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MieterEcho 396 / Juni 2018

Weiter dümpeln

Die Wohnungspolitik der rot-rot-grünen Landesregierung basiert auf den Weichenstellungen des rot-schwarzen Vorgängersenats

Von Rainer Balcerowiak

Als sich die Berliner Parteien für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18.September 2016 rüsteten, spielte der Themenkomplex Bauen und Wohnen neben der Flüchtlingskrise die zentrale Rolle. Zudem gab es in der Stadt eine Art „Wechselstimmung“, weil die amtierende Große Koalition aus SPD und CDU heillos zerstritten war und deutliche Verschleißerscheinungen zeigte. Eine rot-rot-grüne Landesregierung lag förmlich in der Luft, zumal sich der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel mit seinen ebenso martialischen wie sinnlosen Rambo-Aktionen gegen alternative Hausprojekte ins Abseits manövriert hatte.


„Bauen, bauen, bauen“ ließ endlich der seit 2014 amtierende Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) vernehmen. Im Wahlprogramm der SPD hieß es: „Der ungebrochene Zuzug vieler Menschen nach Berlin, darunter viele geflüchtete Menschen, stellt uns auch vor Herausforderungen. Wir werden neue Quartiere entwickeln und dabei die Berliner Mischung erhalten. Wir treiben den Wohnungsbau in der ganzen Stadt voran, damit die Berlinerinnen und Berliner weiterhin mit hoher urbaner Lebensqualität in der Stadt wohnen und arbeiten können. Darüber hinaus begrenzen wir die Bestandsmieten, um bezahlbares Wohnen zu sichern.“

Deutlich zurückhaltender formulierten es in Bezug auf Neubau die Partei Bündnis90/Die Grünen in ihrem Programm: „Wir wollen Immobilienspekulation effektiv bekämpfen und arbeiten weiter für bezahlbare Mieten in lebendigen Stadtvierteln.“ Für den öffentlichen und privaten Wohnungsbau wurden Quoten für den jeweiligen Anteil „bezahlbarer Wohnungen“ gefordert. Der kommunale und genossenschaftliche Anteil am Wohnungsbestand von knapp unter 30% solle „mittelfristig auf mindestens 40% gesteigert“ werden. Doch die Abhandlungen zur „grünen Stadt“ und zur „Beteiligung der Bürger/innen“ an Neubauplanungen machten klar, dass die Prioritäten keinesfalls beim Neubau gesetzt werden sollten.

Noch deutlicher wurde dies im Programm der Partei Die Linke in dem es klipp und klar hieß: „Die Konzentration allein auf den Wohnungsneubau ist nicht zielführend, weil diese Förderung am teuersten ist.“ Daher solle vor allem „die Förderung der Wohnungsmodernisierung und des Ankaufs von Wohnungen erweitert werden“. Wohnungsbau und Siedlungsentwicklung seinen „auf gut erschlossenen Achsen zu konzentrieren und dadurch Freiräume zu schützen“.

Einig waren sich alle Parteien, dass das Zweckentfremdungsverbot verschärft und der Milieuschutz gestärkt werden soll. Auch eine Weiterentwicklung des „Mietenbündnisses“ mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und eine Härtefallregelung zur Mietbegrenzung für den alten sozialen Wohnungsbau hatten alle auf der Agenda.

 

Neubauverhinderung als Erblast

Damit waren bereits im Vorfeld der neuen Regierungsbildung jene Konflikte angelegt, die mittlerweile die Wohnungspolitik in der Stadt prägen und teilweise lähmen. Grüne und Linke wollen vor allem ihre eher neubauskeptische Klientel in Bestandswohnungen bedienen. Schon der Koalitionsvertrag enthielt einen entsprechenden „Paukenschlag“: Den Verzicht auf das größte der zwölf vom Vorgängersenat ausgewiesenen Stadtentwicklungsgebiete, die Elisabeth-Aue in Pankow.

