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MieterEcho 400 / Februar 2019

Noch ein Jahr des Stillstands

Auch 2018 trat der Neubau auf der Stelle – Mietenexplosion und Verdrängung gehen nahezu ungebremst weiter

Von Rainer Balcerowiak        

Seit gut zwei Jahren regiert in Berlin ein rot-rot-grüner Senat. Erstmals trägt mit Katrin Lompscher eine Politikerin der Partei Die Linke als Senatorin die Verantwortung für den Bereich Stadtentwicklung und Wohnen. Der Regierungswechsel wurde von vielen Erwartungen und Hoffnungen begleitet, zumal der neue Senat die Wohnungspolitik zu einem Schwerpunkt erklärt hatte. Angesichts des dramatischen Wohnungsmangels und ungebremst explodierender Mieten lag dies auch nahe.       

Mochte man dem neuen Senat im ersten Jahr eine gewisse Schonfrist einräumen, so machte sich im Jahr 2018 allgemeine Ernüchterung breit. Denn bereits jetzt ist klar, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele während dieser Legislaturperiode nicht erreicht werden. Weit verfehlt wurde das Ziel, pro Jahr 20.000 neue Wohnungen fertigzustellen, davon 6.000 durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Und die Zahl der 2018 erteilten Baugenehmigungen lässt keine Besserung erwarten.    
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Viele Projekte hängen in der „Planungsschleife“, da die zuständigen Senats- und Bezirksstellen nach wie vor chronisch unterbesetzt sind. Neue mehrstufige Formen der Bürgerbeteiligung sorgen zudem für beträchtliche Verzögerungen. Das Herzstück der „Wohnungsbauoffensive“, die noch vom Vorgängersenat projektierten 12 neuen Stadtentwicklungsgebiete, ist nur noch ein Torso. Das größte, die Elisabeth- Aue in Pankow mit bis zu 5.000 neuen Wohnungen, wurde auf Betreiben der Partei Die Linke und der Grünen bereits im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode gestrichen. Die für die Zeit nach der Schließung des Flughafens in Tegel vorgesehen Wohnungsbauprojekte sind angesichts der mehrfach verschobenen und auch jetzt noch ungewissen Eröffnung des neuen Großflughafens BER ohnehin nur wolkige Luftschlösser. Partizipationsverfahren sorgen beispielsweise in Blankenburg absehbar für erhebliche Verzögerungen und voraussichtlich auch für eine Reduzierung der geplanten Wohnungszahlen. Bei der Wasserstadt in Spandau stellte sich hingegen die Bezirksverwaltung mit allerlei Tricks gegen das Projekt, weil ihr vor allem der hohe Anteil an geförderten Wohnungen für Normal- und Geringverdienende ein Dorn im Auge war. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.       

 

Ungenutzte Baugenehmigungen

Doch auch andere Wohnungsbauhemmnisse hat der Senat mehr oder weniger verschlafen. Laut einer Studie des Analysehauses Bulwiengesa wurden in Berlin in den vergangenen zehn Jahren rund 48.000 genehmigte Wohnungen in Mehrfamilienhäusern bisher nicht gebaut. In den meisten Fällen dürfte es sich um Spekulation mit gehortetem baureifem Land handeln, da diese Immobilien angesichts der Knappheit an entsprecheden Liegenschaften exorbitant im Wert steigen. Angekündigte Gegenstrategie
wurden bislang nicht umgesetzt. Trotz dieses eklatanten Engpasses leistet sich der Senat den Luxus, die Nutzung vorhandener Baulandreserven wie des Tempelhofer Feldes und der Elisabeth-Aue nach wie vor kategorisch auszuschließen. Zwar hat die Berliner SPD auf ihrem letzten Landesparteitag beschlossen, die erneute Prüfung dieser beiden Gebiete zu fordern, und auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich entsprechend positioniert. Doch die Koalitionsparteien lehnen dies strikt ab. Die SPD ist viel zu schwach, um sich in solch zentralen Fragen noch durchsetzen zu können.       
   

