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MieterEcho 398 / Oktober 2018

Vorsicht Rechtsverkehr

Die Berliner AfD-Fraktion versucht sich an einem Verkehrskonzept

Von Benedict Ugarte Chacón

Im Juni dieses Jahres beschloss das Abgeordnetenhaus das Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung, kurz: Mobilitätsgesetz. Damit sollte die Grundlage für eine Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur und des öffentlichen Raums geschaffen werden. Während der über Monate währenden Behandlung des Gesetzentwurfs in verschiedenen Parlamentsausschüssen kündigte die Fraktion der AfD ein eigenes Verkehrskonzept an, welches sie schließlich ebenfalls Ende Juni vorlegte. Neben „Visionen“, die die AfD-Fraktion von der Zukunft des Berliner Verkehrssystems hat, enthält das Konzept auch Vorstellungen zum Berliner Flughafensystem. Insbesondere diese sind jedoch nicht ernst zu nehmen.


Als Hauptautor des rund 60 Seiten langen „Verkehrskonzepts 2018 – 2050“ der AfD wird der Abgeordnete Frank Scholtysek angegeben. Dieser trat als verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion in der Vergangenheit mit Pressemitteilungen an die Öffentlichkeit, in denen er beim Senat „Autohasser“ am Werk sah. Tempo 30-Zonen sind für ihn mitunter „überflüssig“, gar „Tempo-30-Terror“. Als das Mobilitätsgesetz im Abgeordnetenhaus debattiert wurde, erklärte Scholtysek: „Mit verfestigtem Autohass wird Individualverkehr mit allen Mitteln ausgebremst, einseitigen Interessen der Fahrradlobby willig nachgegeben und so die Mobilität der Stadt linker Ideologie geopfert.“ Auf einem ähnlichen Niveau bewegt sich die Einleitung des Verkehrskonzepts. Man wende sich „entschieden gegen Umerziehungsmaßnahmen von Verkehrsteilnehmern“. Eine „ungerechte Klientelpolitik, hervorgerufen durch pathologischen Autohass“ müsse verhindert werden. Man lehne „linksrotgrüne Tendenzen zu einer immer weiteren Verlangsamung der Stadt“ strikt ab. „Angst-Diskussionen um Feinstaub und Stickoxide in der Luft“ seien künstlich geschürt. Weiterhin wird eine „katastrophale Verkehrssituation“ konstatiert, Staus seien an der Tagesordnung. Die Ursachen dieser Situation lägen u. a. an einer mangelhaften Verkehrslenkung sowie einem angeblichen Investitionsstau beim Straßenbau. Als eine „Sofortmaßnahme“ schlägt die AfD-Fraktion deshalb Planungen zum Ausbau der Straßeninfrastruktur vor. Der Weiterbau der Autobahn A 100 bis zum Ringschluss scheint der Fraktion „unverzichtbar“. Damit würde die Innenstadt dauerhaft verkehrlich entlastet. Auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) könne sich ohnehin nicht verlassen werden, dieser werde von den Berliner/innen als „permanent unpünktlich und unzuverlässig“ empfunden. Zudem würden die Fahrgäste durch „Kriminalität, aggressives Betteln und bedrohlich empfundene Situationen“ verunsichert. Kein Wunder also, dass der Umstieg aufs Auto und „zunehmend sogar die Anschaffung eines Zweitwagens“ vielen Bürger/innen als „logische Konsequenz auf den unbefriedigenden ÖPNV“ erscheine.

„Visionen“ ohne Finanzierungsidee

Wenn die AfD-Fraktion „Umerziehungsmaßnahmen“ ablehnt, so scheint sie dies nur auf Autofahrer/innen zu beziehen. Was den Fahrradverkehr angeht, so ist im entsprechenden Teil des Konzepts zu lesen, müsse hingegen den „Kampfradlern (…) der Kampf angesagt werden“. Das angeblich rücksichtslose Verhalten „von Radfahrern generell“ trage zu immer mehr und immer schwereren Unfällen bei. Daher sollte nach Ansicht der Fraktion über eine Kennzeichnungs- und Versicherungspflicht von Fahrrädern nachgedacht werden. Radschnellwege lehne man ab, da es sich hier um „reine klientelpolitische Luxusprojekte“ handle. Ein weiter ausgebautes Straßennetz firmiert als „Vision 2030/2050“ für den Individualverkehr. Zwar sollen U- und S-Bahnstrecken erweitert werden, allerdings wird der Neubau von Straßenbahnstrecken grundsätzlich abgelehnt. Der ÖPNV soll nach dem Konzept der AfD-Fraktion künftig nicht mehr in gleichem Maß wie jetzt aus Steuergeldern subventioniert werden. Es müssten vielmehr „alternative Finanzierungsinstrumente erdacht und kalkuliert“ werden. Auch wenn im Konzept Modelle anderer Kommunen angeschnitten werden, ist zu vermuten, dass ein „alternatives Finanzierungsinstrument“ der Einstieg privater Investoren sein kann. Dem Verkehrskonzept ist hierzu zwar nichts zu entnehmen, doch in ihrem Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2016 sprach sich die AfD im Zusammenhang mit der Flughafengesellschaft immerhin für die Privatisierung dieses Infrastrukturunternehmens aus. Alles in allem beschränken sich die „Visionen“ der AfD-Fraktion auf eine Zusammenstellung mehr oder weniger durchdachter Vorstellungen mit deutlicher Tendenz, den Autoverkehr noch weiter zu stärken. Von einem umfassenden Konzept kann nicht gesprochen werden, da die Fraktion keine verbindlichen Aussagen dazu trifft, wie die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen finanziert werden sollen.

