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MieterEcho 393 / Februar 2018

„Zahl von 86.000 zusätzlichen Schüler/innen bisher nicht belegt“

Schulen sollen öffentlich gebaut, erhalten, betrieben und finanziert werden, anstatt sie einer privatrechtlichen GmbH zu übertragen

Interview mit Carl Waßmuth (GiB)


MieterEcho: Wer würde ggf. für die Rückzahlung der von der Howoge am Kapitalmarkt aufgenommenen Kredite in Haftung genommen? Die Bezirke oder auch die Mieter/innen in den Wohnungsbeständen der Howoge?


Carl Waßmuth: Die Howoge-Tochter muss für die Kredite Sicherheiten anbieten. Das kann erfolgen durch Grundschulden oder Bürgschaften oder aber auch durch die Vereinbarung eines Einredeverzichts, wie man es von ÖPP-Projekten kennt, mit all den bekannten Folgen für die Baukostenentwicklung. Man kann auch Grundstücke an die Banken übertragen – das wäre allerdings ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Auch die Haftung mit dem Mietwohnungsbestand der Howoge wäre theoretisch möglich.


Seit 2010 ist die zu 100% in Landesbesitz befindliche „Schulbau Hamburg“ (SBH) in der Hansestadt für Neubau, Sanierung und Bewirtschaftung der allgemeinbildenden Schulen zuständig. Bestätigen die dortigen Erfahrungen Ihre Kritik an den Berliner Planungen?


In Hamburg zahlt die SBH hohe Zinsen, 7,86% in 2015, 5,29% in 2016. Das Hamburger Modell ist also sehr teuer, ein gehöriger Anteil der dem Schulbau gewidmeten Gelder geht an die Banken. Die GEW Hamburg spricht vom Diktat des Sparzwangs. Es sei ein Wettbewerb um Filetstücke in guten Hamburger Lagen entbrannt und Schulhöfe würden verkauft, um darauf Wohnungen zu errichten. Tatsächlich wurde in Hamburg die Fläche pro Schüler deutlich reduziert.


Sind die geplanten Vorhaben in dem angesetzten Zeitrahmen tatsächlich umsetzbar, obwohl offenkundig dafür Baufachleute usw. fehlen?


Das geplante Vorhaben, 5,5 Milliarden Euro in zehn Jahren an Berliner Schulen zu verbauen, ist unmöglich umsetzbar. Dazu fehlen die Kapazitäten in den Bauämtern und in der Bauwirtschaft. 2016 wurden nur 162,2 Millionen Euro verbaut, obwohl deutlich mehr Geld bereitgestellt wurde.


Schürt der Senat nicht überzogene Ängste in der Bevölkerung, indem er mit großen Zahlen operiert, unter anderem von 86.000 zusätzlichen Schüler/innen in den nächsten Jahren spricht?


Die behauptete Zahl von 86.000 zusätzlichen Schüler/innen bis 2025 wurde vom Senat bisher nicht belegt. Laut Bevölkerungsstatistik wächst die betreffende Altersgruppe nur um ca. 48.000. Ähnliches gilt für die Sanierungskosten. Der „Gebäudescan“, den Senat und Bezirke haben durchführen lassen, ist für eine zutreffende Kostenschätzung bei Weitem nicht ausreichend. Die Sanierungskosten könnten statt wie angegeben 1,8 Milliarden Euro genauso gut auch weniger als 1 Milliarde Euro betragen. Um das herauszufinden, müsste man die Vorhaben tiefgehender durchplanen – aber dazu fehlen die Fachkräfte.


Wie hat die Politik auf Ihre Kritikpunkte bislang reagiert?


Bisher versucht man, das auszusitzen. Keine Fragen beantworten. Und leugnen: Die Auslagerung von relevanten Teilen des Schulbaus aus dem öffentlichen Recht ins Privatrecht – also die formelle Privatisierung – soll keine Privatisierung sein. Dieses „Mauern“ wird leider durch die völlige Passivität des Abgeordnetenhauses unterstützt. Deswegen wurde jetzt die Volksinitiative „Unsere Schulen“ gestartet. Durch das Sammeln von 20.000 Unterschriften soll das Parlament zur Befassung gezwungen werden.


Wo sehen Sie Widerstände in Parteien, bei Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen?


Die Gewerkschaft GEW Berlin hat diese Schulprivatisierung zwei Mal in Folge klar abgelehnt. Auch die Naturfreunde Berlin haben sich jetzt gegen das Vorhaben gewandt. Viel wichtiger ist aber: Es gibt aus den verschiedenen Bewegungen gegen Privatisierung und für Volksentscheide zahlreiche Gruppen in Berlin, die bereit sind, sich gegen die Schulprivatisierung auch tatkräftig einzusetzen. Das haben insgesamt bisher drei Vernetzungstreffen gezeigt.


Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führte Joachim Maiworm.

 

Bei ÖPP-Projekten ist die Finanzierung mittels Forfaitierung (Forderungsverkauf) mit Einredeverzicht üblich. Dabei verkauft der private Auftragnehmer seine Forderungen an die finan-zierende Bank. Um kommunalkreditähnliche Finanzierungskonditionen zu erreichen, verzichtet der öffentliche Auftraggeber gegenüber der finanzierenden Bank auf Einreden und Einwendungen.

 

Carl Waßmuth ist Mitglied des Vorstands und Sprecher des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). GiB startete Anfang Januar eine Volksinitiative gegen Schulprivatisierung in Berlin.

Weitere Informationen: www.gemeingut.org

 

 


MieterEcho 393 / Februar 2018

Schlüsselbegriffe: Howoge, Schulneubau, Carl Waßmuth, Schulprivatisierung, Hamburger Modell, Schüler/innenzahl