Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 406 / Dezember 2019

Auslaufmodell Privatauto

Autos sollten aus Städten verbannt werden, E-Autos lösen die Probleme nicht

Von Klaus Gietinger   

Die urbane Großstadt leidet unter dem Auto. Das wissen alle. Glaubt man dem Umweltbundesamt, dann ist sogar schon seit Jahren die Mehrzahl der Bürger/innen für autobefreite Städte. Doch geht es dann dem Parkplatz vor der Tür an den Kragen, ist Schluss mit lustig und das ökologische Gewissen verdrängt seine Scham.

                         
Das Auto hat drei gravierende Nachteile: 

 

  1. Es tötet und verletzt Menschen wie keine andere Technik,
  2. Es ist das Verkehrsmittel, das mit Abstand den meisten Platz braucht,
  3. Es ist enorm umweltschädlich.

Den dritten Punkt verspricht das E-Auto zu lösen. Die Hersteller dürfen es gar als Null-Emissions-Auto rechnen und können so mit einem einzigen E-Auto Strafzahlungen für fünf SUVs entgehen. Es ist klar, dass schon allein damit nicht weniger CO2 produziert wird.
Es ist auch klar, dass beim derzeitigen Strommix der zusätzliche Strom für E-Autos aus Kohlekraftwerken kommt, denn momentan sind die regenerativen Energien voll ausgelastet. Zudem ersetzen sie seit Jahren nur die Atomenergie. Die vorderhand schmutzige Energie bleibt somit anteilsmäßig seit Jahren gleich, ja wird sogar wieder zunehmen. Das heißt, der Dreck wird beim Elektroauto nur verlagert. Es ist sogar noch schlimmer: Auch wenn man annimmt, es gäbe bei einem Batterieauto Effizienzgewinne von ca. 15%, wird ein solcher Effizienzgewinn durch Bumerangeffekte neutralisiert und mehr.

  • Bumerangeffekt 1: E-Autos werden nachweislich mehr gefahren. Statt 14.000 Kilometer sind es 25.000 Kilometer im Jahr und mehr, da sie als sauber gelten und besser beschleunigen (Fahrspaß).
  • Bumerangeffekt 2: E-Autos haben immer noch keine große Reichweite, werden also hauptsächlich in der Stadt gefahren und führen dort zu mehr Autos, da als Erstwagen immer noch ein Benziner oder Dieselfahrzeug für weite Strecken benutzt wird. Der Plug-in-Hybrid erledigt das in einem Auto, ist aber deswegen so gut wie gar nicht sauberer und taugt hauptsächlich für Besserverdienende und ihre subventionierten Dienstwagen. Selbstverständlich können sich das Unterschichten alles gar nicht leisten, sie fahren sowieso jetzt schon viel weniger Auto.
  • Bumerangeffekt 3: Wer sich ein E-Auto kauft, fährt, wie in Norwegen, zu 80% weniger mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Das heißt, das E-Auto kannibalisiert den ÖPNV.
  • Bumerangeffekt 4: Der Strom für E-Autos ist viel zu billig, das Auto selbst hochsubventioniert. E-Auto-Fahrer/innen beteiligen sich daher noch weniger an den Infrastrukturkosten als Verbrennerfahrer/innen.
  • Bumerangeffekt 5: Das gravierende CO2-Schönrechnen von SUVs wurde schon erwähnt.              

                                         
Carsharing und autonome Autos
Neuere Studien haben ergeben, dass Carsharing bis jetzt in noch keiner deutschen Großstadt den Anteil des Autos am Verkehr gesenkt hat. Autobesitzer/innen nutzen es zusätzlich. Kaum jemand schafft sein Auto deswegen ab, im Gegenteil, diejenigen, die es vorher nicht benutzt haben, kommen jetzt zum Carsharing. Nichtstationsbasiertes Carsharing (man lässt das Auto einfach da stehen, wo man gerade hingefahren ist) ist zudem in keiner Weise energiesparend. Auch autonome Autos werden als Privatautos zu mehr Autofahrten führen, weil man dann noch viel mehr im Auto erledigen kann als vorher als Fahrer/in. Man stelle sich zusätzlich vor, ein autonomes Auto sucht sich einen Parkplatz. Es kreist permanent. Und auch autonome Autos werden Menschen verletzen und töten, das ist eine physikalische Binsenweisheit.                         

                   
Motorentausch hilft nicht wirklich
Und somit kommen wir zu Nachteil 1 und 2: E-Autos, wie Hybrid-, Wasserstoff- und Brennstoffzellenautos töten und verletzen genauso viele Menschen wie Verbrenner. Im Stadtverkehr sind sie sogar unfallträchtiger, da sie schneller beschleunigen und kaum zu hören sind. Auch dies bestätigen neuere Studien. Und E-Autos brauchen genauso viel Platz wie Verbrenner, stehen auch im Stau und zu 95% sinnlos herum. Zudem wird der Trend zu größeren, PS-stärkeren und schnelleren Autos auch mit dem Wechsel des Antriebs anhalten. Rupert Stadler, der Ex-Chef von Audi, der wegen des Dieselskandals viereinhalb Monate in Untersuchungshaft zubrachte, will in Deutschland den Anteil der SUVs auf 60% steigern. Da ist es völlig egal mit welchem Motor. Auch Modelle wie der Elektro-Sammeltaxi-Fahrdienst Moia von VW kannibalisieren eher  das Taxigewerbe und den ÖPNV, wie es ganz massiv auch Uber tut. Der Leerfahrtenanteil beträgt 60%. Solche Dienste gehören in die öffentliche Hand und müssen mit dem ÖPNV kombiniert und abgestimmt werden.                                                