Das war keineswegs überraschend, denn in der vergangenen Legislaturperiode hatte sich eine entsprechende stadtpolitische Konstellation entwickelt. Die geplante Randbebauung des stillgelegten Flughafens in Tempelhof mit insgesamt 4.700 städtischen und genossenschaftlichen Wohnungen wurde im Mai 2014 durch einen Volksentscheid gekippt. An dieser Kampagne waren Grüne und Linke als Oppositionsparteien federführend beteiligt. Ähnliche Frontstellungen gab es auch bei kleineren Neubauprojekten, etwa am Mauerpark im Bereich Wedding/Prenzlauer Berg und an den Buckower Feldern. In einigen Fällen griff Geisel dann zu seiner „schärfsten Waffe“, indem er den Bezirken die Planungshoheit entzog. Aber für kleinere Bauvorhaben und innerstädtische Verdichtungen steht dieses Instrument nicht zur Verfügung.

Nun kann man dem SPD/CDU-Senat wahrlich nicht bescheinigen, dass in seiner Amtszeit der große Durchbruch in Richtung sozialer Wohnraumversorgung geplant oder gar realisiert wurde. Doch ein gewisses Umdenken war seit seiner Regierungsübernahme im Herbst 2012 und besonders nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit und dessen Ersetzung durch Michael Müller (beide SPD) im Herbst 2014 durchaus zu erkennen. Zumal die von 2002 bis 2011 amtierende rot-rote Landesregierung ein wohnungspolitisches Trümmerfeld hinterlassen hatte. Unter dieser Regierung kam der Neubau von Wohnungen faktisch zum Erliegen, von sozialem Wohnungsbau ganz zu schweigen. Außerdem verkaufte das Land über 100.000 Wohnungen aus kommunalen Beständen an Finanzinvestoren, darunter mit der GSW eine komplette Gesellschaft mit rund 65.000 Wohnungen. Die spätere Übernahme des Großteils dieser Bestände durch die Deutsche Wohnen wurde zum Turbo für dieses nicht nur in Berlin ausgesprochen berüchtigte börsennotierte Unternehmen. Die verbliebenen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wurden durch eine Dividendenverpflichtung zugunsten des Landeshaushalts regelrecht ausgeblutet, litten unter hoher Verschuldung und hatten kaum Mittel für notwendige Sanierungen, geschweige denn für Neubau (Seite 7). Durch den vom Senat beschlossenen Wegfall der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau ohne Auffangregelung für die betroffenen Bewohner/innen kam es für viele Mieter/innen zu drastischen Mieterhöhungen von 80% und mehr. Noch im Frühjahr 2011, als Mietenexplosion und der Mangel an preiswertem Wohnraum bereits drastische Ausmaße erreicht hatten, behauptete die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) unverdrossen, dass es keine Wohnungsmarktkrise gebe.

 

Kurswechsel bei der SPD

In der neuen Regierung übernahm 2012 Michael Müller ihr Amt, bevor ihm zwei Jahre später Andreas Geisel folgte. In diese Legislaturperiode fällt eine Reihe von Maßnahmen. Im „Mietenbündnis“ mit den Wohnungsbaugesellschaften wurden unter anderem einkommensabhängige Mieten für Geringverdienende und eine Neuvermietungsquote für Inhaber/innen von Wohnberechtigungsscheinen vereinbart. Mieterhöhungen und Modernisierungszulagen wurden unterhalb der gesetzlich zulässigen Werte gekappt, zudem wurden neue Härtefallklauseln vereinbart. Durch Zukäufe und – äußerst bescheidenen – Neubau wurden die Bestände der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen allmählich wieder erhöht.

Nachdem im Frühjahr 2015 ein Volksbegehren zur sozialen Wohnraumversorgung auf große Resonanz stieß, verständigten sich die Initiatoren und der Berliner Senat vor Einleitung eines Volksentscheids auf einen Kompromiss in Form eines neuen Wohnraumversorgungsgesetzes, das unter anderem weitere Regelungen zur Mietpreisdämpfung in den kommunalen Wohnungen und im sozialen Wohnungsbau sowie die Schaffung eines Sondervermögens zur Wohnraumförderung beinhaltet.

