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MieterEcho 402 / April 2019

Vorkaufsrecht in der Sackgasse

Immobilienspekulation in Milieuschutzgebieten eher befeuert als eingedämmt

Von Rainer Balcerowiak

 

Der Berliner Senat steckt in einer Zwickmühle. Seine ohnehin nicht sonderlich ambitionierten Neubauziele wird er – vor allem im Segment preisgünstiger, geförderter Wohnungen – deutlich verfehlen. Außerhalb der binnen zwei Jahrzehnten arg geschrumpften Bestände der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften kann er kaum in die ungebrochene Mietpreisexplosion eingreifen, da das Mietpreisrecht in der Kompetenz des Bundes liegt. Zwar gibt es in Berlin inzwischen 56 Milieuschutzgebiete mit rund 450.000 Wohnungen, doch die dort geltenden sozialen Erhaltungssatzungen bieten kaum Möglichkeiten, Mietsprünge und Verdrängung, beispielsweise durch energetische Modernisierungen oder den Anbau von Fahrstühlen, zu unterbinden. 

In seiner Not besann sich der Senat auf ein Instrument, das zwar schon lange existiert, aber in der Vergangenheit kaum eine Rolle spielte. Das Vorkaufsrecht der Gemeinden (in Berlin sind das die Bezirke) in sozialen Erhaltungsgebieten laut § 24 des Baugesetzbuches (BauGB). Jeder Verkaufsvorgang muss dem Bezirk vor der notariellen Beurkundung vorgelegt werden. Dann hat der Bezirk zwei Monate Zeit, sein Vorkaufsrecht wahrzunehmen und in den bestehenden Kaufvertrag einzutreten. Das Gesetz sieht auch ausdrücklich vor, dass dieses Recht zugunsten Dritter ausgeübt werden kann, in Berlin sind das in erster Linie die städtischen Gesellschaften. Der Vorkauf kann vom ursprünglichen Käufer verhindert werden, wenn er binnen der zweimonatigen Frist eine so genannte Abwendungsvereinbarung unterschreibt, in der er sich verpflichtet, die Ziele der Erhaltungssatzung einzuhalten. Das bedeutet beispielsweise auf kostentreibende Modernisierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu verzichten sowie die Grenzen des Mietspiegels bei Neuvermietungen einzuhalten.
Im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung und auch in späteren Verlautbarungen nimmt das Thema großen Raum ein und wird gar als „Königsweg“ im Kampf gegen Verdrängung gepriesen. Der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, wurde zu einer Art Galionsfigur des Vorkaufs, ernannte sich selbst zum „Spekulantenschreck“ und verkündete via Twitter: „Wir kaufen die Stadt zurück“.

 

Instrument mit geringer Wirkung

Die Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf eine parlamentarische Anfrage der FDP offenbarte im Februar die eher marginale Wirkung des Instruments. Die Bezirke haben von 2015 bis Ende Januar 2019 in lediglich 39 Fällen mit insgesamt 1.174 Wohnungen ihr Vorkaufsrecht wahrgenommen. Spitzenreiter ist Friedrichshain-Kreuzberg mit 19 Fällen, gefolgt von Neukölln mit 10 und Tempelhof-Schöneberg mit 5. Bislang sind aber nur 17 Fälle rechtskräftig, da in anderen Rechtsmittel eingelegt wurden. Für 86 Häuser mit 2.579 Wohnungen wurden Abwendungsvereinbarungen geschlossen, die in der Regel auf 20 Jahre befristet sind. Doch auch ein Vorkauf bedeutet für die Mieter/innen keineswegs eine langfristige Garantie für bezahlbare Mieten. Denn den kommunalen Gesellschaften  steht es im Prinzip frei, die Häuser zu einem späteren Zeitpunkt wieder an private Investoren zu verkaufen. Eine verbindliche Bindungsfrist, die dies ausschließen könnte, gibt es nicht. Bei der Immobilienlobby stößt das kommunale Vorkaufsrecht erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe. Doch abgesehen vom üblichen Geschimpfe auf den „Sozialisierungswahn“ hat die Immobilienbranche längst Gegenstrategien entwickelt, um das Vorkaufrecht ins Leere laufen zu lassen, und zwar vor allem über den Preis. Zwar gilt der Verkehrswert der Immobilie laut BauGB als Richtlinie für den von der Gemeinde bei Vorkäufen zu entrichtenden Preis. Daher muss ein im ursprünglichen Kaufvertrag vereinbarter Preis auch nicht entrichtet werden, wenn dieser „den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“. Aber diese Festlegung ist in der Praxis äußerst dehnbar. Wann ein deutliches Überschreiten des Verkehrswerts vorliegt, wird unterschiedlich beantwortet. Zum einen ist der Verkehrswert keine exakte Größe, sondern das Ergebnis einer Schätzung mit einem „Toleranzbereich“. Zum anderen ist die „deutliche Überschreitung“ des Verkehrswerts gesetzlich nicht definiert. In der bisherigen Rechtsprechung wird meistens ein Aufschlag von 20% als Grenze angesehen.Doch es gibt noch weitere Lücken. Werden nur Teile einer Immobilie verkauft, beispielsweise ein prozentualer Anteil oder ein Gebäudeteil, spielt der Verkehrswert keine Rolle – dort gilt bei Vorkäufen der tatsächlich vereinbarte Preis. So verhält es sich auch bei Zwangsversteigerungen, die besonders bei Erben- und Käufergemeinschaften relativ leicht herbeizuführen sind. Dann muss der Bezirk nach bislang herrschender Rechtsauffassung den dort erzielten Preis bezahlen – und das kann teuer werden, wie sich in dem Verfahren um ein Gründerzeithaus am Mehringdamm in Kreuzberg im März 2018 zeigte. Bei der Auktion galt der Verkehrswert von 5 Millionen Euro als Mindestgebot, unter den Hammer kam das Haus schließlich für 7,1 Millionen, was dem 41-Fachen der derzeitigen jährlichen Nettokaltmiete entspricht. Der Bezirk nahm sein Vorkaufsrecht dennoch wahr und will in einem Musterklageverfahren notfalls durch alle Instanzen durchsetzen, dass auch in solchen Fällen der Verkehrswert als Maßstab gilt. Der Ausgang bleibt ungewiss.