 

Das Auto muss weg
Die einzige Lösung für die Stadt ist jedoch die Verbannung des Privat-Pkws (und Lkws). Dazu braucht es grundsätzlicher Konzepte und eines grundsätzlichen Konsenses. Ersteres ist nicht schwer. Tempo 30 im ganzen Stadtgebiet und Tempo 15 in verkehrsberuhigten Bereichen wäre ein erster Schritt. Dann: Autobefreite Innenstädte. Parallel dazu massiver Ausbau der Tram (nicht der U-Bahn), Renaissance des Oberleitungsbusses. Es gibt Systeme mit einem Oberleitungsgrundnetz und einem batteriegestützten Ausbaunetz (Kombibusse). Dies wird in Solingen gerade erprobt. Dann braucht es einen integralen Taktverkehr der Bahn. Dabei fahren die Züge zur vollen oder gar halben Stunde alle in den Hauptbahnhof ein und kurz danach wieder aus. Dies erhöht die Umsteigequalität und die Reisegeschwindigkeit ungemein. Und ein solcher Taktverkehr kommt nicht nur den Pendler/innen zugute, denn nur 20 % des Verkehrs ist Arbeitsverkehr. Der Anteil des Freizeitverkehrs ist gigantisch. Nur eine Stadt der kurzen Wege, des entschleunigten Tempos und des teuren motorisierten Individualverkehrs bringt etwas.                                                     
Citylogistik statt sinnloser Fahrten
Der Lieferverkehr, überhaupt der Güterverkehr, ist ein großes Problem und kann in der Stadt nur mit Citylogistik (zentralen Verteilungszentren), hohen Transportkosten und kurzen Wegen gelöst werden. Lastenräder mit oder ohne Elektroantrieb können viel leisten, auch für das Handwerk, ebenso Tramgüterbahnen mit Containersystemen.
Eine Untersuchung in der einzigen komplett autofreien Großstadt Venedig erbrachte, dass wenige Motorbootfahren genügen, um mit Citylogistik eine solche Stadt, die auch noch viele Tourist/innen beherbergt, zu versorgen. Wenige Hundert ersetzen dabei Millionen Fahrten.
Fahrradmagistralen, Fahrradstraßen und die Fahrradvorfahrt sind allgemein dringend vonnöten. Fahrradwege müssen gesichert sein und den Autostraßen abgetrotzt werden. Nebeneinanderfahrten von Radler/innen sollten erlaubt sein, grundsätzlich muss die eingebaute Vorfahrt des Autos (§ 25 StVO) aufgelöst werden. Die Fußgänger/innen brauchen wesentlich mehr Schutz (vor dem Kfz, aber auch vor dem Rad). Es braucht Fußgängernetze, also untereinander verbundene Fußgängerzonen in allen Stadteilen, statt isolierter Konsummeilen, und das Zehnfache an, am besten hochgepflasterten, Zebrastreifen. Weg mit der Reichsgaragenordnung: Nahverkehrs- statt Stellplatzabgabe. Durchsetzung des schon bestehenden Verbots des Gehwegparkens. Als Übergang: Quartiersgaragen für die Anwohner/innen. Sonstiges Parken muss extrem verteuert und in einer zweiten Phase ganz verboten werden. Das ist der schwierigste Schritt. Neben dem Widerstand gegen neue Tramlinien wird der individuelle Widerstand gegen die Parkplatztilgung am größten sein. Und die AfD ist nicht nur migrationsfeindlich, rassistisch und antisemitisch. Sie ist auch – was oft vergessen wird – die Autofahrerpartei. Der angstbesetzte untere Mittelstand ist zwar in der Minderheit, wird sich das Auto aber nur schwer nehmen lassen. Und da ist die AfD nicht allein. Den demokratischen Anti-Auto-Konsens herzustellen ist das größte Problem. Denn Autofahren ist eine Droge und grundsätzlich wird sich das Drogenkartell des Autokapitals gegen alle diese Pläne wehren und weiter von neuen Techniken, Antrieben, Digitalisierung und Fahrspaß schwärmen, ihre Lobbymacht ausbauen und dem/der Fahrer/in und Wähler/in klar machen, dass es um seine/ihre angebliche Freiheit geht.
Autobefreite Inseln auf der Welt gibt es schon viele. Und Städte wie Amsterdam, Groningen, Houten, Kopenhagen, Dubrovnik, Barcelona, Madrid, Zürich, Münster und wohl auch Berlin versuchen einen Anfang. Jede Stadt für sich ist da noch nicht perfekt, schafft es auch nicht allein. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Ansätze zu Modellen entwickeln und dass die Autofahrer/innen ein Einsehen haben, bzw. von der Mehrheit (wie beim Rauchen) gezwungen werden, massiv zurückzustecken. Es bleibt auch zu hoffen, dass dies dann auf den ganzen Globus ausstrahlt. Viel Zeit bleibt nicht mehr.          


Klaus Gietinger ist Sozialwissenschaftler, Regisseur von Spielfilmen und Dokumentarfilmen und Autor. Neben zahlreichen historischen Sachbüchern hat er mehrere Bücher zum Thema Automobilität geschrieben, zuletzt „Vollbremsung. Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen.“ Westend Verlag 2019.


MieterEcho 406 / Dezember 2019

Schlüsselbegriffe: Privatauto,Carsharing

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