Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.
MieterEcho 402 / April 2019

Ankauf zu Mondpreisen

Die komplette Rekommunalisierung von drei Blöcken an der Karl-Marx-Allee ist gescheitert

Von Rainer Balcerowiak

 

Das Tauziehen um 675 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee ist vorläufig beendet. Ende Februar entschied das Berliner Landgericht, dass der Verkauf von drei Blöcken an den Immobilienkonzern Deutsche Wohnen rechtmäßig sei und hob eine anders lautende Einstweilige Verfügung des Amtsgerichts auf. Der Senat hatte in dem Verfahren angestrebt, die 1993 erfolgte Privatisierung wegen gravierender Vertragsmängel teilweise rückabzuwickeln, um dann die Blöcke als Ganzes vom jetzigen Besitzer in den kommunalen Bestand zu überführen. Zwar könnte das Land Berlin gegen das Urteil in Berufung gehen, doch dies ist eher unwahrscheinlich. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ließ nach der Verhandlung verlauten, dass man sich zwar eine andere Entscheidung des Gerichts erhofft habe, das Urteil aber nicht überraschend sei. 

Damit könnte vorerst eine Geschichte enden, die vor rund 30 Jahren begann. Nach der Wiedervereinigung gingen die im Rahmen des staatlichen Wohnungsbauprogramms der DDR errichteten „Arbeiterpaläste“ an Ostberlins Pracht- und Paradestraße an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain, die inzwischen in der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) aufgegangen ist. Auf Grundlage des Altschuldengesetzes musste die Gesellschaft die Blöcke 1993 privatisieren. Die Wohnungen gingen über die 2014 abgewickelte Depfa Bank in die Portfolios mehrerer Immobilienfonds ein, die vom Immobilienunternehmen Predac verwaltet wurden. Im November 2018 wurde bekannt, dass mehrere Blöcke an die Deutsche Wohnen verkauft werden sollen. Für einen Block konnte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sein Vorkaufsrecht geltend machen, da er sich in einem Milieuschutzgebiet befindet. Die Wohnungen werden künftig von der WBM bewirtschaftet. Auf die anderen Blöcke trifft dies nicht zu, dennoch strebten Bezirk und Senat eine möglichst weitgehende Rekommunalisierung an, falls die Komplettübernahme scheitern sollte. Hebel dafür sollte das individuelle Vorkaufsrecht der einzelnen Mieter/innen sein, das sich aus den alten Verträgen ableiten ließ. Und so wurde federführend von der Senatsverwaltung für Finanzen das bislang unbekannte Modell des „gestreckten Erwerbs“ entwickelt. Mieter/innen sollten ihr Vorkaufsrecht gegenüber dem bisherigen Besitzer Predac geltend machen, und ihr „Eigentum“ dann unmittelbar an die städtische Gesellschaft Gewobag übertragen. Und dies in einem unbürokratischen Verfahren, verbunden mit der Garantie, dass den Mieter/innen dabei keine Kosten entstünden und alle notariellen Prozesse vom Senat bzw. der Gewobag abgewickelt würden.

 

Deutsche Wohnen behält Mehrheit

Innerhalb der dafür gesetzten Frist machten 316 Mieter/innen von dem Modell Gebrauch und unterschrieben entsprechende Verträge. Das vom Senat gesetzte Mindestquorum von 25% wurde damit deutlich übertroffen. Eine bislang nicht exakt zu benennende Zahl von Mieter/innen nutzte diese Gelegenheit, um ihre Wohnungen auf eigene Rechnung zu erwerben, sei es zur dauerhaften Selbstnutzung oder zu spekulativen Zwecken. Bei der Investitionsbank Berlin (IBB), die Mieter/innen beim Erwerb ihrer Wohnungen unterstützt, gingen 39 Anträge auf eine entsprechende Finanzierung durch Darlehen ein. Davon wurden 13 abgelehnt, wobei vor allem fehlendes Eigenkapital eine Rolle spielte. Allerdings wisse man nicht, wie viele Mieter/innen den Erwerb auf andere Weise finanzieren wollen und können, etwa durch vorhandenes Vermögen oder Darlehen ihrer Hausbank, erklärte ein IBB-Sprecher gegenüber dem MieterEcho. Auch bei der Finanzverwaltung gibt es darüber keine Erkenntnisse, hieß es auf Anfrage. Es gibt lediglich Schätzungen, die von rund 50 Mieter/innen ausgehen, die in den Blöcken Wohneigentum begründen werden.
Von einer „gelungenen Rekommunalisierung“ kann man also nur bedingt sprechen. Die Deutsche Wohnen wird den größten Teil des Bestandes erwerben. Die Gewobag wird in der künftigen Eigentümergemeinschaft mit rund 46,5% der Anteile vertreten sein. Die heterogene Eigentümerstruktur könnte zu erheblichen Problemen führen. So haben Mieter/innen bei den städtischen Gesellschaften gewisse Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, unter anderem durch gewählte Mieterbeiräte. Es ist allerdings kaum zu erwarten, dass die Deutsche Wohnen dies in irgendeiner Form mittragen wird. Auch könnten die Mieten in den Blöcken in Zukunft deutlich auseinander driften. Bei den Gesellschaften unterliegen Mieterhöhungen und Modernisierungsumlagen laut „Kooperationsvereinbarung“ mit dem Senat besonderen Kappungsgrenzen, und es gelten Sozialklauseln, die eine übermäßige Belastung ärmerer Haushalte verhindern sollen. Ein börsennotiertes Unternehmen wird dagegen in der Regel alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Mieteinnahmen in die Höhe zu treiben, oder wird die Bestände oder Teile davon mit spekulativen Gewinnen wieder veräußern wollen. Was das Geschäft die Gewobag letztendlich kosten wird, ist noch nicht bekannt. Die Rede ist von bis zu 100 Millionen Euro. Bisher bekannt gewordene Preise beim „gestreckten Erwerb“ für die 50 -110 Quadratmeter großen Wohnungen lassen jedoch Hochrechnungen zu. Die Preise liegen zwischen 3.000 und 4.500 Euro/m² bzw. 150.000 bis 350.000 Euro pro Wohnung. Teilweise wären auch die Preise für  fast identische Wohnungen sehr unterschiedlich, berichteten Mieter/innen, die am „gestreckten Erwerb“ teilnehmen. Dazu kommen noch Transaktionskosten – vor allem Notargebühren – und die von den Erwerber/innen zu zahlende Grunderwerbsteuer.
Unter rein wohnungswirtschaftlichen Gesichtspunkten könnte man dieses Geschäft wohl getrost als Desaster für die Gewobag einstufen. Die Investition würde sich auf Basis der Mietspiegelwerte rein rechnerisch erst in 52 Jahre amortisieren, wobei Kosten für Instandhaltung und Sanierung noch gar nicht eingerechnet sind. Das gilt auch für den 80 Wohn- und 8 Gewerbeeinheiten umfassenden Block, der von der WBM auf dem Wege des Vorkaufsrechts erworben wurde.