Doch auch bei der Neubaupolitik gab es eine kleine Kehrtwende. Wurden landeseigene Grundstücke vom rot-roten Senat fast ausschließlich nach dem Höchstgebotsprinzip an Investoren verscherbelt, wurde beim Verkauf landeseigenen Baulands nunmehr die Errichtung eines bestimmten Anteils von Sozialwohnungen zur Pflicht gemacht. Auch Neubauten auf privaten Grundstücken sollten bei stadtplanungsrelevanten Bauprojekten ab einer bestimmten Größenordnung durch das Modell der „kooperativen Baulandentwicklung“ zu einer Sozialquote verpflichtet werden. In einem Stadtentwicklungsplan wurden erstmals seit über einem Jahrzehnt Neubaubedarf, Neubaupotenziale und Neubauziele definiert. Eine Konsequenz daraus war die Ausweisung von 12 Stadtentwicklungsgebieten mit Wohnraum für über 100.000 Menschen. Als mittelfristige Zielmarke gab Geisel 2014 den jährlichen Neubau von 15.000 bis 20.000 Wohnungen an und beklagte eine von den Oppositionsparteien Linke, Grüne und Piraten getragene „neubaufeindliche Stimmung“ in der Stadt, die es zu überwinden gelte.

Besonders umstritten war in der großen Koalition das Zweckentfremdungsverbotsgesetz, mit dem der Missbrauch von Wohnraum durch gewerbliche Vermietung an Feriengäste und der spekulative Leerstand von Wohnraum eingedämmt werden sollten. Doch die SPD konnte sich im Kern durchsetzen, auch wenn die CDU zahlreiche Ausnahmeregelungen implementierte. Allerdings waren die Bezirke anfangs mit der Umsetzung des Gesetzes heillos überfordert.

Mit Unterstützung des Senats reaktivierten einige Bezirke in dieser Periode auch den Milieuschutz, um durch den Erlass von sozialen Erhaltungssatzungen der Verdrängung aus begehrten Wohnquartieren entgegenzuwirken. Ergänzend wurde eine Verordnung erlassen, die die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten unter Genehmigungsvorbehalt stellt und Eigenbedarfskündigungen befristet ausschließt. Beides sind jedoch nur äußerst beschränkte Instrumente, da Bundesgesetze und höchstrichterliche Entscheidungen nur wenige Spielräume offen lassen (Seite 10).

Mit der Bildung der rot-rot-grünen Koalition musste die SPD das Stadtentwicklungsressort zähneknirschend an die Linke abgeben. Als Geisels Nachfolgerin amtiert seitdem Katrin Lompscher. Zu den wohnungspolitischen Zielen heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Koalition sieht in bezahlbarem Wohnen ein Grundrecht für alle Berliner*innen. Sie macht sich stark für eine Dämpfung der Mietpreisentwicklung und eine bedarfsgerechte Versorgung mit Wohnraum. Dazu wird die Koalition den Mieterschutz ausbauen und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften stärken. Bis zum Ende der Legislaturperiode soll es 55.000 zusätzliche Wohnungen im Landesbesitz geben.“ Davon sollen 30.000 neu gebaut werden.

 

Kaum neue Akzente

Angesichts der schwachen Entwicklung bei Bauanträgen und Fertigstellungen sind diese Zahlen wohl schon jetzt Makulatur. Auch bei der groß angekündigten forcierten Akquise und Erschließung neuer Flächen für den Wohnungsbau ist nur wenig Bewegung zu erkennen. Ähnliches gilt für innerstädtische Verdichtungen, die oftmals an hinhaltendem Widerstand der Bezirke scheitern. Da kann es schon als bemerkenswerte Innovation gewertet werden, wenn jetzt die Wohnungsbaupotenziale durch Aufbauten auf Supermärkten geprüft werden. Erschwerend kommt dazu, dass die Planungen für die Entwicklung und Nachnutzung des Areals rund um den Flughafen Tegel mittelfristig auf Eis liegen.