Ahnungslos beim BER

Für einen Teil des Verkehrskonzepts zeichnet der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Frank-Christian Hansel verantwortlich. Dieser wurde von seiner Fraktion in den im Sommer geschaffenen Untersuchungsausschuss „BER II“ entsandt und soll dort zur Aufklärung der Kostensteigerungen und Terminverschiebungen beim Bau des Flughafens Berlin Brandenburg beitragen. Dass es sich bei Hansel um einen ausgewiesenen Luftverkehrsspezialisten handelt, wird durch seinen Beitrag zum Verkehrskonzept jedoch nicht belegt. Als angestrebte Zielgröße für die luftverkehrstechnische Anbindung Berlins wird hier für das Jahr 2050 eine Zahl von 90 Millionen Passagieren pro Jahr angegeben, die „effizient und zeitgemäß“ abgewickelt werden solle. Die Flughafengesellschaft selbst hatte im Rahmen ihrer Masterplanung zur Erweiterung des BER eine Luftverkehrsprognose in Auftrag gegeben. Diese geht bis zum Jahr 2040 von einem Anstieg der Passagiere auf 55 Millionen pro Jahr aus, was auf einem angenommenen Wachstum des Billigflieger-Markts basiert (MieterEcho Nr. 385/ Mai 2018). Aus dem AfD-Konzept geht nicht hervor, ob es sich bei den 90 Millionen nun um eine fundierte Schätzung oder um eine Wunschvorstellung handelt. Ob diese Masse an Passagieren für die Stadt überhaupt wünschenswert wäre, ist eine andere Frage. Sie könne aber laut Konzept mit dem „Single-Airport Konzept des Berliner Senats samt Realisierung der bisher geplanten Ausbauten beim BER auf der Grundlage des Masterplans ohne den Weiterbetrieb Tegels und ohne eine dritte Startbahn“ nicht bewältigt werden. Was Hansel in seiner Analyse offenbar entgangen ist: Dass der Flugverkehr am Standort Schönefeld konzentriert werden soll, ist kein Konzept des Senats, sondern geht auf den Konsensbeschluss der drei Gesellschafter der Flughafengesellschaft – Berlin, Brandenburg und Bund – aus dem Jahr 1996 zurück. Ohne die beiden anderen Gesellschafter kann das Land Berlin keine maßgebliche Entscheidung zum Flughafensystem treffen. Ungeachtet dessen sieht das Verkehrskonzept vor, den Flughafen Tegel weiter in Betrieb zu halten und dort weiterhin die General Aviation – also die Allgemeine Luftfahrt – sowie den Regierungsflugbetrieb abzuwickeln. Dies ist beachtlich, denn die General Aviation schließt Charter- und Linienverkehre nicht ein, sondern nur bestimmte gewerbliche und private Flugbewegungen. Tegel soll also, wenn es nach dem Willen der AfD-Fraktion geht, keinesfalls für alle Passagiere erhalten bleiben, sondern nur für eine exklusive Gruppe. Dass die Errichtung des Regierungsflughafens in Schönefeld vertraglich zwischen der Flughafengesellschaft und der Bundesrepublik Deutschland geregelt ist, scheint die Fraktion nicht berücksichtigt zu haben. Ob hier das Abgeordnetenhaus oder der Senat eingreifen könnten ist fraglich. Für den künftigen BER sieht das Konzept die Errichtung einer dritten Start- und Landebahn vor. Diese solle allerdings so weit südlich gebaut werden, dass „die Lärmbelastung minimiert und ein 24-Stundenbetrieb ermöglicht wird“. Weiter heißt es, dass sie mit einer „spitzentechnologisch modernen leistungsfähigen schnellen Zubringer-infrastruktur für Passagiere und Fracht“ kombiniert werden soll. Wie so eine Infrastruktur aussehen soll, welche Kosten der Bau einer neuen Start- und Landebahn verursachen würde, wer für diese Kosten aufkommen soll und wo die startenden und landenden Flugzeuge parken, betankt und gewartet werden sollen, ist dem Konzept ebenfalls nicht zu entnehmen. Deutlich wird mit solchen dilettantisch zusammengestellten Konzepten jedoch, dass die AfD-Fraktion auch stadtpolitisch außer Parolen nichts zu bieten hat.


MieterEcho 398 / Oktober 2018