 

Ankäufe als Glaubensfrage 

Mittlerweile hat der Landesrechnungshof angekündigt, die Ankaufspolitik der kommunalen Wohnungsgesellschaften und die damit verbundenen Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln genauer unter die Lupe zu nehmen. „Es handelt sich um eine finanziell sehr bedeutsame Angelegenheit, die wir mit großer Aufmerksamkeit verfolgen“, sagte Rechnungshof-Präsidentin Karin Klingen der Berliner Morgenpost am 18. Februar. Man wolle vor allem untersuchen, „nach welchen Maßstäben Senat und Bezirke handeln, welches Finanzvolumen dafür eingeplant ist und nach welchen Kriterien die Wohnungen ausgesucht werden“, so Klingen. Das sind Fragen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Denn die anhaltende Immobilienspekulation hat die Preise bei Vorkäufen und anderen Ankäufen in teilweise absurde Höhen getrieben. So kaufte die Gesellschaft Stadt und Land zuletzt 1.800 größtenteils unsanierte Plattenbauwohnungen im Kosmosviertel im Treptower Ortsteil Altglienicke für 250 Millionen Euro zu einem Quadratmeterpreis von mehr als 2.000 Euro. Rechnet man den Sanierungsbedarf hinzu, landet man in einer Preisregion, in der die städtischen Gesellschaften auch Neubau realisieren könnten, wodurch – anders als bei Ankäufen – dringend benötigter zusätzlicher Wohnraum geschaffen würde. Der durchschnittliche Neubaupreis der städtischen Gesellschaften lag 2017 bei knapp 2.400 Euro/m², im unteren Segment bei 2.100 Euro.
Doch für den Berliner Senat scheinen An- und Vorkauf mittlerweile zu einer Art Glaubensfrage jenseits nachvollziehbarer wohnungspolitischer Strategien geworden zu sein. Symbolträchtige  Objekte wie die Blöcke an der Karl-Marx-Allee, aber auch Häuser in „alternativ“ geprägten Quartieren mit entsprechender Wählerklientel spielen dabei eine herausragende Rolle. Derweil geht das Immobilien-Monopoly an der Karl-Marx-Allee munter weiter. Die Deutsche Wohnen plant dort den Erwerb weiterer Blöcke. Im Visier ist derzeit der Kauf des Blocks F-Nord durch die Tochterfirma DWRE Alpha GmbH. Dieser umfasst die Hausnummern 133 bis 143 mit insgesamt 151 Wohnungen. Die jetzige Besitzerin – es ist erneut die Predac – hat aus dem Gerangel um das Vorkaufsrecht offenbar gelernt. Anfang März erhielten die Mieter/innen die Mitteilung, dass die erst 2017 vollzogene Aufteilung in Wohnungseigentum „mit notarieller Verhandlung vom 13. Dezember 2018 aufgehoben“ worden sei und den Mieter/innen daher kein Vorkaufsrecht zustehe. Beim Senat will man das jetzt prüfen.


MieterEcho 402 / April 2019

Schlüsselbegriffe: Karl-Marx-Allee,Rekommunalisierung,Deutsche Wohnen,