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MieterEcho 401 / April 2019

Wie realistisch ist die Enteignung?

Interview mit der Juristin und Grünen Bundestagsabgeordneten Canan Bayram

Verglichen mit der Leichtigkeit, mit der die Berliner Politik ihre Wohnungsgesellschaften verkaufte, er- scheint der unter Zuhilfenahme des Artikels 15 Grundgesetz vorgesehene Rückkauf allein der Bestände der Deutsche Wohnen (DW) mit erheblichen Mehrkosten und kaum einschätzbaren juristischen Auseinandersetzungen verbunden zu sein. Wir fragten Canan Bayram nach den erhofften Effekten und Erfolgsaussichten. Zuvor hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Stellungnahme vom Januar je nach Auslegung des Artikels 15 die Voraussetzungen für eine Enteignung von Wohnungsunternehmen für gegeben erachtet.

MieterEcho: In Ihrem Artikel aus dem Tagesspiegel verbreiten Sie Optimismus, was die Enteignung von gewinnorientierten Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen angeht. Im Februar schrieben Sie dort, dass eine solche  Enteignung gehen würde, „wenn man politisch will und es gut gemacht ist.“ Wie könnte das „gut machen“ aussehen? 
Canan Bayram: Der rot-rot-grüne Senat muss ein Gesetz formulieren, das vor Gericht auch Bestand hat. Gut machen bedeutet also, alles darauf abzuklopfen,  damit das Gesetz verfassungsgemäß formuliert ist. Wenn ich den politischen Willen dazu habe, kann ich mich nicht hinter den Gerichten verstecken, das würde bedeuten, die politische Verantwortung nicht übernehmen zu wollen. Ich halte es wie Katrin Schmidberger, die das Sozialisierungsgesetz als Notwehr bezeichnet hat. Denn die CDU im Bundestag weigert sich, das Mietrecht so zu gestalten, dass Mieter tatsächlich geschützt sind. Die Bevölkerung will, dass die Politiker für sie kämpfen, dafür wurden sie schließlich gewählt. Zudem ist die Erwirtschaftung von Rendite bei Wohnimmobilien nicht vom Grundgesetz geschützt. 

 

In dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes heißt es, dass es sich bei einer Enteignung um „zulässige Sozialisierungsgegenstände“ und „Produktionsmittel“ handeln und eine „Sozialisierungsreife“ erreicht sein müsse. Ist dies denn gegeben?  
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes bezieht sich auf die Relevanz, also die Größenordnung und wirtschaftliche Bedeutung des zu sozialisierenden Unternehmens. Die gewinnorientierten Wohnungsunternehmen müssen also eine Relevanz für den Wohnungsmarkt haben. Welche Größenordnung dabei als relevant einzuschätzen ist, wird vielleicht problematisch, aber es lässt sich begründen. Eine gewisse Anzahl von Wohnungen ist ein Anzeichen dafür, dass es nur um Rendite geht. Mit der Größe des Unternehmens geht einher, dass den in der Regel mittellosen Mietern ein riesiger Apparat und Rechtsabteilungen der Gegenseite gegenüberstehen. Die haushoch überlegenen Vermieter überrumpeln die Mieter, die sich kaum zur Wehr setzen können. Zu- mal in so kurzer Zeit gar nicht so viele Wohnungen gebaut werden könnten, um die akuten Probleme im Bestand zu lösen. Bei der Frage der Produktionsmittel wird es von dem vom Senat vorzulegenden Sozialisierungsgesetz abhängen, ob es auch diesbezüglich sehr gut formuliert ist.     

 

Der Artikel 14 GG sieht eine Verhältnismäßigkeit bei der Entschädigung vor und dass die Enteignung das letzte Mittel sein müsse. Entfallen diese Kriterien beim Artikel 15 GG vollständig? 
So würde ich das sehen. Im Unterschied zum Artikel 14 erfordert Artikel 15 eben nicht die Verhältnismäßigkeit, wie zum Beispiel das Bundesfernstraßengesetz zeigt. 

 

Deutsche Wohnen, Vonovia und andere börsennotierte Immobilienkonzerne als auch die anderen privaten Wohnungsvermieter mit 3.000 oder mehr Wohnungen werden sich nicht widerstandslos enteignen lassen. Welches juristische Prozedere würde sich aus einem Enteignungsgesetz ergeben? 

Das lässt sich nicht vorhersehen. Verschiedene Varianten sind denkbar, die beim Verwaltungsgericht oder auch dem Landesverfassungsgericht landen könnten. Je nach der Vorgehensweise des Landes Berlin könnten sich sehr verschiedene juristische Möglichkeiten ergeben. Zum Beispiel, wenn das Land Berlin eine Aktienmehrheit der Deutsche Wohnen übernimmt, ist das eine ganz andere Geschichte, als wenn das Land konkrete Grundstücke in Berlin enteignet.

 

Und wo soll das alles enden?

