Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 406 / Dezember 2019

Kein Grund zum Ausruhen

Der Mietendeckel ist ein wichtiger erster Schritt zur Regulierung des Wohnungsmarktes

Von Rainer Balcerowiak    

Rund vier Monate nach dem ersten „Eckpunktebeschluss“ hat der Berliner Senat am 22. Oktober seinen Gesetzentwurf für einen Mietendeckel beschlossen. Das Gesetz wird jetzt durch die Mühlen der verwaltungsinternen und parlamentarischen Beratungen gedreht und soll laut derzeitigem Zeitplan im März 2020 in Kraft treten, also zwei Monate später als zunächst geplant. Allerdings rückwirkend zum 18. Juni 
2019, dem Tag des Eckpunktebeschlusses.                                       

Um den Inhalt des Gesetzes wurde innerhalb der rot-rot-grünen Koalition erbittert gestritten. Ursprünglich stammt die Idee eines landesrechtlichen Mietendeckels von dem Verwaltungsjuristen Peter Weber, der im November 2018 in einem Artikel in einer juristischen Fachzeitschrift auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte. Weber leitete dies aus der Föderalismusreform von 2006 ab, die den Bundesländern die Kompetenz für das Bau- und Wohnungswesen zusprach (MieterEcho 405/ Oktober 2019). Aufgegriffen wurde die Idee zunächst von der SPD. Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl und die beiden Berliner Fachpolitiker Kilian Wegner und Julian Zado gingen damit am 18. Januar im Tagesspiegel an die Öffentlichkeit. Viele in der Partei sahen den Mietendeckel auch als Möglichkeit, der ungeliebten, erfolgreichen Kampagne für die Enteignung großer Immobilienkonzerne in Berlin den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch in der SPD gab es erheblichen Widerstand gegen den Vorstoß, vor allem gegen mögliche Mietsenkungen, die über das „Einfrieren“ von Bestandsmieten hinausgehen. Senatskanzleichef Christian Gaebler versuchte bis zur letzten Minute, den koalitionsintern vereinbarten Eckpunktebeschluss entsprechend zu entkernen, beziehungsweise zu verschieben, hatte damit aber keinen Erfolg.                                    

Immobilienlobby macht mobil        
Dieser Beschluss war dann auch der Startschuss für eine beispiellose Kampagne der Immobilienlobby, der Wirtschaftsverbände und der Oppositionsparteien CDU und FDP, die seitdem in unveränderter Intensität anhält. Gewarnt wurde und wird bis zum heutigen Tag, dass der Mietendeckel zum Verfall des Wohnungsbestandes wegen ausbleibender Sanierungen und zum  flächendeckenden Rückzug von Investoren aus dem Berliner Wohnungsmarkt führen würde. Beschworen wurden Rückfälle in die „sozialistische Misswirtschaft“ der DDR und ein Anschlag auf die Grundordnung der Bundesrepublik, die den Schutz des Eigentums garantiere. Kai Warnecke, Verbandspräsident von „Haus und Grund“, wertete den Mietendeckel in der der rbb-Abendschau gar als „Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention, da er Vermieter enteignet“.Sehr schnell zeigten sich aber auch die Konfliktlinien innerhalb der rot-rot-grünen Koalition. Nach den ersten Eiertänzen der SPD witterte Die Linke, allen voran Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, die Chance, sich als als Protagonistin eines „scharfen“ Mietendeckels zu profilieren. Ein vom Tagesspiegel im August kolportiertes Arbeitspapier aus ihrer Verwaltung sah unter anderem das Einfrieren aller Mieten (außer Neubauten ab 2014 und preisgebundenen Wohnungen) auf dem Stand des Mietspiegels von 2011 vor. Und zwar nur nach Baualtersklassen differenziert, ohne Berücksichtigung der Lage und der Ausstattung. Ferner sollten Mieten oberhalb der dann festgelegten Höchstwerte auf den Tabellenwert abgesenkt werden können. Das wurde von der SPD in Bausch und Bogen abgelehnt und auch die Grünen meldeten Widerspruch an. Sie pochten auf einen „atmenden Mietendeckel“ mit Mieterhöhungsmöglichkeiten für „gemeinwohlorientierte Vermieter“, deren Mieten bislang relativ gering waren. Und der Berliner Mieterverein mischte sich mit einem Vorschlag zu Aufschlägen auf die Tabellenwerte für bereits getätigte und künftige Modernisierungen in die Debatte ein. Lompscher ruderte daraufhin deutlich zurück. In einer von ihr und ihrem Staatssekretär  Sebastian Scheel gezeichneten Tischvorlage für den Koalitionsausschuss, der einen Referentenentwurf für das Gesetz vereinbaren sollte, sind deutliche Verwässerungen enthalten, die Eingang in den Entwurf vom 30. August fanden. So sollte die Senkung überhöhter Mieten nur noch beantragt werden können, wenn die Miete die Schwelle von 30% des Nettohaushaltseinkommens überschreitet, wobei auch nur „angemessene Wohnungsgrößen“ berücksichtigt werden sollten, wie sie auch für ALG-II-Beziehende gelten. Für die Obergrenzen sollten nunmehr die höheren Mietspiegelwerte von 2013 (statt 2011) gelten. Zudem sah der Entwurf rückwirkende Modernisierungszuschläge (bis zu 15 Jahren) von bis zu 1,40 Euro/m² vor.    Für das geplante Gesetz ließ dies Schlimmes befürchten. Mit weiteren Verwässerungen musste gerechnet werden, zumal die Gegenkampagne unvermindert anhielt und zunehmend von den großen Medien in der Hauptstadt adaptiert wurde. Doch auch die Mieterbewegung machte weiterhin mobil und forderte vernehmlich einen „echten“ Mietendeckel. Das dürfte vor allem bei Der Linken, aber auch bei den Grünen – deren Wirtschaftssenatorin Ramona Pop mit dem Mietendeckel sichtbar fremdelt – eine gewisse Wirkung erzielt haben.          