Zweckentfremdung quasi legal 

Nahezu fassungslos macht einen auch das Agieren des Senats in einem weiteren wohnungspolitischen Feld. Im August 2018 trat eine Novelle des 2013 vom Vorgängersenat beschlossenen Zweckentfremdungsverbotsgesetzes in Kraft. Die gewerbliche Nutzung von Erstwohnsitzen über kommerzielle Portale und ohne zeitliche Beschränkung wird darin faktisch legalisiert. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetz ist das eine Rolle rückwärts, die unter anderem mit der „Lebenswirklichkeit“ vieler Berliner/innen begründet wurde, die in der globalisierten Arbeitswelt oft an verschiedenen Standorten tätig seien.     
Für die Zweckentfremdung muss lediglich eine gebührenpflichtige Genehmigung bei den jeweiligen Bezirksämtern beantragt werden. Diese wird laut Ausführungsbestimmung erteilt, wenn „der grundsätzliche Charakter als Hauptwohnung nicht angetastet wird“ und dort auch trotz zeitweiliger Abwesenheit weiterhin der „tatsächliche Lebensmittelpunkt“ bestehen bleibe.     
Diese Anmeldepflicht wird allerdings weitgehend ignoriert, wohl auch, weil schriftliche Genehmigungen des Vermieters der Wohnung eingereicht werden müssen und die erzielten Einkünfte unter Umständen der Steuerpflicht unterliegen. Jedenfalls ergab eine Recherche des Senders rbb im November, dass rund 90% aller über gewerbliche Portale offerierten privaten Ferienwohnungen ohne die vorgeschriebenen Registriernummern - also mithin illegal - angeboten werden.   Alleine AirBnB bietet in der Hauptstadt über 10.000 illegale Ferienwohnungen an und verweigert die Herausgabe der Anbieterdaten. Der Senat reagiert mit Fatalismus: Da könne man nichts machen, das Unternehmen berufe sich auf irisches Recht. Auch die Bezirke zucken mit den Schultern: Es gebe zu wenig Personal, um die illegalen Vermieter/innen aufzutreiben. Mitte, Neukölln und CharlottenburgWilmersdorf verzichten laut rbb aus Personalmangel sogar vollständig auf eigene Ermittlungen. Lediglich Pankow hat bislang versucht, AirBnB auf juristischem Weg zur Herausgabe der Anbieterdaten zu zwingen, scheiterte damit aber im März vor dem Berliner Verwaltungsgericht und hat nun Berufung eingelegt. Etwas Hoffnung macht ein Anfang Dezember veröffentlichtes Urteil des Verwaltungsgerichts München, das das Unternehmen unter Androhung von Zwangsgeldern zur Herausgabe der Daten verpflichtet. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, und durch den kompletten Instanzenweg bis hin zum Europäischen Gerichtshof kann es etliche Jahre dauern.   
Für die Untätigkeit des Senats ist das keine Entschuldigung. Andere europäische Städte, die ebenfalls massive Probleme mit der Zweckentfremdung von Wohnraum verzeichnen, haben spezielle Einsatzgruppen gebildet, um diesem asozialen Treiben ein Ende zu bereiten. Manche setzen die Steuerfahndung auf die illegalen Vermieter/innen an. In Berlin verzichtet man faktisch auf die wirksame Anwendung des Gesetzes und die damit verbundenen Bußgelder.
        

Mietpreise kaum gedämpft 

Derweil explodieren die Bestands- und Neuvertragsmieten in Berlin mit ungebrochener Dynamik. Die Angebotsmieten haben sich berlinweit binnen zehn Jahren fast verdoppelt. Die lange Zeit noch relativ preiswerten Randbezirke haben aufgrund des Verdrängungsdrucks aus den begehrten innerstädtischen Lagen in den letzten Jahren deutlich „aufgeholt“. Die durchschnittliche Haushaltsbelastung durch Wohnkosten stieg 2018 auf 46% des Einkommens. Auch für Normalverdienende und besonders für Familien können kostentreibende Modernisierungen existentiell bedrohlich werden, zumal bezahlbarer Ersatzwohnraum kaum vorhanden ist. Längst betonen Politiker/innen fast aller Parteien, dass die Mietenentwicklung immer mehr zum zentralen Problem der Hauptstadt geworden sei und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gefährde. Der rot-rot-grüne Senat hat dem wenig entgegenzusetzen. Das Mietrecht ist ohnehin Bundesangelegenheit, die Eingriffsmöglichkeiten beschränken sich im Wesentlichen auf die Bestände der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Der Senat hat das bereits von der Vorgängerregierung mit den Gesellschaften vereinbarte „Mietenbündnis“ zur Deckelung der Mieten für Geringverdienende zwar fortgeschrieben, aber auch 2018 kaum neue Impulse gesetzt. Voran ging es allerdings bei der Ausweisung von Milieuschutzgebieten. Davon gibt es in Berlin mittlerweile 55. Im Jahr 2018 sind 13 hinzugekommen, davon alleine sechs in Mitte. Insgesamt wohnen derzeit 840.000 Menschen in rund 450.000 Wohnungen in diesen Gebieten. Doch einen wirksamen Verdrängungsschutz bieten die Milieuschutzsatzungen schon lange nicht mehr. Zwar können in den Gebieten sogenannte Luxusmodernisierungen untersagt werden, doch kostentreibende Maßnahmen wie energetische Sanierung oder der Anbau eines Fahrstuhls müssen in der Regel geduldet werden. Sogar die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen kann nicht verhindert werden, sofern sich der Besitzer verpflichtet, die Wohnung für einen Zeitraum von sieben Jahren nur an den Mieter zu veräußern.
       

