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MieterEcho 400 / Februar 2019

Housing First

Berlin führt ein vielversprechendes Modellprojekt zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit ein –
Doch woher kommen die Wohnungen?

Von Jutta Herms   

Der in der vergangenen Legislaturperiode für den Bereich Soziales zuständige Senator Mario Czaja (CDU) hatte das Konzept für Berlin noch abgelehnt; unter Rot-Rot-Grün ist es nun im Rahmen eines Modellprojekts zum 1. Oktober gestartet: „Housing First“ , ein innovativer Ansatz aus der Wohnungslosenhilfe, der vor allem langjährig obdachlose Menschen mit multiplen Problemen – darunter psychische Störungen und Suchterkrankungen – von der Straße holen will. Menschen, für die das bestehende Regelsystem keine Hilfe war. Housing First wurde bereits in Amsterdam, Kopenhagen und Lissabon mit gutem Erfolg erprobt. In Deutschland werden Housing-First-Projekte derzeit außer in Berlin in mehreren Städten in Nordrhein-Westfalen geschaffen.                            

Die Kernidee des aus den USA stammenden Modells ist es, obdachlose Menschen direkt und weitgehend bedingungslos mit regulärem Wohnraum zu versorgen. Während im herkömmlichen Hilfeansatz in Deutschland verschiedene Übergangswohnformen (zum Beispiel Wohnheim, Betreutes Wohnen, Trainingswohnung) durchlaufen werden müssen, um schließlich als „wohnfähig“ für eine eigene Wohnung zu gelten, geht Housing First davon aus, dass Wohnen am besten in der eigenen Wohnung geübt werden kann – mit entsprechender Unterstützung: Den ehemals Obdachlosen werden individuelle Hilfeangebote gemacht, dem Prinzip Freiwilligkeit dabei aber ein hoher Stellenwert eingeräumt.                
Das Berliner Projekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt; 1,1 Millionen Euro stehen für diesen Zeitraum zur Verfügung und 80 wohnungslose Menschen sollen einen Platz finden. Getragen wird Housing First von einer Projektpartnerschaft aus Neue Chance und Berliner Stadtmission sowie vom Sozialdienst katholischer Frauen, der ein Angebot ausschließlich für Frauen bereitstellen wird. Zwei Wissenschaftler/innen beraten und evaluieren das Projekt.                             

Geringe Bilanz der Wohnungsakquise    

Die nötigen 80 Wohnungen sind von den Trägerorganisationen selber zu akquirieren. „Das ist so gewollt“, sagt Regina Kneiding, Sprecherin der Sozialsenatsverwaltung. Eine Kooperation ihres Hauses mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften habe man nicht angestrebt. Jeweils ein Mitarbeiter ist bei der Neuen Chance/ Stadtmission und beim Sozialdienst katholischer Frauen mit der Wohnungssuche beauftragt. Bei der Projektpartnerschaft  Neue Chance und Stadtmission hatte man bis Mitte Dezember sechs Wohnungen gefunden, in die bis Mitte Januar die neuen Mieter einziehen sollten. Bei zwei der sechs Wohnungen ist eine Privatperson die Vermieterin, hinter den übrigen vier stehen landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Knapp 70 Anfragen von Wohnungslosen gingen bis Mitte Dezember bei den Projektpartnern ein. Beim Sozialdienst katholischer Frauen hatte man bis zu diesem Zeitpunkt zwei Wohnungen gefunden, in die im Dezember bereits zwei Frauen eingezogen waren. Vermieter beider Wohnungen ist hier die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft. Der Sozialdienst katholischer Frauen erhielt bis Mitte Dezember knapp 40 Anfragen von wohnungslosen Frauen zur Teilnahme am Housing-First-Projekt.Die Trägerorganisationen werben bei Vermietern u.a. damit, dass mit zuverlässigen Mieteingängen über Jobcenter und Sozialämter gerechnet werden kann. Vermieter dürften bis zu 485 Euro für die Bruttokaltmiete von Housing-First-Wohnungen verlangen und die Trägerorganisationen böten zudem einen verbindlichen Ansprechpartner.                    
Gemäß dem Housing-First-Konzept schließen die ehemals Wohnungslosen selber den – unbefristeten – Mietvertrag mit dem Vermieter ab. Der Erfolg des Modellprojekts in Berlin wird daran gemessen werden, ob es den neuen Mieter/innen – mit Hilfe von professionellen Unterstützer/innen – gelingt, ihr Mietverhältnis aufrechtzuerhalten. In europäischen Städten durchgeführte Studien erbrachten Wohnungserhalt-Quoten von 80 bis über 90% gegenüber deutlich niedrigeren Quoten bei traditionellen Konzepten.                                              

Zur Projektseite: housingfirstberlin.de


MieterEcho 400 / Februar 2019

Schlüsselbegriffe: Obdachlosigkeit,Housing First,Wohnraum,Wohnung,Wohnungslosigkeit