Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 405 / September 2019

Nur noch ein löchriges Deckelchen

Der Referentenentwurf für den Berliner Mietendeckel fällt weit hinter die ursprünglichen Eckpunkte zurück

Von Rainer Balcerowiak   

Der von der rot-rot-grünen Koalition gebilligte und am 30. August veröffentlichte Referentenentwurf für einen Berliner Mietendeckel befindet sich derzeit in der Beratungs- und Abstimmungsphase. Am 15. Oktober will der Senat einen entsprechenden Gesetzentwurf beschließen, anschließend wird das Berliner Abgeordnetenhaus in mehreren Lesungen darüber beraten und im Dezember schließlich entscheiden. Das Gesetz könnte laut dem Zeitplan im Januar 2020 in Kraft treten.       

Im Kern sieht der Mietendeckel für fünf Jahre das Einfrieren aller Bestandsmieten auf dem Stand vom 18. Juni 2019 vor. An diesem Tag hatte der Senat ein erstes Eckpunktepapier verabschiedet. Zudem soll es nach Baualtersklassen differenzierte Obergrenzen für Nettokaltmieten geben, nebst gedeckelten Modernisierungszuschlägen. Ausgeklammert bleiben ab 2014 fertiggestellte Neubauten sowie Sozial- und Trägerwohnungen mit anderweitig gesetzlich geregelten Mieten. Sowohl der Eckpunktebeschluss als auch ein am 23. August bekannt gewordenes Arbeitspapier aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatten bei Wirtschaftsverbänden, der Immobilienlobby und ihr verbundenen Politiker/innen und Medien einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Von „sozialistischem Ungeist“, der die Stadt in den Abgrund führen werde, war die Rede. An der Kampagne gegen einen Mietendeckel beteiligten sich neben den Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD auch Sprecher des Genossenschaftsverbandes, Teile der SPD und Betriebsräte der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.
Diese Kampagne erzielte offenbar Wirkung. Denn der seit dem 30. August als Grundlage des Gesetzgebungsverfahrens vorliegende Entwurf weist deutliche Verwässerungen im Sinne der Immobilienlobby auf. So soll die Senkung überhöhter Mieten nur noch beantragt werden können, wenn die Miete die Schwelle von 30% des Nettohaushaltseinkommens überschreitet, wobei auch nur „angemessene Wohnungsgrößen“ berücksichtigt werden, wie sie auch für Hartz-IV-Beziehende gelten.

Mietsenkungen als Almosen für Arme

Im Eckpunktebeschluss hieß es hingegen: „Es kommt auch bei der Regulierung von Mietpreisen nicht darauf an, ob in Einzelfällen die individuelle Überforderungsgrenze überschritten ist. Es genügt vielmehr, dass aufgrund der aktuellen Entwicklung von Mietpreisen und Einkommen damit zu rechnen ist, dass eine ungesteuerte Entwicklung in absehbarer Zeit zur Überforderung oder zumindest zu unerwünscht hohen Belastungen eines Großteils der Mieterhaushalte führen wird.“ Daher sollte jede/r Mieter/in unabhängig vom Einkommen die Absenkung von Mieten oberhalb des Deckelwertes beantragen können. Dies hätte unmittelbar in die Extraprofite aller Hausbesitzer eingegriffen, während die jetzt vorgeschlagene Regelung eher auf der individuellen Almosenebene angesiedelt ist. Geändert wurde gegenüber den Eckpunkten auch die Berechnungsgrundlage der Obergrenzen. Ursprünglich sollten dafür die Mietspiegelwerte von 2011 verwendet werden, also dem letzten Erhebungsjahr, in dem der Berliner Wohnungsmarkt noch als „entspannt“ galt. Jetzt wird auf den Mietspiegel von 2013 Bezug genommen, was in einigen Baualtersklassen erheblich höhere Mieten beinhaltet.
Im Entwurf von Katrin Lompscher und ihrem Staatssekretär Sebastian Scheel für die entscheidende Sitzung des Koalitionsausschusses am 29. August (liegt dem MieterEcho vor) steht beispielsweise für Altbauten bis 1918 noch der Höchstwert von 6,03 Euro/m², in der neuen Tabelle sind es 6,45 Euro/m². Gravierend ist auch die Ausweitung der Modernisierungszuschläge. Laut Eckpunktebeschluss sollten entsprechende Zuschläge auf den Deckelwert nur bis 50 Cent/m² genehmigungsfrei möglich sein. Und das Arbeitspapier sah Zuschläge nur bei Modernisierungen vor, die in den letzten acht Jahren erfolgt sind. Im jetzigen Entwurf sind Zuschläge bis zu 1,40 Euro für einen Rückwirkungszeitraum von 15 Jahren möglich. Zusätzlich können auch künftige Modernisierungen trotz „Mietendeckel“ bis zu 1 Euro/m² aufgeschlagen werden. Aus den dem MieterEcho vorliegenden Dokumenten geht eindeutig hervor, dass diese Aufweichung der ursprünglich geplanten Deckelung auf Initiative von Lompscher erfolgte. Auf Bundesebene fordert Die Linke hingegen, der Überkompensation von Modernisierungen, die längst refinanziert sind, einen Riegel vorzuschieben. Und es sind sogar noch weitere Zuschläge trotz „Mietendeckel“ möglich, wenn beispielsweise „die Modernisierung zur Erreichung der Klimaschutzziele des Landes Berlin erforderlich ist“.  Für die besonders „modernisierungsaffine“ Baualtersklasse bis 1918 könnte dies im Extremfall bedeuten, dass der Mietendeckelwert von 6,45 Euro/m² insgesamt locker auf 9 Euro und mehr steigen könnte. Zur „Vermeidung unbilliger Härte“, wenn „die Beibehaltung der zulässigen Miete auf Dauer zu Verlusten (…) führen würde“, dürfen Vermieter weiterhin überhöhte Mieten kassieren und Mieterhöhungen vornehmen. Wird eine vom Vermieter beantragte Mietüberhöhung genehmigt, gilt für die betroffenen Mieter/innen wieder das Almosenprinzip. Bei Vorliegen der individuellen Voraussetzungen (entsprechend niedriges Einkommen) können sie einen Mietzuschuss bei der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) beantragen. Doch damit nicht genug. Denn der Mietendeckel soll gleich auf zwei Weisen „atmen“. Auf Betreiben der Grünen sollen Vermieter, deren Mieten bislang unter den neuen Obergrenzen liegen, in den kommenden Jahren die Miete um 1,3% erhöhen können, maximal bis zum Deckelwert.  
Doch auch dieser Wert wird in den kommenden Jahren stetig steigen, und zwar „zum Zwecke der Anpassung an die allgemeine Preis- und Lohnentwicklung“. Dieser Vorschlag stammt laut den Dokumenten aus Lompschers Verwaltung. Ein weiterer, für viele Mieter/innen existenzieller Punkt taucht in dem aktuellen Entwurf überhaupt nicht mehr auf. In dem Arbeitspapier war noch vorgesehen, dass die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen künftig generell einer Genehmigungspflicht unterliegen soll. Dies sei rechtlich nicht umsetzbar, hieß es auf Nachfrage aus Koalitionskreisen.

