. Ein Vorteil ist auch, dass sich die Flächen bereits im Landesbesitz befinden und somit die bei vielen anderen Standorten anfallenden Grunderwerbskosten entfallen. Welchen Förderweg wir dabei gehen, ist da erst mal zweitrangig. Wichtig ist die Festlegung auf dauerhaft bezahlbaren Wohnraum.     

                          
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind rechtlich Kapitalgesellschaften bzw. GmbHs, die dem Wirtschaftsrecht unterliegen. Wie belastbar wäre denn juristisch eine Festlegung auf eine bestimmte Miethöhe? Schließlich hat der Bundesgerichtshof erst vor einigen Monaten entschieden, dass unbefristete Bindungen beim geförderten Wohnungsbau unzulässig sind.   
Das muss man sicherlich berücksichtigen. Aber ich gehe davon aus, dass man rechtssichere Vereinbarungen mit den Gesellschaften schließen kann. Das sind zwar Wirtschaftsunternehmen, die aber auch der Stadt und den Berlinerinnen und Berlinern verpflichtet sind. Der Senat hat Einflussmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Rücknahme von Mieterhöhungen gezeigt hat.
                   
Wenn man die soziale Wohnraumversorgung als Teil der sozialen Daseinsvorsorge versteht, spräche doch alles dafür, ein entsprechendes Segment der unmittelbaren Regie des Landes zu unterstellen. Wäre ein Bauprojekt in der Größenordnung von Tempelhof nicht ein sehr guter Startpunkt für einen kommunalen Wohnungsbau durch eine zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts, in die perspektivisch auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen überführt werden könnten?          
Die Diskussion über die Rechtsform der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ist ja nicht neu. Die gab es schon beim letzten Mietenvolksbegehren. Sie hatte die Gründung der Wohnraumversorgung Berlin, einer Anstalt öffentlichen Rechts, zur Folge. Ich glaube aber nicht, dass die Frage der Bebauung des Tempelhofer Randes mit dieser Grundsatzfrage überfrachtet werden sollte. Wir wollen zügig vorankommen und unser wichtigstes Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum in einer nennenswerten Größenordnung an einem dafür sehr gut geeigneten Standort zu realisieren. Dennoch ist es natürlich richtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die soziale Wohnraumversorgung insgesamt organisiert und wer da am effektivsten als Bauherr und Träger agieren könnte.               
                   
In der derzeitigen Regierungskoalition ist die Causa Tempelhof ein Tabuthema. Grüne und Die Linke lehnen – von wenigen Einzelstimmen abgesehen – eine erneute Diskussion oder gar eine Änderung des Tempelhofer-Feld-Gesetzes kategorisch ab. Dennoch wollen Sie die Debatte quasi ab sofort offensiv vorantreiben. Was bedeutet dies für die Koalition?

Das bedeutet, dass wir angesichts der Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt darüber reden müssen. Es bleibt dabei, dass wir in dieser Wahlperiode in dieser Frage nicht mehr tätig werden, wie es auch im Koalitionsvertrag festgelegt ist. Aber wir wollen jetzt den zeitlichen Vorlauf bis zur nächsten Legislaturperiode nutzen, um eine breite Diskussion über Tempelhof in der Stadt zu beginnen. Außerdem sind es nicht nur wenige Einzelstimmen bei Grünen und Linken, die eine Randbebauung in Tempelhof nicht mehr prinzipiell ausschließen wollen. Auch die grünen Baustadträte der Anrainerbezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg, Florian Schmidt und Jörn Oltmann, haben sich in diese Richtung geäußert. Das Problem der beiden Parteien ist eher, dass sie sich nicht trauen, das ihrer Anhängerschaft auch eindeutig so zu sagen. Es gibt also viel Gesprächsbedarf, auch über die Frage: Brauchen wir einen neuen Volksentscheid, reicht eine Volksbefragung oder eine entsprechende Festlegung in den Wahlprogrammen?

                               
…aber die Aussagen in Wahlprogrammen nimmt doch kaum noch ein Bürger ernst.
Das sollte eigentlich nicht so sein.   

In gut zwei Jahren finden die Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Ihr Konzept sieht vor, an diesem Termin auch die Frage der Randbebauung in Tempelhof zur Abstimmung zu stellen – in welcher Form auch immer. Bis dahin soll es ein umfangreiches „Beteiligungs- und Abstimmungsverfahren“ mit allen relevanten „Akteuren der Stadtgesellschaft“ und einen „Ideenwettbewerb“ für die sozialverträgliche Randbebauung geben. Glauben Sie angesichts der in Berlin ausgeuferten Partizipationsschleifen ernsthaft, ein derartig sensibles Projekt binnen zwei Jahren zur Abstimmungsreife bringen zu können?
Unser Ziel beim Tempelhofer Rand muss eine zügige Planung sein, denn für Menschen, die dringend eine bezahlbare Wohnung suchen, sind sogar zwei Jahre eine lange Zeit. Wir müssen die Verfahren schneller hinbekommen, als es derzeit oftmals der Fall ist. Und wir brauchen ein Verfahren, bei dem eben nicht nur die Anrainerinnen und Anrainer aus Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln befragt werden, sondern auch die Menschen in Marzahn und Spandau. Denn Wohnungsbau ist eine Frage, die alle Berlinerinnen und Berliner angeht. Die Landesregierung hat eine gesamtstädtische Verantwortung, und die wollen und müssen wir, aber auch die zuständige Senatorin Lompscher, wahrnehmen.       

                            
Vielen Dank für das Gespräch.   
                   
Die Fragen stellte Rainer Balcerowiak.
   
Lars Rauchfuß ist Kreisvorsitzender der SPD in Tempelhof-Schöneberg und gehört zu den Verfassern eines Konzepts für einen erneuten Anlauf zur Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof.  


MieterEcho 450 / September 2019

Schlüsselbegriffe: Tempelhofer Feld,Randbebauung,Wahlprogramm

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