Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 401 / April 2019

Entmietung für Wohnheimplätze

Bei der Umnutzung eines Kreuzberger Mietshauses zum Obdachlosenwohnheim wurde auch die Eigenbedarfskarte gespielt

Von Jutta Blume

Nach 33 Jahren in der Großbeerenstraße 90 zog der Politologe und Mitbegründer des Schwulen Museums Manfred Baumgardt als letzter Mieter aus. Er wäre lieber geblieben, doch der jahrelange Druck des Eigentümers war zu einer psychischen Belastung für den Rentner geworden. Zuletzt hatte der Eigentümer Eigenbedarf für die von Baumgardt angemietete Wohnung angemeldet – wie zuvor für die Wohnungen anderer Nachbar/innen. 

Der Altbau in der Großbeerenstraße wurde im Jahr 2009 verkauft. Zu dem Zeitpunkt waren 15 der 19 Wohnungen in Vorderhaus und Seitenflügel vermietet. Im Keller des Gebäudes befand sich die ehemalige Theaterkneipe des Hebbel-Theaters „Großbeerenkeller“, im Hochparterre außerdem eine Pension. Das Haus sei in einem einfachen, aber bewohnbaren Zustand gewesen. Ab 2012 sei es dann zu Entmietungen gekommen, berichtet die ehemalige Mieterin Juliane Hartwig*. Sie mussten bald mit zahlreichen Schikanen leben. „Der Eigentümer installierte ohne unsere Zustimmung eine Videokamera. Mehrfach wurde Bauschutt aus dem 4. Stock in den ungesicherten Hof geworfen“, so Hartwig. Einige zogen aus, die anderen erhielten im August 2013 umfassende Modernisierungsankündigungen. „Die Modernisierungsankündigungen dienten nur der Verunsicherung der Bewohner“, ist Baumgardt überzeugt. „Die Baukosten waren um den Faktor 2 bis 3 überzogen“, bekräftigt auch der ehemalige Mieter Ralf Schneider*, außerdem „fehlte das Angebot von Ersatzwohnungen während der Bauzeit“. Umgesetzt wurden die angekündigten Maßnahmen nicht unbedingt, von den geplanten Balkonen fehlt bis heute jede Spur. Stattdessen ist das Haus zu einem Wohnheim für Wohnungslose umgebaut worden. An den drei Aufgängen stehen Wohnungsnummern, keine Namen. In den ehemaligen Kneipenräumen im Keller hat der Betreiber „BBG Berliner Bett Unternehmergesellschaft“ seine Büros untergebracht. Deren Geschäftsführer ist auch Eigentümer des Hauses. Im August 2015 teilte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mit, dass in der Großbeerenstraße 90 „in enger Zusammenarbeit mit der Sozialen Wohnhilfe des Bezirksamtes“ ein Wohnheim mit Platz für 80 Personen eröffnet würde. In Berlin wurden damals händeringend Unterkünfte für Geflüchtete gesucht, der Betrieb eines Wohnheims war daher ein sicheres Geschäft. Als die „Berliner Bett“ eröffnete, war Baumgardt der letzte reguläre Mieter.  

Widersprüchlicher Eigenbedarf

Juliane Hartwig bewohnte bis 2014 eine 3-Zimmer-Wohnung im Seitenflügel. Im Mai 2013 kündigte ihr der Eigentümer, der zu der Zeit mit seiner Familie eine Wohnung im Vorderhaus bewohnte, die ihm aber angeblich zu klein war: „Ich habe mich daher entschlossen, eine neue Maisonettewohnung im 3. und 4. OG des Seitenflügels des Hauses mit 7 Zimmern zu schaffen, die den familiären Bedürfnissen gerecht wird“, schrieb der Eigentümer. Besagte Maisonettewohnung wurde nie gebaut, Hartwigs Wohnung nicht bezogen. Anfang 2018 reklamierte der Eigentümer Manfred Baumgardts Wohnung für sich selbst, seine Frau und seine 86-jährige Mutter, „da es leider keine anderen abgeschlossenen Wohnungen im Haus gibt“. Durch einen Umzug ins Umland im Jahr 2017 hätten sich sein Arbeitsweg und der seiner Frau extrem verlängert. Auch die Mutter des Vermieters musste bereits für eine Eigenbedarfsklage im Jahr 2013 gegen Ralf Schneider herhalten. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wies diese Klage am 7. Juli 2014 ab (AZ: 3 C 177/13). Angesichts der gleichzeitigen Modernisierungsankündigung urteilte das Gericht: „Insofern überzeugt es nicht, dass die 82-jährige Mutter des Klägers in eine Wohnung einziehen soll, die kurze Zeit darauf unter Veränderung ihres Grundrisses grundlegend saniert und modernisiert werden soll.“ Schneider kündigte bald darauf selbst. Die Wohnung hätte also für die Mutter hergerichtet werden können. Ob Baumgardts Wohnung von der Familie genutzt wird, ist fraglich. Die Tagessätze für Wohnheimplätze für Wohnungslose und Geflüchtete liegen zwischen 20 und 60 Euro pro Nacht.  
(* Namen von der Redaktion geändert)


MieterEcho 401 / April 2019

Schlüsselbegriffe: Entmietung,Wohnheim,Obdachlosenwohnheim,Obdachlose,KreuzbergGroßbeerenstraße,Eigenbedarf

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