Doch auch davon abgesehen sind kaum neue Akzente in der Wohnungspolitik zu verzeichnen, wenn man mal von dem umfassenden Ausbau der „Partizipationsmöglichkeiten“ der Bürger/innen bei Wohnungsbauprojekten absieht (Seite 12). So ziemlich alles basiert auf einer „Verstetigung“ oder „Weiterentwicklung“ der vom Vorgängersenat eingeleiteten Maßnahmen. Am Geld mangelt es nicht. Vielmehr werden die vorhandenen Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau derzeit gar nicht in voller Höhe ausgeschöpft. Ohnehin wird mit gefördertem Wohnungsbau nur eine temporäre soziale Zwischennutzung finanziert. Für einen kommunalen Wohnungsbau in unmittelbarer Trägerschaft des Landes zur Schaffung dauerhaft preiswerten Wohnraums fehlt dieser Koalition offensichtlich der politische Wille.

Beim „Mietenbündnis“ mit den kommunalen Gesellschaften und bei den Altfallregelungen für Sozialmieter/innen, deren Wohnungen aus der Förderung fallen, gab es einige Präzisierungen und ein Vorschaltgesetz. In Milieuschutzgebieten unterstützt der Senat jetzt stärker die Bezirke bei der Wahrnehmung des Vorkaufsrechts bei spekulativen Hausverkäufen, doch auch dies könnte angesichts explodierender Grundstückspreise bald an seine Grenzen stoßen. Denn die bisherige Rechtsprechung ermöglicht „Mondpreise“ bei Hausversteigerungen, die von den meist kommunalen Erwerbern kaum zu schultern sind.

Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz wurde mittlerweile novelliert. Aber statt der angekündigten „Verschärfung“ ist in Bezug auf die zeitweise gewerbliche Vermietung von Wohnraum eher eine Liberalisierung herausgekommen (MieterEcho Nr. 395/ Mai 2018). Die Verkürzung der Leerstandsfristen und die Vereinfachung der Zwangsverwaltung sind allerdings als positiv zu werten – sofern sie denn tatsächlich umfassend umgesetzt werden.

Auch bei der Bekämpfung der Wohnungslosigkeit hat der Senat außer wohlklingenden Ankündigungen und wortmächtigen Strategiepapieren wenig vorzuweisen. Dabei wächst das Problem stetig. Neben den geschätzt rund 8.000 Obdachlosen, die ganz oder überwiegend auf der Straße leben, sind in Berlin bis zu 40.000 Menschen notdürftig in entsprechenden Einrichtungen oder Billigpensionen untergebracht und diese Zahl steigt stetig. Die rund 20.000 Geflüchteten, die noch immer in Sammel- und Notunterkünften leben, sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Nötig wäre neben deutlich mehr Neubau vor allem die massive Ausweitung des derzeit nahezu lächerlich kleinen geschützten Wohnraumsegments für diese Gruppen. Doch außer den – ebenfalls bereits vom Vorgängersenat beschlossenen – Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF), die jetzt im Schnellverfahren in allen Bezirken hochgezogen werden sollen (Seite 14), passiert wenig in dieser Richtung.

Es mag bitter klingen, aber fast kann man froh sein, dass es zwischen den vermeintlich fortschrittlichen rot-roten und rot-rot-grünen Landesregierungen eine Große Koalition gab, die wenigstens einige richtige Weichenstellungen auf den Weg gebracht hat – ohne die dramatische Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt damit wirksam zu entschärfen. Doch das kann man vom jetzt amtierenden Senat leider auch nicht erwarten.


MieterEcho 396 / Juni 2018

Schlüsselbegriffe: Berlin, Wohnungspolitik, rot-rot-grün, rot-schwarz, Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung, Neubau, Wohnraum, Wohnraumförderung, Leerstand, Mietpreisentwicklung, Miete