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MieterEcho 403 / Juni 2019

Olle Klassen trotz voller Kassen

Die Bildungsausgaben Berlins sehen auf den ersten Blick hoch aus, den selbst gesteckten Zielen werden sie aber nicht gerecht

Von Manfred Schlichthörl und Hartmut Schurig

Die Kassen sind gut gefüllt, nicht nur die der Deutsche  Wohnen, des Unternehmens Bertelsmann oder des Investmentfonds Blackrock. Auch der Finanzsenator hat seit einiger Zeit wieder finanziellen Spielraum. Dennoch sehen unsere Schulen so aus, wie sie aussehen. Die Kürzungsorgien der Vergangenheit zeigen langfristig Wirkung. Berlins Infrastruktur wurde kaputtgespart, das Tafelsilber verscherbelt, und der aktuelle Senat tut sich schwer, diesen Schaden zu reparieren. Auch manche gutgemeinte Initiative verläuft zwischen Personalmangel in den Verwaltungen und Ineffizienz im märkischen Sand. Einstürzende Schulbauten und unzufriedene Beschäftigte gehören heute zum Berliner Schulalltag.                          

Von der groß angekündigten Schulbauoffensive (siehe Mieter-Echo 393/ Februar 2018) ist bisher wenig zu spüren. Zwar haben die Bezirke wieder mehr Geld, um die Schulgebäude zu unterhalten. Hausmeister/innen sind aber weiterhin Mangelware und auch die Schulreinigung verbleibt in der Hand profitorientierter Unternehmen. Auch wenn viele Probleme komplex und nur mit viel Zeit zu lösen sind, so wundert man sich dennoch über manch vermeintliche Kleinigkeit, die mit etwas Geld zu regeln sein sollte. Wie kann es sein, dass selbst Kopien an vielen Schulen immer noch abgezählt werden müssen? Von Schreibtischen und Computerarbeitsplätzen im Personalraum ganz zu schweigen. Der heutige Zustand ist ohne Frage ein Resultat des jahrzehntelangen Sparkurses. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen fördert allerdings Erstaunliches hervor. Berlin gibt im Vergleich der Bundesländer in vielen Bereichen nämlich überdurchschnittlich viel Geld pro Schüler/in aus. Misst man die Ausgaben aber an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und an den Ansprüchen, die Politiker/innen in ihren Sonntagsreden formulieren, so bietet sich ein anderes Bild.
                         

Bundesweit höchste Ausgaben pro Schüler/in       

Man kann es kaum glauben: Berlin gab im Jahr 2015 pro Schüler/in 8.900 Euro aus und war damit Spitzenreiter in Deutschland. Die Ausgaben pro Schüler/in enthalten im Wesentlichen drei Bestandteile, nämlich Personalkosten, Sachaufwand und Investitionen. Hierbei fällt auf, dass Berlin Spitzenreiter bei den Sachausgaben ist und mit 1.600 Euro weit über dem Bundesdurchschnitt von 900 Euro liegt. Bei den Personalausgaben belegt Berlin mit 7.100 Euro Platz zwei hinter Thüringen und liegt ebenfalls deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 5.600 Euro. Ganz anders sieht es allerdings bei den Investitionen aus. Sie lagen 2015 bei gerade einmal 200 Euro pro Schüler/in, während sie im Bundesdurchschnitt doppelt so hoch waren. Aus dieser Zahl mag sich der Zustand vieler Schulgebäude erklären. Die Angabe zu den Personalausgaben muss verwundern, steht sie doch im Widerspruch zu dem bundesweit niedrigsten Einkommen, das die Berliner Lehrkräfte trotz deutlich höheren Durchschnittsalters beziehen. Im Schnitt liegt das Bruttogehalt an Berliner Schulen bei 4.800 Euro und damit rund 400 Euro unter dem bundesweiten Wert. Laut DGB-Besoldungsreport erhalten Berliner Beamte etwa 5% weniger als der Bundesdurchschnitt und 10% weniger als Bayerische oder Bundesbeamte der gleichen Besoldungsgruppe, wobei in Berlin seit 2004 keine Lehrer/innen mehr verbeamtet wurden.
Wie erklären sich also die hohen Bildungsausgaben je Schüler/in in Berlin? Fakt ist, dass keine der wichtigen Kennziffern – Klassenfrequenz, Unterrichtsstunden je Schüler/in, Pflichtstunden der Lehrkräfte – in Berlin merklich vom Bundesdurchschnitt abweicht, eine Ausnahme bildet lediglich die Schüler/innen-Lehrer/innen-Relation in den Klassenstufen 5-10. Als Ursachen für die höheren Bildungsausgaben können lediglich der wesentlich höhere Ganztagsanteil im Grundschulbereich (72% gegenüber knapp 50% im Bundesdurchschnitt) sowie der merklich höhere Anteil „teurerer“ Vollzeitschüler/innen ohne Ausbildungsvertrag im Berufsschulsystem identifiziert werden. Das allein scheint aber als Erklärung nicht auszureichen. Dass die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie die vorhandenen Mittel nur wenig effizient einsetzt, ist eine naheliegende Vermutung, die aber kaum bewiesen werden kann.      

