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MieterEcho 402 / April 2019

Das Kapital kooperiert nicht

Das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung ist gescheitert

Von Philipp Möller


Im Jahr 2014 führte der damalige rot-schwarze Senat das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung ein. Durch das Instrument sollen private Bauherren zu einer Beteiligung am sozialen Wohnungsbau bewogen werden, wenn die Bezirke Baurecht für potentielles Bauland schaffen. Die Bilanz nach über vierjähriger Anwendung ist ernüchternd. Bisher wurden im Rahmen des Berliner Modells kaum Sozialwohnungen durch Investor/innen gebaut. Die privaten Wohnungsunternehmen nutzen die Schlupflöcher in der Vorgabe und kapitalfreundliche Baustadträte unterlaufen das Instrument.

Ausgangspunkt der kooperativen Baulandentwicklung sind die planungsbedingten Bodenwertsteigerungen, die entstehen, wenn die Kommune Baurecht für eine Fläche schafft. Der Bodenwert hängt wesentlich von den planungsrechtlichen Nutzungsmöglichkeiten und der infrastrukturellen Anbindung eines Grundstücks ab, sowie von benachbarten städtebaulichen Entwicklungen. Die Aktivitäten der Kommunen sind also ein wichtiger Faktor für die Bodenwertentwicklung. Für die Grundeigentümer/innen ist die Steigerung des Bodenwerts hingegen ein leistungsloser Profit. Das Berliner Modell verlangt von den planungsbegünstigten Grundbesitzer/innen eine Kostenübernahme für die kommunalen Aufwendungen und eine teilweise Abschöpfung der Profite als Gegenleistung für die Wertsteigerungen. Unberücksichtigt bleiben dabei Wertsteigerungen durch die Aufwertung der Umgebung. Möglich wird die Kostenbeteiligung durch städtebauliche Verträge, die die Bezirke mit den Investor/innen für neue Bauprojekte schließen können. In den Verträgen werden die privaten Bauherren zum Bau von Sozialwohnungen und zur Kostenübernahme für Folgebedarfe in der sozialen Infrastruktur wie Kita- und Schulplätze verpflichtet. Die Quote für Sozialwohnungen wurde über die Jahre immer wieder angepasst. Zu Beginn, im August 2014, belief sie sich auf lediglich 10 bis 33% der Gesamtwohnfläche. Im April 2015 wurde sie auf 25% erhöht und schließlich verschärfte der rot-rot-grüne Senat die Quote im Jahr 2017 auf 30%. Im August 2018 verkündete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dass seit der Einführung des Berliner Modells bis zum 31. Juli 2018 49 städtebauliche Verträge für mehr als 20.000 Wohnungen abgeschlossen wurden. Rund 4.000 Wohneinheiten davon sind mietpreis- und belegungsgebunden. Hinzu kommen Vereinbarungen für 1.500 neue Schulplätze und 1.500 neue Kitaplätze. Seither wurden acht neue Verträge geschlossen und weitere befinden sich noch in Verhandlung, antwortete die Wohnungsbauleitstelle auf eine Anfrage des MieterEchos.

 

