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MieterEcho 401 / April 2019

Medienzirkus oder Chance für die Mietenpolitik?

Zur kurzen aber lebhaften Diskussion um einen „Berliner Mietendeckel“

Von Philipp Mattern

Ein Jurist veröffentlicht einen Aufsatz in einer juristischen Fachzeitschrift. Soweit nichts Ungewöhnliches. Die Reaktionen indes sind gewaltig. „Sensationell“,„phänomenal“,„der Hammer“ tönt es durch die Berliner Politik. Was ist der Grund für die Aufregung?

Der Jurist Peter Weber, ehemaliger Fachanwalt für Mietrecht und nun Angestellter im Wohnungsamt von Pankow, schrieb für die JuristenZeitung vom November 2018 einen knapp 8 Seiten langen Aufsatz, in dem er sich der Frage widmete, ob die Bundesländer selbständig ein Mietpreisrecht außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) setzen könnten. Er kam zu dem Ergebnis, dass dies durchaus denkbar wäre, da den Ländern mit der Föderalismusreform 2006 eine Gesetzgebungskompetenz im Wohnungswesen zukomme. Diese erlaube es, auf der Grundlage eines „öffentlichen Preisrechts“ Mietobergrenzen festzusetzen. Nach Webers Einschätzung dürfte das nicht im Konflikt mit einer konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes stehen.   
Das ist eine durchaus interessante Überlegung und eine keineswegs unsympathische Vorstellung, gleichwohl basiert sie auf einer steilen und äußerst streitbaren These. Bei der Veröffentlichung Webers handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern zunächst um die Rechtsauffassung eines einzelnen Juristen. Als solche ließe sie sich diskutieren. Doch Webers Ausführungen wurden gleich zum Gegenstand eines mehrwöchigen und geradezu postfaktischen Polittheaters.  Nachdem Webers Artikel einige Wochen in der JuristenZeitung geschlummert hatte, griff ein Trio um die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl (SPD) seine Argumentation auf und startete mit einem großen Knall aus dem medialen Winterloch. Mitte Januar veröffentlichte sie zusammen mit Julian Zado und Kilian Wagner vom SPD-Kreisverband Mitte einen Gastbeitrag im Tagesspiegel . Darin forderten die drei, Berlin solle eine „landeseigene öffentliche Mietpreisbindung“ für Bestands- und Neuvertragsmieten im Innenstadtbereich einführen. Von durchschnittlich 6 bis 7 Euro nettokalt ist die Rede, und zwar „noch in dieser Legislaturperiode“, also bis übernächstes Jahr. Der passende Markenname wurde gleich mitgeliefert, und so war der „Berliner Mietendeckel“ plötzlich in aller Munde. Das Medienecho war enorm, den SPDler/ innen ein Coup gelungen. Politiker/innen und Kommentator/innen, egal ob vom Fach oder nicht, brannten darauf, ihre Meinung kundzutun. 

