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MieterEcho 395 / Mai 2018

Vorkaufsrecht erfolgreich ausgeübt

Bezirk Tempelhof-Schöneberg schützt 18 Wohneinheiten und bremst Investoren aus – Mieter/innen müssen mehr Miete zahlen

Von Jutta Blume

Im Januar konnte der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ein Mietshaus vor dem Verkauf an einen kommerziellen Investor bewahren. Ohne das Engagement der Mieter/innen und ohne Öffentlichkeitsarbeit sowie Unterstützung einzelner Politiker/innen wäre dies nicht möglich gewesen.

„Hurra! Wir sind das erste Mietshaus im Berliner Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg, für das der Milieuschutz wirksam gegriffen hat“, ist auf der Website der Hausgemeinschaft Großgörschenstraße 8/ Neue Kulmer Straße 1 zu lesen. Das Mietshaus mit 18 Wohneinheiten war Ende November an die Luxemburger Firma „Albert Immo 6 S.a.r.L.“ verkauft worden (MieterEcho Nr. 393/ Februar 2018). Da zwischen dem Verkauf und dem Ablauf der Frist für die Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts die Weihnachtsfeiertage lagen, war die Zeit besonders knapp. „Wir haben extrem die Trommel geschlagen, insbesondere in Richtung Politik“, berichtet die Mieterin Dilek Gaygusuz. Einzelne Politiker/innen von Bündnis90/Die Grünen und der Partei Die Linke hätten ihr Anliegen tatkräftig unterstützt und die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land gedrängt, schnell eine Entscheidung zu treffen. Geld mussten die Mieter/innen allerdings drauflegen, da die Stadt und Land den Kauf sonst als unwirtschaftlich betrachtet hätte. Das heißt, die Mieter/innen haben gemeinsam freiwillige Mieterhöhungen ausgehandelt. „Wir haben versucht, die Mieten gerecht zu erhöhen“, so Gaygusuz, denn die Wohnungen hätten einen sehr unterschiedlichen Standard, manche würden noch mit Nachtspeicherheizungen beheizt. Bis zu 32% müssten einzelne Parteien nun mehr zahlen. Unter dem Mietspiegel seien die Mieten dennoch geblieben, da die meisten Verträge schon sehr lange Zeit bestünden.
Das Dilemma bestand darin, dass der von der Albert Immo 6 im Kaufvertrag vereinbarte Preis für das Haus einerseits zu hoch war, um es mit den bisherigen Mieten wirtschaftlich halten zu können, zum anderen aber nicht hoch genug, als dass der Bezirk stattdessen zum ermittelten Verkehrswert hätte kaufen können. Dies ist laut Baugesetzbuch erst möglich, wenn der Verkaufspreis den Verkehrswert „deutlich“ überschreitet. Ab wann genau eine deutliche Überschreitung vorliegt, darüber ist sich die Rechtsprechung allerdings nicht einig, die entsprechenden Urteile benennen zwischen 20 und 30%.

Schutz für weitere Mietshäuser gefordert

Obwohl die Schöneberger Mieter/innen mit dem Abschluss des Vorkaufs glücklich sind und Dankeskarten an ihre Unterstützer/innen verschickt haben, sind sie dennoch unzufrieden mit der Gesamtsituation in der Stadt. „Wie in unserem Fall ein einziges glückliches Haus in einem der größten Berliner Stadtbezirke mit über 300.000 Einwohnern durch Milieuschutz zu retten, das ist zweifelsohne löblich – aber es ist auch peinlich, weil es eben nur ein Haus ist. Denn es sollten Tausende Mietshäuser in Berlin sein, deren Bewohner mit wirksamen gesetzlichen Vorschriften und Instrumenten vor Vertreibung geschützt werden!“ Damit künftig weitere Häuser den Verwertungsinteressen von Immobilienunternehmen vorbeugen können, will die Hausgemeinschaft ihr im Zuge des Verkaufs gewonnenes Wissen teilen und auch zu einer besseren Vernetzung im Bezirk beitragen. Mieterin Gaygusuz betont dabei, „wie wichtig es ist, als Mieter an einem Strang zu ziehen“.
Für zahlreiche Mieter/innen geht es nicht ganz so günstig aus wie in der Großgörschenstraße 8/ Neue Kulmer Straße 1. In Tempelhof-Schöneberg wurden in den letzten Monaten zwei Abwendungsvereinbarungen geschlossen, im Februar für die Grunewaldstraße 27 und im März für die Crellestraße 12. Mit der Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung verpflichten sich die Investoren, die Milieuschutzauflagen einzuhalten und können damit den Vorkauf durch die Bezirke in Milieuschutzgebieten abwenden. In Neukölln konnte für die Braunschweiger Straße 51, die ebenfalls an die Albert Immo 6 S.a.r.L. verkauft worden war, auch eine Abwendungsvereinbarung erzielt werden.

Weitere Informationen:

http://www.gg8-nk1.de


MieterEcho 395 / Mai 2018

Schlüsselbegriffe: Berlin, Tempelhof-Schöneberg, Tempelhof, Schöneberg, Vorkaufsrecht, Milieuschutz, Abwendungsvereinbarung, Baugesetz, Hausgemeinschaft