 

Vorkaufsrecht als Preisturbo 

Doch selbst wenn die Verkehrswerte als Richtwerte herangezogen werden, sind die von den Bezirken bzw. letztendlich den Wohnungsgesellschaften zu entrichtenden Kaufpreise teilweise in schwindelerregende Höhen geklettert. Bei einem Haus in Moabit sollten es unter Einrechnung der notwendigen Aufwendungen für Instandhaltung rund 4.000 Euro/m² sein, was deutlich über den Kosten eines Neubaus läge (vgl. S. 21). Unter diesen Voraussetzungen fand sich keine kommunale Wohnungsgesellschaft, die das Haus nach einer Übertragung durch den Bezirk übernehmen wollte. Und das war nicht der einzige Fall dieser Art. Auch das hat eine strukturelle Ursache. Zwar hat das Land einen Ankaufsfonds eingerichtet, der auch auf bis zu 150 Millionen Euro weiter aufgestockt werden soll. Doch die Höhe der Zuschüsse an die städtischen Gesellschaften sind bei 10% des Kaufpreises gedeckelt. Das ist angesichts horrender Preise oftmals viel zu wenig, um ein Haus nach den Richtlinien der „Kooperationsvereinbarung“ (vgl. S.18) ohne hohe Verluste bewirtschaften zu können. Schließlich verlangt das Land Berlin von seinen Gesellschaften nach wie vor eine Eigenkapitalrendite von 2% pro Jahr. Und so wurden einige Vorkäufe an die Bedingung geknüpft, dass die Mieter/innen einer anschließenden Mieterhöhung „freiwillig“ zustimmen.
Die großen Hoffnungen, die vom Senat und einigen Bezirken mit dem Vorkaufsrecht bei vielen Mieter/innen geweckt wurden, weichen allmählich der Ernüchterung. Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) äußerte bereits im September 2018 im Tagesspiegel die Befürchtung, dass angesichts der hohen Kaufpreise, vor allem in besonders begehrten Kiezen, das Vorkaufsrecht ins Leere laufen würde. Für die Immobilienbranche ist das eine komfortable Situation: Ziehen die Bezirke ihr Vorkaufsrecht, machen die Verkäufer ein einträgliches Geschäft. Ziehen sie es nicht, kann sich der Käufer über eine sehr profitträchtige Investition freuen. Und falls der Senat auf die Forderungen einiger Bezirke eingehen sollte, die Mittel für den Vorkauf weiter aufzustocken und die Deckelung der Zuschusshöhe aufzuheben, können die Immobilienunternehmen desto schneller an der Preisschraube drehen.
Das Vorkaufsrecht befindet sich also offensichtlich in einer Sackgasse. Obwohl es bislang, bezogen auf die Gesamtverkäufe in der Stadt, eher selten eingesetzt wurde, stößt es bereits an seine finanziellen Grenzen. Statt Spekulation in Milieuschutzgebieten einzudämmen, wirkt es letztendlich wie ein zusätzlicher Turbo. Immer klarer zeigt sich, dass es sich um reine Symbolpolitik handelt. Den wenigen Mieter/innen, die davon profitieren oder noch profitieren werden, sei das natürlich herzlich gegönnt. Aber es grenzt an Zynismus, diese homöopathischen Eingriffe in das Transaktionsgeschehen als wirksamen Schutz gegen Verdrängung und als scharfes Schwert gegen Spekulation anzupreisen. Statt „kaufen, kaufen, kaufen“ müsste es in dieser von Wohnungsmangel und Mietenexplosion gepeinigten Stadt endlich „bauen, bauen, bauen“ heißen. Und zwar viel, schnell und vor allem kommunal.


MieterEcho 402 / April 2019

Schlüsselbegriffe: Milieuschutz,Immobilienspekulation,Vorkaufsrecht