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MieterEcho 395 / Mai 2018

Kein Nadelöhr für Fluggastaufkommen

Auch wenn Billigfliegermarkt und Passagiermassen weiter wachsen, bleibt die Kapazitätsfrage des BER eine Scheindebatte

Von Benedict Ugarte Chacón

Die Zahl der Menschen, die mit dem Flugzeug nach Berlin anreisen, wird in den nächsten zwei Jahrzehnten rapide ansteigen. Davon geht eine Luftverkehrsprognose aus, die im Auftrag der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH erstellt wurde. Die Flughafengesellschaft will dieser Entwicklung mit einem Ausbau des künftigen Flughafens Berlin Brandenburg (BER) und dem „Masterplan 2040“ begegnen. Kritiker/innen behaupten, der BER sei bei seiner im Jahr 2020 vorgesehenen Inbetriebnahme zu klein, um die erwarteten Passagiermassen zu bewältigen. Deswegen müsse der Flughafen Tegel offen gehalten werden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine auf einer fachlichen Basis geführte Debatte, sondern um eine insbesondere von der Berliner FDP angezettelte PR-Kampagne in eigener Sache.

Die damalige Landesvorsitzende der Berliner FDP Sibylle Meister erklärte im Zusammenhang mit dem Volksentscheid „Berlin braucht Tegel“ 2017, dass der BER „schon bei der Eröffnung zu klein“ sein würde. Der Flughafen Tegel böte „hier die notwendige ergänzende Kapazität, um auch bei weiter steigender Attraktivität des Reiseziels Berlin zur Bewältigung des Fluggastaufkommens beizutragen“. Diese Argumentation zog sich durch die gesamte Kampagne der FDP für ihren Tegel-Volksentscheid, der auch von Ryanair unterstützt wurde. Neuerdings sollen auch in Brandenburg Unterschriften für die Offenhaltung Tegels gesammelt werden. Allerdings haben die FDP und ihr als „Tegelretter“ auftretender Fraktionsvorsitzender Sebastian Czaja ihre Behauptungen zur Kapazitätsfrage des BER nie mit einer fundierten Untersuchung oder Prognose unterlegt.
Der einzige Akteur, der dies bislang vermochte, war die Flughafengesellschaft selbst. Hierzu beauftragte sie das weltweit tätige Beratungsunternehmen Steer Davies Gleave (SDG). Der im Juli letzten Jahres erstellten Luftverkehrsprognose ist zu entnehmen, dass die Zahl der Passagiere an den Berliner Flughäfen in den letzten zwanzig Jahren enorm anstieg. Waren es im Jahr 1995 noch 10,8 Millionen Passagiere, betrugt die Zahl bereits 17,1 Millionen in 2005 und 29,5 Millionen in 2015. Im Jahr 2016 war ihre Zahl auf 32,9 Millionen gestiegen. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern ist der Anteil der sogenannten Low Cost Carrier (LCC) – also der „Billigflieger“ – in Deutschland relativ gering. Laut SDG waren im Jahr 2016 lediglich 27% aller gebuchten Sitze solche von Billigairlines. In Italien betrug der Anteil 47% und im vereinigten Königreich 49%. In ihrer Prognose gehen die Gutachter/innen davon aus, dass sich die Zahl der Passagiere im Jahr 2020 bereits bei rund 38 Millionen bewegen und bis zum Jahr 2040 bis zu einer Höhe von rund 55 Millionen ansteigen wird. Der „zentrale Treiber“ seien dabei die LCC-Fluggesellschaften. Darauf, dass die Passagierzahlen stetig steigen, verweist auch die von der Flughafengesellschaft veröffentlichte Verkehrsstatistik. Wie unlängst bekannt gegeben wurde, flogen im Jahr 2017 rund 33 Millionen Passagiere von den Flughäfen Tegel und Schönefeld ab, was eine leichte Steigerung zum Jahr 2016 bedeutet. Schönefeld bediente dabei 12,8 Millionen, Tegel 20,4 Millionen Passagiere. Dabei war die Zahl der Passagiere auf innerdeutschen Strecken mit rund 8,2 Millionen deutlich geringer als die auf internationalen Strecken mit rund 24,5 Millionen. In den Monaten Januar und Februar 2018 lag die Zahl der Passagiere der Flughäfen Schönefeld und Tegel mit rund 4,2 Millionen 8,8% unter der Passagierzahl vom Vorjahr. Auch die Zahl der Flugbewegungen sank in den ersten beiden Monaten des Jahres um 8,2% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Ausbau hat bereits begonnen

