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MieterEcho 401 / April 2019

Eigner Herd ist Goldes wert

Die Eigentumsideologie als Kampfinstrument gegen soziale Wohnraumversorgung

Von Rainer Balcerowiak

Die Verfügbarkeit und Nutzung von Grund und Boden ist einer der zentralen Verteilungskonflikte der Menschheitsgeschichte. Durch die Industrialisierung und das damit verbundene schnelle Wachstum von Städten und Ballungsräumen ist dabei auch die Verwertung des Bodens durch Bebauung in den Fokus gerückt. In der Bundesrepublik wird nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auch individuelles Wohneigentum in Mehrfamilienhäusern gefördert. 

Das Kapital stand im 19. Jahrhundert vor der Herkulesaufgabe, innerhalb kurzer Zeit für unzählige Menschen Unterkünfte schaffen zu müssen, um immer mehr Arbeiter in die Produktionsprozesse eingliedern zu können. Dies geschah auch. Aber natürlich nicht im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum, sondern als Teil der möglichst profitablen Verwertungskette bei der Ausbeutung von Arbeitskraft.
In der Arbeiterbewegung nahm die Wohnungsfrage stets einen großen Stellenwert ein und führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Während die maßgeblich von Pierre-Joseph Proudhon beeinflussten utopischen Sozialisten auch den Erwerb individuellen Wohneigentums durch die Arbeiter als zentralen Baustein für die Lösung der Wohnungsfrage ansahen, insistierte unter anderem Friedrich Engels auf deren Betrachtung als integraler Bestandteil der gesamten kapitalistischen Besitz- und Ausbeutungsverhältnisse. In seinen 1887 erschienenen „Schriften zur Wohnungsfrage“ heißt es dazu in verblüffend aktueller Klarsicht: „Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt es nur ein Mittel, die Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse durch die herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen. Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietspreise; eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden. Und diese Wohnungsnot macht nur soviel von sich reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat.“ Engels wies auch darauf hin, dass das rasante Wachstum der modernen Städte natürlich auch die Bodenspekulation befeuert. Grundstücke in begehrten Lagen erhielten einen „künstlichen, oft kolossal steigenden Wert“, sodass deren Bebauung mit bezahlbaren Wohnungen für die ärmeren Schichten der Bevölkerung nicht mehr rentabel sei, da „deren Miete, selbst bei der größten Überfüllung, nie oder doch nur äußerst langsam über ein gewisses Maximum hinausgehen kann.“ Daher würden sie durch profitablere Bebauungen ersetzt. Das Resultat sei, dass die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte in den Umkreis gedrängt werden.      

„Querfront“ für Wohneigentum   

Die Idee der nicht nur kollektiven (vor allem in Form von Genossenschaften) sondern auch individuellen, staatlich geförderten Wohneigentumsbildung blieb Teil linker Wohnungspolitik. Daraus ergaben sich Schnittmengen mit anderen politischen Kräften. Dazu schreibt Sebastian Kohl vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung: „Im späten 19. Jahrhundert unterstützte eine Reihe konservativer wie auch progressiver gesellschaftlicher Gruppierungen – Bodenreformer, Sozialkatholiken oder Gartenstadtanhänger – das Ideal, die Arbeiterschaft durch allgemein zugängliches Boden-  und Wohneigentum zu befrieden und zum Bestandteil kapitalistischer Gesellschaften zu machen. (...) So fand die konservative Eigenheimidee zwischen 1889 und 1918 auch Eingang in die ersten nationalen Wohnungsgesetze von nord- und südeuropäischen Ländern, in denen zumeist staatliche Hilfen für den Eigenheimerwerb festgeschrieben wurden. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, aber auch in Großbritannien entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit hingegen überwiegend eine wohnungspolitische Alternative: der mit Staatsmitteln geförderte soziale Mietwohnungsbau.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Wohnungsfrage in Deutschland mit deutlich verschärfter Dramatik. Der Zensus in den drei Westzonen 1946 bezifferte den Wohnungsmangel auf 5,5 Millionen Einheiten. Während die SPD ihren Schwerpunkt auf den geförderten und sozial gebundenen Mietwohnungsbau legte, ohne dabei die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden umfassend in Frage zu stellen, setzten CDU/CSU und FDP eindeutig auf den individuellen Erwerb. So erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer vor der Novelle des Wohnungsbaugesetzes im Jahr 1953: „Die Schaffung von Eigenheimen muss als sozial wertvollster und am meisten förderungswürdiger Zweck staatlicher Wohnungsbau- und Familienpolitik anerkannt werden. Das Eigenheim soll und darf kein Reservat kleinerer Schichten sein, im Gegenteil soll gerade der Besitzlose durch Sparen, Selbsthilfe und öffentliche Förderungsmittel zum Eigenheim gelangen und so der Proletarisierung und der Vermassung entrissen werden“. Die verschiedenen Förderinstrumente gipfelten 1995 schließlich in der Einführung der Eigenheimzulage, die auch für den Kauf von Bestandswohnungen verwendet werden konnte. Bis zu ihrer Abschaffung im Dezember 2005 entwickelte sich dieses Instrument zu einem der teuersten Subventionsprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Programm führte  zudem kaum zum vermeintlichen Ziel, Normalverdienenden den Erwerb einer Immobilie zu erleichtern. Konstatiert wurden vor allem „Mitnahmeffekte“, also Steuergeschenke für Mittelstandsfamilien, die auch ohne Zulage gekauft oder gebaut hätten, sowie eine preistreibende Wirkung bei Immobilien und Bauleistungen.            

