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MieterEcho 401 / April 2019

Von der Mieterstadt zur Spekulantengoldgrube

Eigenbedarfskündigungen haben sich nach Modernisierungsumlagen zum größten Angstfaktor für Mieter/innen entwickelt

Von Rainer Balcerowiak

Berlin gilt noch immer als klassische Mieterstadt. Zwar ist die Wohneigentumsquote seit der Wiedervereinigung der Stadt stetig gestiegen, doch noch immer liegt sie mit rund 15% deutlich unter dem Niveau anderer deutscher Großstädte. So sind es in Hamburg, Köln und München zwischen 25 und 27%. Der Trend zeigt allerdings auch in Berlin eindeutig nach oben.

Die Nachfrage nach Eigentumswohnungen übersteigt das Angebot bei weitem, und so war in vergangenen Jahren eine regelrechte Preisexplosion zu verzeichnen. Der Durchschnittskaufpreis aller im Jahr 2017 nicht in Paketen veräußerten Eigentumswohnungen lag 2017 bei 3.626 Euro/m2, 2016 waren es noch 3.204 Euro. Erste Erhebungen für 2018 deuten auf Steigerungen in ähnlichen Größenordnungen hin. Das berlinweit höchste Preisniveau wurde mit 5.327 Euro im Bezirk Mitte ermittelt, 2016 waren es dort noch 4.693 Euro. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verspricht Hauseigentümern und Investoren also traumhafte Renditen. Entsprechend stieg die Zahl der Umwandlungen im Jahr 2017 im Jahresvergleich um 25% auf 16.548 Wohnungen, im Neubau sogar um 45% auf 7.072 Wohnungen. Auch fast ein Drittel aller 2017 fertiggestellten, neu gebauten Wohnungen waren Eigentumsobjekte (MieterEcho Nr. 397/ September 2018). Zwar beinhaltet die Umwandlung in Wohneigentum für betroffene Mieter/innen in der Regel zunächst einmal keine Gefahr, die Wohnung zu verlieren. Denn in Berlin gilt eine generelle Schutzfrist vor Eigenbedarfskündigungen von 10 Jahren, und der bisherige Mietvertrag behält  seine Gültigkeit. Doch es gibt Schlupflöcher. So kann beim Erwerb von Eigentumswohnungen im Rahmen von Zwangsversteigerungen ein Sonderkündigungsrecht geltend gemacht werden, das allerdings substanziell begründet werden muss. Gerichten obliegt dann die Abwägung zwischen den Verwertungs- bzw. Eigenbedarfsansprüchen des Eigentümers und den Schutzinteressen der Mieter/innen. Ganz schlechte Karten haben Mieter/innen in derartigen Verfahren unter anderem, wenn es sich um Erbengemeinschaften von Wohnungsbesitzer/innen handelt.

 

Auch der Milieuschutz bietet keinen durchgreifenden Schutz. Zwar steht die Umwandlung in ausgewiesenen Gebieten unter Genehmigungsvorbehalt. Doch wenn der Hausbesitzer sich verpflichtet, die Wohnung in den ersten 7 Jahren nach Umwandlung nur an den bisherigen Mieter zu verkaufen, muss die Genehmigung erteilt werden.  
An zweiter Stelle nach Mietpreissteigerungen nach Modernisierung fürchten Mieter/innen daher Eigenbedarfskündigungen, berichten erfahrene Mieterberater/innen. Zumal dieses Instrument ja nicht nur im Bereich von Eigentumswohnungen genutzt werden kann. Auch Besitzer eines nicht in Teileigentum umgewandelten Mietshauses können dieses Recht geltend machen. Die Gerichte haben die Spielräume des entsprechenden Gesetzes immer mehr ausgeweitet. Im Paragraph 573 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), in dem es um mögliche Gründe für die ordentliche Kündigung von unbefristeten Mietverträgen geht, heißt es, dass „ein berechtigtes Interesse“ vorliege, wenn „der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt“.   