Auf jeden Fall sollte am Ende die Überführung der Wohnungen in eine zu gründende Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) herauskommen. Diese könnte die Mietverhältnisse ganz neu regeln und das Rad der Privatisierungen damit zurückdrehen. Für viele Menschen stellt sich doch die Frage, wenn alles privatisiert wird, wofür brauchen wir dann überhaupt noch den Staat? Diese Skepsis ist begründet und befördert die Verdrossenheit gegenüber der Politik.
      
Könnte die Schuldenbremse, die ab2020 eine Kreditaufnahme der Bundesländer verbietet, eine Enteignung, bzw. den gesetzlich geregelten Rückkauf verhindern?   

Nach Meinung unserer finanzpolitischen Sprecherin Lisa Paus ist dieser Aspekt unproblematisch, da auf der anderen Seite ja ein Vermögen im Landeseigentum gebildet wird.  
 
Zum einen unterstellt die Enteignungsinitiative, dass die börsennotierten Wohnungsunternehmen „Einfluss auf den Wohnungsmarkt der gesamten Stadt“ nähmen „weil sie über hunderttausend Wohnungen besitzen“, zum anderen sei die Berliner Landespolitik machtlos gegenüber DW & Co. Nun könnte das Land Berlin mit 300.000 eigenen Wohnungen zahlenmäßig stärker auf den Wohnungsmarkt einwirken als die Immobilien-AGs. Liegt da nicht ein Widerspruch in der Argumentation, die auch einem Gericht die Zulassung der Enteignung schwer machen müsste? 
  
Dass die landeseigenen Gesellschaften früher wie andere private Unternehmen agierten, sehe ich auch so. Ich würde das jedoch nicht als Argument gegen die Sozialisierung verwenden. Für die Sozialisierung ist das auch nicht relevant, da den Unternehmen kein Fehlverhalten nachgewiesen werden muss, sondern es um deren Größe geht. Richtig ist aber, dass der Senat glaubwürdiger wäre, wenn er die landeseigenen Gesellschaften vorher schon in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) umwandeln und damit klar machen würde, dass diese nun gemeinwohlorientiert sind.  
 
Mit einem verstärkten kommunalen Wohnungsbau könnten die landeseigenen Gesellschaften unter entsprechenden Vorgaben für die Miethöhe doch auch den Wohnungsmarkt entspannen und damit den flächendeckenden Miet- anstieg dämpfen. Spielen derlei Argumente in der juristischen Betrachtung keinerlei Rolle? Und was ist Ihre persönliche Meinung zu dieser leider viel zu wenig diskutierten Option?
Beim kommunalen bzw. gemeinwohlorientierten Wohnungsbau ist noch Luft nach oben. Da erwarte ich in Bezug auf die Genossenschaften auch mehr Anstrengungen. Der Bedarf steigt, das ist klar. Die Initiative gibt der Senatorin von der Linken damit die Möglichkeit, der SPD die Verantwortung für die Wohnungsmisere zuzuspielen. Dass man den notwenigen Wohnungsbau und die Sicherung der Wohnungen im Bestand gegeneinander stellt, kann ich nicht nachvollziehen, beides ist wichtig.    

 

Von den rund 116.000 Wohnungen der DW in Berlin liegen laut dem Geschäftsbericht von 2017 über 50% unter einer Miete von 6,50 Euro/m2. Von der Enteignung würden im Falle der DW also vielleicht nur 60.000 Haushalte unmittelbar profitieren, da ihre Mieten abgesenkt würden. Wäre dies nicht eine sehr teuer erkaufte soziale Absicherung im Verhältnis zu den Milliardenbeträgen, über die hier gesprochen wird?  
Die Überführung der Wohnungen in eine AöR würde alle Mieter dauerhaft vor Verdrängung schützen und die Angst davor nehmen. Die Dynamik der steigenden Mieten, die sich im Mietspiegel niederschlägt, ist in hohem Maße auf die exorbitanten Neuvertragsmieten zurückzuführen. Mit der AöR könnte hier entgegengewirkt werden, denn Mieten müssen nicht immer steigen, sie können auch sinken. Und so dämpfend auf den Mietspiegel einwirken, wovon alle Mieter in der Stadt profitieren.

 

Selbst wenn nur 5 Milliarden Euro als Entschädigung bezahlt würden, also ein Drittel des Börsenwerts der DW, könnten mit diesem Betrag rund 30.000 Wohnungen mit je 70 qm Fläche gebaut werden. Wäre das Geld so nicht besser angelegt?    

Ich bin keine Bauexpertin, kann also bezüglich der Neubaukosten nichts sagen. Aber die steigenden Bodenpreise machen günstiges Bauen immer schwerer. Die Entschädigung könnte nach Artikel 15 aber auch zu einem deutlich niedrigeren Preis erfolgen, so dass diese Kalkulation nicht aufgeht.        

 

Vielen Dank für das Gespräch. 

 

Die Fragen stellte Hermann Werle. 


MieterEcho 401 / April 2019

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