Aus Fehlern nicht gelernt   

Doch an der Ideologie der Wohneigentumsförderung wird unverdrossen festgehalten. So heißt es in einer Broschüre des Bundesministeriums für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung vom Herbst 2011: „Wohneigentum hat eine große individuelle Bedeutung für viele Menschen, indem es vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung von Wohnwünschen bietet. Gleichzeitig stärkt es die regionale und lokale Verbundenheit, fördert und fordert Eigenverantwortung und Eigeninitiative und wirkt positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Wohneigentum unterstützt die Identifikation mit dem Wohnumfeld und trägt zur Stabilisierung von Wohnquartieren bei“. So ist es nicht verwunderlich, dass die Eigenheimzulage im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ein Revival erlebte, diesmal unter dem Namen „Baukindergeld“. Derzeit wird geschätzt, dass sich die Kosten für diese Mittelstandssubvention für den zehnjährigen Förderzeitraum auf mindestens 20 Milliarden Euro belaufen werden. Dabei sind die verheerenden Wirkungen der Eigentumsförderung von Bestandsimmobilien für den Wohnungsmarkt längst bekannt. Der ohnehin wachsende Nachfrageüberhang bei Eigentumswohnungen wird weiter angeheizt, die Schere zwischen Angebotsmieten und Kaufpreisen geht immer weiter auseinander, was natürlich auch das Neubaugeschehen nachhaltig beeinflusst. So stieg der Medianwert der Angebotspreise in Berlin bei Wohneigentum vom 1. Quartal 2012 bis zum 4. Quartal 2017 um fast 90% von 2.100 Euro/m2 auf 3.924 Euro. Die Angebotsmieten stiegen in diesem Zeitraum „nur“ um 53%, von 7 Euro auf 10,80 Euro. Die von der Politik beschworene „Stabilisierung von Wohnquartieren“ durch mehr Eigentum bedeutet vor allem Verdrängung von Gering- und Normalverdienenden. Die viel beschworenen „Sickereffekte“, laut denen durch Umzüge in hochwertige Eigentumsimmobilien schließlich einfache und entsprechend preiswerte Wohnungen auf dem Markt verfügbar würden, haben sich längst als reine Fiktion erwiesen, weil Wohnungsmangel und geltendes Mietrecht dafür sorgen, dass auch einfache Wohnungen bei Neuvermietungen unerschwinglich werden. Die Eigentumsideologie hat in der Frage der Wohnraumversorgung jedenfalls eine Spur der sozialen Verwüstung hinterlassen. Während die Zahl der Eigentumswohnungen in Berlin und anderen Städten stetig wächst, schrumpfen die Bestände des mietpreis- und belegungsgebundenen sozialen Wohnungsbaus mit atemberaubendem Tempo: Von 2,87 Millionen Sozialwohnungen im Jahr 1990 auf 1,15 Millionen im Jahr 2017. Und ein Ende ist noch lange nicht abzusehen.


MieterEcho 401 / April 2019

Schlüsselbegriffe: Eigentumsidiologie,Wohnraumversorgung,Wohnungseigentum,Industrialisierung,Wohneigentum