Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 406 / Dezember 2019

Geht’s noch?

Das älteste Verkehrsmittel wird neu entdeckt: Die eigenen Füße

Von Roland Stimpel

Was die Sozialwohnung fürs Wohnen bedeutet, das sollte der Gehweg für den Verkehr sein: Die zuverlässige Basisversorgung für alle, die mit wenig Aufwand und Geld in ihrem Kiez unterwegs sind.                 

Fast alle Menschen gehen zu Fuß. Besonders viel laufen die ganz Jungen und Alten, die Ärmeren und die körperlich Beeinträchtigten. Das ärmste Fünftel der Bevölkerung geht ein Drittel mehr als das wohlhabendste. Grundschulkinder und Menschen über 80 legen einen doppelt so großen Teil ihrer Wege zu Fuß zurück wie die 40- bis 49-Jährigen. Frauen gehen etwas mehr als Männer, Menschen mit Behinderungen sind öfter auf den Beinen als hinterm Steuer.
Wer geht, ist einerseits auch im Verkehr am stärksten benachteiligt: am langsamsten, am stärksten gefährdet, Wind und Wetter ausgesetzt, und weiter entfernte Ziele sind oft unerreichbar. Wer seine Mobilität vor allem auf die eigenen Beine gestellt hat, der hat andererseits den reichsten Verkehrsalltag. Gehen ist nicht nur Streben irgendwo hin, sondern immer auch ein kleines Erlebnis – von Jahreszeiten, von Häusern und Bäumen, anderen Menschen und Schaufenstern.
Gehen ist unkompliziert, kostet fast nichts und kommt ohne Fahrschein und Führerschein aus. Wer geht, hat die größte Freiheit im Verkehr, denn für die Bewegung auf dem Bürgersteig gibt es keinerlei Regeln und Vorschriften. Eine vom Bundesverkehrsminister initiierte Umfrage kam zum Ergebnis, dass Fußgänger/innen die Glücklichsten auf den Straßen sind. Ohne Stau, Schwitzen, Warten und Gedrängel kommt man meist ein bisschen gesünder an, als man losgegangen ist.
Aus all diesen Gründen sind die eigenen Füße nach wie vor die beliebtesten Verkehrsmittel der Berliner/innen. 27% aller Wege durch die Stadt legen wir vom Start bis zum Ziel zu Fuß zurück – mehr als hinterm Steuer, in Bahn und Bus oder auf dem Rad. Dabei sind die vielen Wege zu und von Haltestellen und Parkplätzen noch nicht gerechnet.
Für die Stadt ist der starke Fußverkehr ein Segen, bedeutet Mobilität ohne Lärm und Abgase und mit wenig Raumbedarf. Auch der Handel verdient mit vielen Fußgänger/innen mehr als mit den wenigen Autofahrer/innen, die vor dem Laden parken können.      

                                               
Bürgersteige voller Hindernisse
Trotzdem wurde und wird der Fußverkehr schwer vernachlässigt. Berlin war einst für seine breiten Bürgersteige berühmt. Doch seit Jahrzehnten werden sie für Fahrspuren und Parkplätze beschnitten, für legale Radwege und illegales Radfahren, neuerdings von E-Rollern. Dazu kommen Kneipen, Werbeschilder, Parkuhren, Schaltkästen etc. Als Nächstes droht eine Flut von Ladesäulen für E-Autos.
Zugleich wächst die Wertschätzung für die Gehwege und der Protest gegen ihren Missbrauch. Auch die Berliner Politik will mit einem Teil des neuen Mobilitätsgesetzes den Fußverkehr stärken. Es soll mehr Zebrastreifen geben und besser geschaltete Ampeln. Das hinderliche und gefährliche Falschparken an Kreuzungen und Überwegen soll konsequenter bekämpft werden. In jedem Bezirksamt sollen sich zwei Mitarbeiter/innen um den Fußverkehr kümmern. Das ist dringend nötig angesichts der vielen kaputten Bodenplatten, der wuchernden Gastronomie, der teils rücksichtslos gefahrenen und geparkten Räder und Roller.
Druck machen mehr und mehr Berliner/innen und ihre Verbände: Senior/innen, Sozialverbände, Behinderte und der FUSS e.V.,
der sich seit 34 Jahren bundesweit für besseres Gehen engagiert. Das Bündnis konnte im Frühling die Pläne von Bundesverkehrsminister Scheuer stoppen, einen Teil der E-Roller legal auf den Gehwegen fahren zu lassen.
Es gibt weiterhin viel zu tun. Gehwege müssen von allem, was da steht und rollt, frei bleiben und wieder frei werden. Den Menschen hier tun mehr Licht, mehr Bäume und Bänke gut. Berlin braucht tausende von Zebrastreifen – am besten an fast jeder Kreuzung, wie Paris es vormacht. Die Wege werden sicherer, wenn in der Stadt nicht Tempo 50 die Regel und 30 die Ausnahme ist, sondern umgekehrt. Von all dem profitieren die Schwächsten am meisten. Aber letztlich gewinnen alle, die in der Stadt zu Fuß unterwegs sind.                        

Roland Stimpel ist im Vorstand von FUSS e.V. Der Verein tritt seit 1985 für die Rechte von Fußgänger/innen ein. Mehr unter: www.fuss-ev.de


MieterEcho 406 / Dezember 2019

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