Medienrummel statt Sachdiskussion 

Während der Medienrummel tobte und die SPD ihren Coup auskostete, wurde der Berliner Koalitionspartner ungestüm. „Es ist kein SPD-Vorstoß, sondern ein Vorschlag eines Juristen. Kann man mal zur Kenntnis nehmen“, zeterte die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg auf Facebook. Das Vorpreschen der SPD konnte ihre Partei nicht auf sich sitzen lassen. Die Linke legte nach und forderte ebenfalls einen Mietendeckel – für Hamburg! Das ist kein Witz. Die Partei brachte einen entsprechenden Antrag in die Bürgerschaft ein, der postwendend (auch von der SPD) abgebügelt wurde. Der Mietendeckel sei – ganz im Berliner Jargon – der „absolute Hammer“ und nicht weniger als eine „Revolution in der Wohnungswirtschaft“, so ließ sich die wohnungspolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei vom NDR zitieren. Nicht schlecht, diese Wortwahl. Vor ein paar Wochen noch den roten Matrosen zum Hundertsten gratuliert, und jetzt die Revolution mit dem „öffentlichen Preisrecht“ machen wollen? Aber gut, muss jede/r selbst wissen. Und in der Tat, diese Rhetorik verfing durchaus. Zumindest der Klassenfeind schloss sich prompt dem Pathos an. Der Mietendeckel sei „unverhohlener Klassenkampf“, polterte der Eigentümerverband „Haus und Grund“. Zwei Dumme, ein Gedanke? Wo das der Fall ist, lässt der Dritte nicht lange auf sich warten. Und tatsächlich: „Wohnen wie in der DDR“, kreischte schließlich der Kommentator der Frankfurter Allgemeinen. Eine SPD-Bundestagsabgeordnete fordert einen Mietendeckel auf Landesebene, während die SPD auf Landesebene das Ganze wahlweise als „unseriöse Effekthascherei“ und "blanken Populismus" abtut (Hamburg) oder „schnell prüfen und wenn möglich konsequent nutzen“ möchte (Berlin). Die Linkspartei wiederum fühlt sich zu kurz gekommen und möchte auf der einen Seite die Wohnungswirtschaft mit dem absoluten Hammer des Mietendeckels revolutionieren, auf der anderen Seite meldet die Parteigenossin Katrin Lompscher, Stadtentwicklungssenatorin von Berlin, erhebliche verfassungs- und kompetenzrechtliche Zweifel an. Die Vermieterlobby wiederum sieht sich zu Tiraden gegen den Sozialismus genötigt und die Zeitungskommentator/innen verschiedener Couleur geraten völlig aus dem Häuschen. Angesichts all dessen fragt man sich schon: Worüber diskutieren alle diese Leute eigentlich? Zumindest nicht über den Artikel des Juristen Peter Weber. In dem ging es nicht um die DDR, nicht um Hämmer und auch nicht um Revolutionen, sondern um die Mutmaßung, dass die Bundesländer möglicherweise die Kompetenz hätten, Mietpreise nach oben hin zu begrenzen. Eine These, die, wie gesagt, äußerst streitbar ist und sich erst im Wege ihrer Realisierung bewahrheiten ließe. Das stört im heutigen Diskurs aber kaum mehr. Die Frage des ‚Ob‘ wurde kurzerhand für beantwortet erklärt, aber nicht etwa durch eine tatsächliche Umsetzung der infrage stehenden Idee, sondern im medialen Diskurs und quasi über Nacht. Aus einer Frage wurde ein Fakt, aus einer These eine Tatsache gemacht. „Ein Mietendeckel ist möglich“, schrieb die taz , und zwar ganz ohne Konjunktiv und Fragezeichen. Ähnlich äußerte sich sogar noch Andrej Holm, Stadtsoziologe und Berater des Senats, der auf seinem Blog bekannt gab: „Bundesländer können eigene Mietpreisbegrenzungen festlegen“. Aber was macht ihn so sicher?       

Probieren oder studieren?  

Inzwischen ist es ruhig geworden um den Mietendeckel. Man prüfe ihn juristisch, heißt es von  Seiten des Senats. Eine juristische Prüfung ist sicher sinnvoll, jedoch bedeutet diese Formulierung in solchen Kontexten allzu oft, dass man keine genaue Idee hat, was man tun soll. Letztendlich gilt für den Mietendeckel das Sprichwort: „ The proof of the pudding is in the eating “, frei übersetzt: „Probieren geht über Studieren“. Entgegen der oft kolportierten Annahme gibt es für eine derartige Mietpreisbegrenzung keine Rechtsgrundlage. Diese müsste erst geschaffen werden. Die Frage wäre einerseits, ob Berlin tatsächlich die gesetzgeberische Kompetenz dazu hat und andererseits, ob ein so geschaffenes Recht in seiner konkreten Ausgestaltung mit bestehender bundesrechtlicher Gesetzgebung kollidiert. Das kann sein, muss aber nicht. Eine abschließende rechtliche Prüfung wäre keine ausschließliche Sache der Politik, sondern vielmehr der höchstrichterlichen Rechtsprechung und damit eine Angelegenheit von vielen Jahren. Ein durchaus lohnenswerter Versuch, aber man muss ihn tatsächlich wagen. Und man sollte sich sinnvolle Maßnahmen für die Zwischenzeit ausdenken, anstatt auf eine Patentlösung zu verweisen, die noch völlig in den Sternen steht. „Wir wollen jedes Instrument, das den Mieterinnen und Mietern hilft“, meinte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Zuge der Diskussion. Nun denn, es gäbe genug zu tun. Warum nicht die Mieten in den landeseigenen Wohnungsunternehmen konsequent auf die besagten 6 bis 7 Euro deckeln? Das wäre relativ leicht möglich und sogar in dieser Legislaturperiode zu machen. Es passiert aber nicht, und alleine das sollte zu denken geben.  Was das Schicksal des Mietendeckels angeht, so gibt es zwei Möglichkeiten: Die SPD legt in den kommenden Monaten mit ihren Koalitionspartnern einen ernsthaften Gesetzesentwurf vor, der über das Format eines Gastkommentars im Tagesspiegel hinausgeht, beschließt ihn mit der Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus und lässt sich auf den erwartbaren Rechtsstreit mit der Eigentümerlobby ein. Oder man vergisst das eigene Geschwätz von gestern möglichst schnell wieder, tut so, als sei nichts gewesen und sucht nach dem nächsten Thema, auf dem man durch die Medien jagt. Man darf gespannt bleiben. 


MieterEcho 401 / April 2019

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