Vorkaufsrecht stößt an Grenzen

Unmittelbare Eingriffe ermöglicht einzig das Vorkaufsrecht der Bezirke, das eingesetzt werden kann, wenn durch den Verkauf eines Hauses die Verdrängung der angestammten Mieter/innen droht. Vom Senat und einigen Bezirken wird das mittlerweile als eine Art Königsweg zur Unterbindung von Spekulation angepriesen. Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich dieses Instrument eher als homöopathisches Mittel gegen Immobilienspekulation. Selbst wenn man den Abschluss von „Abwendungsvereinbarungen“, in denen sich die ursprünglichen Käufer verpflichten, auf kostentreibende Modernisierungen und Umwandlung in Wohneigentum zu verzichten, dazu rechnet, konnten in den vergangenen drei Jahren gerade mal knapp 3.000 Wohnungen einigermaßen sozialverträglich abgesichert werden. Bis Ende September 2018 wurde das Vorkaufsrecht für rund 50 Häuser ausgeübt, wobei in einigen Fällen noch Gerichtsprozesse anhängig sind. In der Regel trat der Bezirk dabei als Zwischenerwerber auf, um die Immobilie anschließend einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft zu übergeben, doch in einigen Fällen wurde auch mit Stiftungen oder privaten Investoren kooperiert. Auch Modelle mit erheblichen Eigenbeteiligungen der Mieter/innen kamen zum Tragen. Es zeigte sich aber auch, dass dieses Instrument allmählich an seine Grenzen stößt. Denn für pfiffige Investoren hat sich das Vorkaufsrecht zu einer Art Goldgrube entwickelt. Bei den Transaktionen werden „Mondpreise“ aufgerufen, in einzelnen Fällen das bis zu 41fache der bisherigen Nettokaltmiete. Es geht um Preise, die nicht nur weit über dem Verkehrswert liegen, sondern die künftige sozialverträgliche Bewirtschaftung eines Hauses unmöglich machen. Trotz entsprechender Beschlüsse wurde das Vorkaufsrecht im Jahr 2018 daher in einigen Fällen nicht ausgeübt, weil sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften außerstande sahen, die Objekte zu diesen Bedingungen zu übernehmen.   
Und längst hat die Branche einen neuen Trick entdeckt: Den Teilverkauf von Immobilien. Erwirbt der Bezirk bzw. eine Wohnungsbaugesellschaft per Vorkaufsrecht nur die Minderheit an einer Immobilie, gibt es kaum Einflussmöglichkeiten auf künftige Bewirtschaftungsentscheidungen. Beim Verkauf der anderen Anteile kann der Bezirk oder die Gesellschaft dann nicht mehr intervenieren.  Beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) sieht man die Zunahme an Vorkäufen unter den gegebenen Bedingungen kritisch: „Wie viele Objekte kann und will die öffentliche Hand angesichts der weiter drastisch anziehenden Preise kaufen? Wie soll das finanziert werden, wenn die Mieten diese Kaufpreise nicht abbilden können?“, so der Leiter des Bereichs Wohnungswirtschaft und -politik, Mario Hilgenfeld. Mit zunehmenden Fallzahlen und ständig steigenden Verkehrswerten werde die Lage schwieriger und die Ausnahme von den gedeckelten Mieterhöhungen gemäß Kooperationsvereinbarung wirtschaftlich immer bedeutender. Das eigentliche Ziel des Vorkaufsrechts, den Schutz der angestammten und künftigen Mieter/innen vor Verdrängung, wird dadurch nahezu karikiert.    
Trotz aller Erfolgsmeldungen, die vor allem der als „Vorreiter des Vorkaufsrechts“ gefeierte Stadtentwicklungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (B90/Grüne) regelmäßig verbreitet, lässt sich festhalten, dass das Vorkaufsrecht bestenfalls eine Nische im Kampf gegen Mietenexplosion und Immobilienspekulation darstellt. Zudem hat das vergangene Jahr gezeigt, dass die Branche mittlerweile Wege gefunden hat, es teilweise auszuhebeln. Und eine rechtskräftige Entscheidung über die Frage, ob die Bezirke ihr Vorkaufsrecht immer zum jeweiligen Verkehrswert der Immobilie ausüben dürfen, dürfte noch einige Zeit auf sich warten lassen.

Enttäuschendes Fazit  

Gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt hat der rot-rot-grüne Senat jedenfalls wenig Positives vorzuweisen. Der Neubau stagniert, vor allem im unteren und mittleren Preissegment. Eine durchgreifende Liegenschafts-, Planungs- und Genehmigungspolitik ist ebenso wenig zu erkennen wie ein  offensives Vorgehen gegen Spekulation und Mietpreisexplosion. In einem Bereich sind allerdings deutliche „Fortschritte“ zu erkennen. Die Zahl der Wohnungslosen, die mangels „Marktchancen“ mehr oder weniger notdürftig untergebracht werden müssen, steigt stetig. Zunehmend sind Berufstätige und Familien betroffen. Das ist ernüchternd, könnte aber auch ein Ansporn sein, im neuen Jahr neue Anläufe zu unternehmen, um dieser desaströsen Politik etwas entgegen zu setzen. 


MieterEcho 400 / Februar 2019

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