Lompschers vorauseilender Gehorsam   

Die im Koalitionsauschuss nach heftigen Grabenkämpfen erzielte Einigung verlief offensichtlich anhand einiger „roter Linien“ der beteiligten Parteien. Die SPD wollte vor allem die städtischen Wohnungsbaugesellschaften vor möglichen Einbußen durch einen „starren“ Mietendeckel mit sehr niedrigen Obergrenzen bewahren und lehnte auch den Anspruch auf die Senkung aller überhöhten Bestandsmieten kategorisch ab. Die Grünen legten sich vor allem für Genossenschaften und „alternative Eigentumsformen“ ins Zeug.
Warum Lompscher in einem Akt vorauseilenden Gehorsams die Spielräume für Modernisierungsumlagen und jährliche Erhöhungen der Deckelgrenzwerte in ihre Vorlage für den Koalitionsausschuss aufnahm, bleibe allerdings rätselhaft, erfuhr das Mieterecho auf Nachfrage aus Koalitionskreisen. Bei aller notwendigen Kritik an diesem löchrigen Mietendeckelchen können einige Punkte allerdings positiv bewertet werden. So sollen möbliert vermietete Wohnungen vollumfänglich in den Mietendeckel einbezogen werden. Das zielt auf Geschäftsmodelle, wie sie von Unternehmen wie Medici Living mit Quadratmeterpreisen von 40 Euro und mehr praktiziert werden. Und grundsätzlich gilt, dass bei Neuvermietungen der Deckelgrenzwert nicht überschritten werden darf, auch wenn die Miete vorher höher war. Allerdings ist abzusehen, dass der Mietendeckel im laufenden Beratungsverfahren bis zu seiner Verabschiedung im Dezember weiter verwässert wird. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte bereits an, dass man eine Differenzierung der Deckelwerte nach Wohnlagen prüfen werde. Die Immobilienlobby und ihre Verbündeten lehnen auch den nunmehr weichgespülten Mietendeckel kategorisch ab und drohen mit Klagen durch alle Instanzen. Lediglich die städtischen Gesellschaften, deren Handschrift bei den „Korrekturen“ deutlich erkennbar ist, zeigten sich verhalten zufrieden. Auch bei Anlegern wird die rot-rot-grüne Rolle rückwärts durchaus positiv bewertet. Während die Aktien in Berlin engagierter Immobilienkonzerne nach dem ersten Eckpunktebeschluss des Senats im Juni erhebliche Einbußen zu verzeichnen hatten, schossen sie nach Veröffentlichung des Referententwurfs mit Kurssteigerungen um bis zu 13% in die Höhe.


MieterEcho 405 / September 2019

Schlüsselbegriffe: Mietendeckel

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