Sozialer Wohnungsbau fast nur in kommunaler Hand  

Seit Einführung der kooperativen Baulandentwicklung bis zum April 2018 wurden lediglich 948 Sozialwohnungen fertiggestellt, allesamt befinden sich in kommunaler Hand. Doch wie kann das sein? Das Berliner Modell beruht auf der Idee einer Kooperation zwischen Investor/innen und der Stadt, also müssten die Privaten eigentlich selbst Sozialwohnungen bauen. Sie tun es aber nicht. Stattdessen verkauften die Privatunternehmen die Sozialwohnungen nach ihrer Fertigstellung gewinnbringend weiter an die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften oder überließen den städtischen Unternehmen von vornherein die Flächen, die für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen waren.  „Es bleibt den Vorhabenträgern überlassen, ob sie für die Errichtung des mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungsanteils mit landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften kooperieren oder die Wohnungen selbst errichten“, sagt Grit Schade, Leiterin der Wohnungsbauleitstelle. Dem Kapital tut die kooperative Baulandentwicklung nicht weh, aller Unkenrufe aus der Immobilienwirtschaft zum Trotz. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erfüllen durch die Zukäufe ihre ohnehin verordneten Vorgaben zur Ausweitung des sozialen Wohnungsbestands aus der Kooperationsvereinbarung. Die Zahl der Sozialwohnungen wird durch das Berliner Modell nicht den Bedarfen entsprechend erhöht. Nach Schätzung der Stadtentwicklungsverwaltung bis 2027 dürfte sie von derzeit rund 105.000 auf 100.900 Wohnungen weiter sinken. Voraussetzung für die Anwendung des Berliner Modells sind städtebauliche Verträge, für die es der Aufstellung von Bebauungsplänen (B-Plan) durch die Bezirke bedarf. Diese Konstellation wirft ebenfalls Probleme auf. Investor/innen argumentieren mit Bezug auf § 34 Baugesetzbuch (BauGB) immer wieder, dass die Erstellung von B-Plänen für Neubauprojekte nicht notwendig sei, da sich ihr Bauvorhaben „nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“, wie es im BauGB heißt. Schaffen die Bezirke auf diesen Grundstücken Baurecht nach § 34 BauGB, wird kein Bebauungsplan aufgestellt und die Eigentümer/innen können ohne soziale Vorgaben agieren. Die Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand entfallen. Bernd Belina und Werner Heinz schreiben in einer neuen Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur kommunalen Bodenfrage, dass gerade solche Grundstücke bevorzugte Spekulationsobjekte sind. Laut einem Artikel in der Taz unterlag die Mehrzahl der rund 45.000 Wohnungen, die zwischen 2014 und 2017 gebaut wurden, keinen Belegungsbedingungen durch städtebauliche Verträge. Selbst dort, wo die Investor/innen sich auf eine Quote für Sozialwohnungen einließen, wurden die Sozialbauten häufig als Schutzmauer gegen Schall und Abgase für Luxuswohnungen an größere Straßen oder Bahntrassen gesetzt. In anderen Fällen finanzieren die Investor/innen die Sozialwohnungen durch Maximalmieten in den  freifinanzierten Wohnungen. Im Quartier „Neu Schöneberg“ etwa wurden 45 Sozialwohnungen durch Kaltmieten von 14 Euro/m² in den 252 restlichen Wohnungen gegenfinanziert.

 

Baustadträte gegen neue Sozialwohnungen

Über die Aufstellung von B-Plänen entscheiden die Bezirke. Ein Blick in die Statistik verrät, dass der soziale Wohnungsbau im Stadtgebiet stark segregiert stattfindet. Schlusslicht unter den Bezirken ist Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier entstand seit der Wiederaufnahme der sozialen Wohnungsbauförderung im Jahr 2014 nicht eine Sozialwohnung. Gerade einmal 117 Sozialbauten von berlinweit 8.247 Wohneinheiten sind im Bezirk in Planung. „Charlottenburg-Wilmersdorf ist schon immer ein Bezirk gewesen, in dem sich spekulative Investor/innen sehr wohl und gut aufgehoben gefühlt haben. Leider hat Baustadtrat Schruoffeneger daran nicht grundlegend etwas geändert“, sagt Niklas Schenker, Fraktionsvorsitzender der Linken in der BVV, gegenüber dem MieterEcho. Das Klima im Bezirk mache es gemeinwohlorientierten Akteur/innen im Bezirk schwer. „Es ist niemandem erklärbar, warum in einem Bezirk mit rot-rot-grüner Mehrheit und grünem Baustadtrat so wenig Sozialwohnungen gebaut werden“, so Schenker weiter. SPD und Grünen wirft er vor, nicht ernsthaft und entschlossen genug gegenüber Investor/innen aufzutreten: „Es wird zu viel verhandelt und zu wenig durchgesetzt.“ Auch Heinz und Belina geben an, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zwischen Investor/innen und Politik über die städtebaulichen Verträge zu Deals einladen, die nicht im Interesse einer sozialen Wohnraumversorgung sind. In Spandau steckt hinter der Verweigerung des sozialen Wohnungsbaus die plumpe Ablehnung armer Menschen. Der Baustadtrat Frank Bewig (CDU) verweigerte für das Haveleck und in der Paulsternstraße die Aufstellung von B-Plänen, um den Bau von Sozialwohnungen zu verhindern und begründete dies mit „sozialen Brennpunkten“ im Quartier. In beiden Fällen entzog die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen dem Bezirk die Verantwortung. Laut Wohnungsbauleitstelle stellt das Berliner Modell ein „dringendes Gesamtinteresse Berlins“ dar, was eine Übernahme rechtfertigt. Das Scheitern der Kooperation von Staat und privater Bauwirtschaft im sozialen Wohnungsbau, wie sie für den korporatistischen Wohlfahrtskapitalismus der Nachkriegsjahrzente prägend war, verweist auf die derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Im global vorherrschenden Neoliberalismus hat das schrankenlos agierende Kapital es schlicht nicht nötig, soziale Zugeständnisse zu machen und einen freiwilligen Verzicht auf Profit kann man von ihm nicht erwarten. Umso dringlicher wäre ein beherztes Engagement des Staates im sozialen Wohnungsbau und der Aufbau von „realistischen Drohpotentialen“ (Heinz/Belina) gegenüber dem Kapital.


MieterEcho 402 / April 2019

Schlüsselbegriffe: kooperative Baulandentwickling,sozialer Wohnungsbau