                                    
Gesichtswahrender Kompromiss    
Glaubt man Schilderungen aus Koalitionskreisen, dann stand die Einigung auf einen Gesetzentwurf einige Zeit auf Messers Schneide. Selbst ein Ende des Regierungsbündnisses schien nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Schließlich fanden die drei Parteien in letzter Minute einen Kompromiss, der es allen Akteuren erlaubt, das Gesicht zu wahren. Weitgehend unstrittig war das Einfrieren aller Bestandsmieten (außer Neubauten ab 2014, preisgebundenen, öffentlich geförderten Wohnungen und Trägerwohnungen) für fünf Jahre und die Festlegung von Höchstmieten auf dem Stand des Mietspiegels von 2013, die dann auch für alle Neuvermietungen gelten. Die Linke kann die Möglichkeit zu Mietsenkungen auch bei Bestandsverträgen als Erfolg verbuchen. Allerdings soll dieses Instrument erst Ende 2020 wirksam werden und nur bei Mieten, die mindestens 20% über den Tabellenwerten liegen. Absenkungen sollen nicht mehr an das Haushaltseinkommen gekoppelt werden. Die SPD hat Zuschläge auf die Tabellenwerte für die im Mietspiegel definierten „guten Wohnlagen“ in Höhe von 73 Cent/m² durchgesetzt. Für einfache und mittlere Wohnlagen gibt es Abschläge von 28 bzw. 9 Cent. Ferner gibt es Zuschläge für „moderne Ausstattung“. Als Kriterien dafür werden Einbauküchen, hochwertige Sanitärausstattung, hochwertige Fußbodenbeläge, ein günstiger Energieeffizienzwert und ein schwellenlos erreichbarer Fahrstuhl definiert. Sind mindestens drei dieser fünf Kriterien erfüllt, erhöht sich die zulässige Miete um 1 Euro/m². Eine anderweitige Anrechnung früherer Modernisierungen gibt es nicht mehr. Künftige Modernisierungen, die der energetischen Gebäudesanierung und der Barrierefreiheit dienen, können mit bis zu einem Euro aufgeschlagen werden. Teurere Maßnahmen sind genehmigungspflichtig und sollen durch Förderprogramme finanziert werden, ohne die Mieter/innen weiter zu belasten. Dies war auch im Sinne der Grünen, die außerdem die Möglichkeit zu moderaten Mieterhöhungen für Vermieter durchsetzten, deren Mieten unterhalb der Deckelwerte liegen. Ferner sollen die Deckelwerte ab 2022 anhand des Preis- und Lohnindexes (Inflationsausgleich) erhöht werden, maximal jedoch um 1,3% pro Jahr. Natürlich weist dieser Gesetzentwurf im Vergleich zum ersten Eckpunktepapier und dem Arbeitspapier aus Lompschers Verwaltung etliche „Entschärfungen“ im Sinne der Vermieterlobby auf, mit denen der Mietendeckel durchlöchert wird. So beträgt beispielsweise die zulässige Höchstmiete für Altbauten (bis 1918) laut Tabelle 6,45 Euro/m², ursprünglich sollten es 6,03 Euro sein. Bei guter Wohnlage, hochwertiger Ausstattung und einer ab jetzt erfolgenden Modernisierung kann sich dieser Betrag um maximal 2,73 Euro auf 9,18 Euro erhöhen. Ein Anspruch auf eine Mietsenkung entstünde demnach erst bei einer Miete von mehr als 11,01 Euro (20% über dem durch Zuschläge erhöhten Deckelwert). Und selbst im günstigsten Fall – einfache Wohnlage, einfache Ausstattung, keine Modernisierung – liegt eine zur Absenkung berechtigende Mietüberhöhung erst ab 7,40 Euro vor. Trotz diesem und einigen anderen Kritikpunkten ist das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ – so die offizielle Bezeichnung – ein wichtiger Fortschritt, der nicht zuletzt dem wachsenden Widerstand gegen den Mietenwahnsinn in dieser Stadt zu verdanken ist. Erstmals seit der endgültigen Abschaffung der staatlichen Mietpreiskontrolle im Jahr 1988 nimmt der Berliner Senat wieder unmittelbaren Einfluss auf die Mietpreisgestaltung auf dem „freien Wohnungsmarkt“. Erstmals wird auf Landesebene ein öffentliches Wohnungsrecht eingeführt, das in die Verwertungslogik der Miethaie und Immobilienspekulanten eingreift. Der Aufschrei des Kapitals und seiner Parteien ist daher nur zu verständlich, da es tatsächlich um Heilige Kühe wie Schutz des Eigentums und Vertragsfreiheit geht. Und möglicherweise handelt es sich um eine „konkurrierende Gesetzgebung“ zum Bundesrecht, da das Mietpreisrecht umfassend im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und in ergänzenden Bundesgesetzen, wie etwa zur Mietpreisbremse, geregelt ist. Die Frage, ob die Föderalismusreform von 2006 tatsächlich als Grundlage für abweichendes Landesrecht in dieser Frage taugt, wird wohl letztendlich vom Landes- und dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden. Die Berliner CDU hat bereits eine entsprechende Normenkontrollklage angekündigt, die nach Inkrafttreten des Gesetzes eingereicht werden kann. Für diesen Fall rechnet Senatorin Lompscher mit einer Entscheidung noch im kommenden Jahr.      