Was die FDP in ihrer Tegel-Kampagne als skandalisierbare Neuigkeit zu verkaufen versuchte, ist keinesfalls eine neue Entwicklung. Dass die Kapazitäten am künftigen BER in seiner ursprünglich errichteten Struktur nicht ausreichend sein werden, ist eine lange bekannte Problemstellung. Bereits im Verlauf des Jahres 2016 begann die Flughafengesellschaft mit der Konkretisierung eines Ausbauprogramms, mit welchem dem Anstieg der Passagierzahlen künftig begegnet werden soll. Es ist demnach bei Weitem nicht so, dass die Erweiterungsvorhaben der Flughafengesellschaft im Zusammenhang mit der von der FDP angezettelten „Tegel-Debatte“ stehen – auch wenn deren Vertreter dies immer wieder suggerieren wollen. Die Ausbauplanung sieht vor, dass der bestehende Flughafen Schönefeld in den nächsten Jahren eine Zeit lang weiter parallel zum BER betrieben werden soll. Neben diesem „Double-Roof-Betrieb“ soll der BER schrittweise erweitert werden. Mit diesen Maßnahmen soll die Abfertigung der bis zum Jahr 2023 erwarteten 40 Millionen Passagiere gelingen. Im bestehenden Flughafen Schönefeld wurde bereits das Terminal B vergrößert und die Infrastruktur angepasst. Auch wurde ein komplett neues Ankunftsterminal errichtet, welches schon im Winter 2016 in Betrieb ging. Als längerfristige Perspektive beabsichtigt die Flughafengesellschaft die schrittweise Erweiterung des BER nach dem „Masterplan 2040“. In dessen Phase 01 soll am BER ein zusätzliches Terminal – das „T1-E“ – an den bereits bestehenden Pier Nord angebaut werden. Der Pier Nord wiederum soll verlängert werden. Diese Maßnahmen sollen bis 2021 abgeschlossen sein und dazu führen, dass der BER dann bereits eine Kapazität von 33 Millionen Passagieren pro Jahr bedienen kann. Hinzu kommen die Kapazitäten des parallel betriebenen alten Flughafens Schönefeld.

Abgetauchte FDP-Experten

Man mag zum BER nun stehen wie man will – die Kapazitätenfrage, die von den Tegel-Befürworter/innen ins Spiel gebracht wurde, hat sich mit dem begonnenen Ausbau jedoch bereits erledigt. Dabei ist genau diese Frage für die Argumentation pro Tegel essentiell. Denn aus rechtlicher Sicht kann der Flughafen Tegel, wenn überhaupt, nur offen gehalten werden, wenn sich nachweisen ließe, dass der BER nach seiner Inbetriebnahme an seine Kapazitätsgrenze stoßen würde. Dann nämlich könnten, so heißt es in einem Gutachten des ehemaligen vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht Stefan Paetow, das dieser im Auftrag des Senats erstellte, „gewichtige abwägungsrechtliche Belange“ vorliegen, nach denen eine Offenhaltung Tegels theoretisch möglich wäre. Für Paetow gilt hier der zwischen Berlin und Brandenburg vereinbarte Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) als die entscheidende Rechtsnorm. Eine einvernehmlich zwischen den beiden Ländern vorgenommene Änderung des LEP FS mit dem Ziel, Tegel weiter zu betreiben, könnte nur rechtsfehlerfrei gelingen, wenn nach der Inbetriebnahme des BER bestehende „gravierende Kapazitätsengpässe“ nicht durch „ausreichende und zeitgerechte Erweiterungsmaßnahmen beseitigt werden könnten“. Gleiches gelte für die Aufhebung der bereits vor Jahren erfolgten Beschlüsse zum Widerruf der Betriebsgenehmigung von Tegel sowie zur „fiktiven Planfeststellung“ des Flughafens. Beide könnten nur im Fall „gravierender und dauerhafter Kapazitätsengpässe“ des BER rechtsfehlerfrei aufgehoben werden. Laut Paetow-Gutachten ließe sich sagen, dass wenn die Argumente zuträfen, dass der BER sich nach seiner Inbetriebnahme als zu klein erweise, „gewichtige abwägungsrechtliche Belange“ vorlägen. Mit diesen Belangen könnte ein weiterer Flughafen zwar betrieben werden, dass es sich dabei zwangsläufig um den innerstädtisch gelegenen Flughafen Tegel handeln muss, ist aber nicht gesagt. Sollten die Annahmen der Flughafengesellschaft, die diese im Zusammenhang mit dem „Masterplan 2040“ getroffen hat, sich als im Wesentlichen zutreffend erweisen, entfiele laut Paetow damit „das zentrale Argument für eine Änderung des LEP FS“. Eine Änderung wäre dann „abwägungsfehlerhaft und deshalb rechtswidrig“.
Wie die Tegel-Befürworter/innen dieser Argumentation entgegentreten wollen, ist bislang unklar. Bereits im August letzten Jahres hatte Czaja eine „Expertenkommission“ – unter anderem mit dem vorgeblichen Luftfahrtexperten und ehemaligen SPD-Politiker Wolfgang Clement – ins Leben gerufen. Die Kommission sollte einen Weiterbetrieb des Flughafens Tegel prüfen und vorbereiten. Czaja sagte damals: „Eine aufrichtige Debatte mit ehrlichen Zahlen. Das ist uns wichtig. Darum kümmern wir uns.“ Bis zum Redaktionsschluss hatten Czajas Experten allerdings keine fundierten Zahlen vorgelegt. Sie beließen es bei einem Gutachten mit der dürftigen Aussage, dass der Senat den FDP-Volksentscheid umzusetzen habe. 


MieterEcho 395 / Mai 2018

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