                                                 

Weit unter dem 7%-Ziel               

In Berlin sind die Bildungsausgaben je Schüler/in in den letzten Jahren insgesamt gestiegen. Auf der Preisbasis des Jahres 2000 sind die Ausgaben zwischen 1995 und 2004 zunächst um etwa 14% gesunken und damit wesentlich schneller als die Zahl der Schüler/innen, die in dieser Zeit ebenfalls abnahm. Seit 2004 ist ein bemerkenswerter realer Anstieg der Ausgaben von 60% zu beobachten. Im Jahr 2004 gab Berlin noch 4.047 Euro pro Schüler/in aus, im Jahr 2015 waren es bereits 6.486 Euro, ebenfalls inflationsbereinigt auf Preisbasis des Jahres 2000. Dieses Ergebnis klingt zunächst paradox, ist es doch kaum mit der wahrgenommenen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Gehaltsentwicklung in Einklang zu bringen. Zur Bewertung der Bildungsausgaben zieht die AG Bildungsfinanzierung der GEW Berlin daher das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Vergleichsgröße heran. Das BIP ist international eine anerkannte Messlatte und es hilft, auch die Berliner Ausgaben richtig einzuordnen.
Vor über zehn Jahren, beim Dresdener Bildungsgipfel im Herbst 2008, gab Bundeskanzlerin Angela Merkel die Zielgröße von 7% des BIP für Bildung – ohne Forschung – aus. Diesem Ziel jagen wir bis heute hinterher. Berlin gab 1995 noch 5,8% seines BIP für Bildung aus, im Jahr 2017 waren es nur noch 4,9%. Trotz der absoluten Steigerung seit 2004 sind die öffentlichen Bildungsausgaben des Landes gemessen am BIP also deutlich gesunken. Um das von der Bundeskanzlerin formulierte Ziel zu erreichen, müsste Berlin rund 2% des BIP mehr für Bildung ausgeben. Das wären im Jahr 2017 insgesamt über 2,6 Milliarden Euro bzw. gut 6.000 Euro je Schüler/in mehr gewesen! Bleibt man bescheiden und geht nur von der Hälfte aus, also 1% des BIP, so kommt man immer noch auf eine Summe von über 1,3 Milliarden Euro. Selbst das klingt unrealistisch viel, aber man läge damit nicht nur weit unter dem selbstgesetzten Ziel, sondern auch deutlich unter den Ausgaben anderer Länder wie Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Großbritannien oder den USA, die 2015 allesamt 5% oder mehr ihres BIP für Bildung ausgaben. 

                                                         

Mehr ist notwendig           

Mit den benannten 1,3 Milliarden Euro ließen sich einige der zentralen Forderungen der GEW Berlin finanzieren. Eine Verringerung der Klassengrößen um zwei Schüler/innen – von derzeit durchschnittlich 23 auf 21  – würde grob überschlagen etwa 360 Millionen Euro kosten. Mit einem ähnlichen Betrag ließen sich die Arbeitszeiten der Erzieher/innen und der sozialpädagogischen Fachkräfte reduzieren sowie die Pflichtstunden der Lehrkräfte von derzeit durchschnittlich 27 auf 25 Wochenstunden senken. Und dann bliebe immer noch viel Geld übrig, um Schulen besser auszustatten und in einem ordentlichen Zustand zu erhalten. Die Kassen des Finanzsenators sind derzeit gut gefüllt. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für Investitionen in die Zukunft?                             

Manfred Schlichthörl und Hartmut Schurig engagieren sich in der AG Bildungsfinanzierung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Artikel basiert auf einem Beitrag für deren Berliner Bildungszeitschrift (BBZ). Weitere Informationen und eine Langfassung der Recherche finden sich auf der Homepage gew-berlin.de.


MieterEcho 403 / Juni 2019

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