                             
Was passiert danach?        
Doch selbst wenn der Mietendeckel die verfassungsrechtliche Prüfung unbeschadet überstehen sollte, stellt sich bereits jetzt die drängende Frage: Was kommt danach? Michael Müller bezeichnete das fünfjährige Mietenmoratorium zu Recht als „Atempause“, die genutzt werden 
müsse, um den Weg für eine nachhaltige Entspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu bereiten. Angesichts des jetzt schon dramatischen Wohnungsmangels bei gleichzeitig anhaltendem Zuzug bedeutet dies in erster Linie, den Wohnungsneubau beträchtlich anzukurbeln, vor allem im unteren Preissegment. Doch da hakt es nach wie vor gewaltig. Viele große Neubauvorhaben befinden sich in den von diesem Senat geschaffenen „Partizipationsschleifen“. Andere, wie etwa die Elisabeth-Aue in Pankow, wurden für diese Legislaturperiode auf Betreiben der Linken und Grünen zur Tabuzone erklärt. Das gilt auch für einen neuen Anlauf zur Randbebauung des Flughafens Tempelhof, für den durch einen Volksentscheid seit 2014 eine Bebauungssperre gilt.    

Auch die Ausweisung und Erschließung neuer Wohnungsbaupotenzialflächen kommt nur schleppend voran. Es ist davon auszugehen, dass der Senat seine ohnehin wenig ambitionierten Neubauziele bis 2021 nicht erreichen wird. Eine neubaupolitische Wende, die bis zum Auslaufen des Mietendeckels im Jahr 2025 bereits Wirkung erzielt, müsste sofort und energisch angegangen werden. Notwendig wäre dabei auch ein Einstieg in den kommunalen Wohnungsbau in unmittelbarer öffentlicher Trägerschaft, da das bisherige Fördersystem auf temporärer Mietensubvention beruht und Wohnraum nicht dauerhaft der privatwirtschaftlichen Profitlogik entzieht.                

Unklar ist bislang auch, wie die Bestandsmieten und die Erhöhungsspielräume nach dem Auslaufen des Mietendeckels berechnet und reguliert werden könnten. Eine schlichte Rückkehr in das Vergleichsmietensystem des „qualifizierten Mietspiegels“ erscheint unmöglich. Der Senat hat immerhin beschlossen, ein stadtweites Wohnungskataster mit einer Mietendatenbank zu erstellen, was im besten Falle den Einstieg in eine dauerhafte öffentliche Mietpreisregulierung auf Landesebene ermöglichen könnte. Entsprechende Arbeitsentwürfe für ein Wohnungswirtschaftsgesetz gibt es bereits.        
Für die Berliner Mieterbewegung bedeutet der Mietendeckel jedenfalls keine „Atempause“. Denn die Vermieterlobby wird alles versuchen, ihn zu unterlaufen und zu sabotieren, um möglichst wenig Rendite einzubußen. Gerade bei Neuvermietungen droht eine riesige Grauzone illegaler Mietpreisüberhöhungen durch informelle Absprachen bei der Wohnungsvergabe. Auch könnte die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen einen neuen Schub bekommen und damit die Zunahme von missbräuchlichen Eigenbedarfskündigungen. Angesichts des aktuell zu beobachtenden Versagens vieler  Bezirke bei der Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots sind Zweifel angebracht, ob die ungleich größeren Herausforderungen des Mietendeckels behördlich bewältigt werden können. Ohne die aktive Unterstützung und den Druck von örtlichen und berlinweit vernetzten Mietergruppen wird das nicht gehen.                 

Der Kampf gegen den Mietenwahnsinn wird jedenfalls weitergehen und steht auf der politischen Agenda in Berlin ganz weit oben. Der Mietendeckel ist nicht mehr und nicht weniger als ein kleiner, aber wichtiger Etappenerfolg. Und der macht auch Appetit auf mehr.               


MieterEcho 406 / Dezember 2019