Eigenbedarf als Allzweckwaffe

Für Empörung bei Mieterverbänden sorgte unter anderem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2014 (BVerfG, Urteil vom 23. April 2014 AZ: 1 BvR 2851/13). Dabei ging es um einen in Westdeutschland lebenden Besitzer einer Berliner Zweitwohnung, der einer dort seit 20 Jahren lebenden Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt hatte. Er wollte die Wohnung für gelegentliche Besuche bei seiner in Berlin lebenden unehelichen Tochter aus einer früheren Beziehung als Domizil nutzen. Die Verfassungsbeschwerde der Mieterin gegen ein in dieser Sache vom Berliner Landgericht verhängtes Räumungsurteil wurde von den Karlsruher Richtern abschlägig beschieden. In anderen Urteilen wurden unter anderem die Unterbringung von Au-Pairs der Besitzerfamilien als „berechtigter Eigenbedarf“ anerkannt. Als „Familienangehörige“ werden regelmäßig auch Nichten, Neffen, Cousins, Cousinen und Schwägerschaftsverhältnisse akzeptiert. Entfernte Verwandte können als Kündigungsgrund gelten, wenn der Vermieter eine „enge persönliche Beziehung“ zu diesen geltend macht. Lapidar zusammengefasst könnte man sagen: Ein Vermieter, der einen Mieter auf dem Weg der Eigenbedarfsklage loswerden will, muss sich schon ziemlich dämlich anstellen, wenn er keinen Dreh dafür findet. Ferner gehen Fachanwält/innen davon aus, dass bis zu 30% aller Eigenbedarfsklagen auf vorgeschobenen Gründen basieren, also rechtsmissbräuchlich sind. Doch das hat nur selten Konsequenzen, denn der entsprechende Nachweis wäre meistens nur mit sehr hohem Aufwand zu erbringen. Wer heute in Berlin eine vermietete Eigentumswohnung kauft, weiß sehr genau, dass deren Entmietung einen schlagartigen Wertzuwachs von 30% und mehr bedeuten kann. Deutlich höhere Mieteinnahmen können durch einen Neuvertrag oder die – inzwischen weitgehend legalisierte – zeitweise Nutzung als Ferienappartement erzielt werden.

Keine Entspannung absehbar  

Genaue Zahlen über Eigenbedarfskündigungen und -klagen gibt es nicht. Aber Gerichte, Anwält/innen und Beratungsstellen berichten übereinstimmend, dass die Zahl binnen weniger Jahre deutlich gestiegen ist. Gar nicht zu beziffern ist die vermutlich sehr große Grauzone derjenigen Fälle, in denen Mieter/- innen aus Angst vor möglichen Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang ihre Wohnungen „freiwillig“ verlassen und dafür einen lächerlich geringen „Ausgleichsbetrag“ erhalten. Solange der Run auf Eigentumswohnungen in Berlin anhält und Spekulanten traumhafte Renditen ermöglicht, wird diese Entwicklung anhalten. Zumal der Gesetzgeber nicht die geringsten Anstalten macht, regulierend einzugreifen und etwa die Umwandlung von bestehenden Mietwohnungen unter einen generellen Genehmigungsvorbehalt der Kommunen stellt, mit der Option, diese bei angespannter Wohnungsmarktlage untersagen zu können. Auch Änderungen des Mietrechts, mit denen Eigenbedarfskündigungen unterbunden oder wenigstens deutlich erschwert werden könnten, sind nicht in Sicht. Und so werden Mieter/innen in Berlin und anderen Städten weiterhin mit den Folgen einer politischen Grundsatzentscheidung leben müssen, die der Deutsche Bundestag am 15. März 1951 fällte, denen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG). Denn das im Jahr 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch definiert ein auf dem Grundstück befindliches Gebäude als wesentlichen Bestandteil des Grundstücks und somit den/ die Grundstücksbesitzer auch als Eigentümer des Gebäudes. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem Erbbaurecht zwar die Möglichkeit geschaffen, auf einem fremden Grundstück ein grundbuchlich gesichertes eigenes Bauwerk zu errichten, wenn auch nur für einen bestimmten Zeitraum (typischerweise 99 Jahre). Unbefristete, im Grundbuch eingetragene Eigentumstitel auf einzelne Wohnungen auf Basis einer so genannten Teilungserklärung wurden aber erst mit dem WEG geschaffen. Das Eigentum erstreckt sich nicht nur auf die eigenen vier Wände, sondern auch auf Teile des Grundstücks. Für die Bewirtschaftung und Verwaltung der Immobilie wurde das Rechtsinstrument der Eigentümergemeinschaft geschaffen. Gedacht war das damals in erster Linie als konservativ-marktwirtschaftliches Element zur Überwindung der Wohnungsnot und zur Förderung der Eigentumsbildung vor allem für Familien. In Relation zur geltenden Wohnraumzwangsbewirtschaftung und den massiven staatlichen Förderprogrammen für den sozialen und gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbau spielte das neue Instrument zunächst eine eher marginale Rolle. Doch die Büchse der Pandora war geöffnet. Auch vermietete Wohnungen wurden Schritt für Schritt zur frei handelbaren Ware. Der im Zuge des neoliberalen Vormarschs seit den 1990er Jahren entfesselte globale Finanzkapitalismus wirkte dabei als Turbobeschleuniger. Die Zeche dafür zahlen die Mieter/innen.


MieterEcho 401 / April 2019

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