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MieterEcho 393 / Februar 2018

Kein guter Nachbar

In Kreuzberg 36 kämpft eine ungewöhnliche Allianz gegen den geplanten Einzug von Google

Von Ralf Hutter

Schon in den 1980er Jahren war West-Berlin über Deutschlands Grenzen hinaus für seine Widerborstigkeit bekannt. Zurzeit ist Kreuzberg diesbezüglich mal wieder in den Schlagzeilen. Zwischen Görlitzer Park und Landwehrkanal wurde der Kampf gegen einen der mächtigsten und bedrohlichsten Konzerne der Welt aufgenommen. Ein Konzern, der einen wahrscheinlich einzigartigen Datenschatz über das Verhalten vieler Millionen Menschen immer stärker zu Geld macht, der den städtischen Raum immer besser überwachen will, der an der körperlichen Verknüpfung von Mensch und Computer arbeitet und der einerseits seine Produkte gelegentlich in Abstimmung mit Regierungen gestaltet, andererseits aber seine Macht zur Steuervermeidung ausnutzt. Google will sein Netz nun auch in Kreuzberg auswerfen, stößt dort aber auf Widerstand.


Eine Kundgebung in Kreuzberg am 18. Dezember 2017. Ein Kurzvortrag mit einer auf eine Mauer projizierten Bildschirmpräsentation über Entwicklungen in San Francisco wird gehalten, gefolgt von einer Videobotschaft eines Aktivisten aus dem kanadischen Toronto. Trotz der Kälte sind 200 Menschen da. Es geht gegen einen der größten, wenn nicht sogar den größten globalen Datenkraken. „Google ist kein guter Nachbar“, lautet die Überschrift zur Kundgebung. „Fuck off, Google!“ steht auf einem der an Häusern angebrachten Transparente und auf einigen der von den Protestierenden getragenen Schilder. Es ist auch eine der wenigen Parolen, die hier gerufen werden. Der Protest findet vor dem ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße statt, gleich an der Landwehrkanalbrücke nach Neukölln. Hier soll eine Einrichtung einziehen, von der Google behauptet, dass da kaum Google drinstecke, die aber Teil des Beutezugs eines Konzerns ist, der seinen globalen Online-Durchmarsch mit Offline-Aktivitäten ergänzen muss.

 

Ort zur Konzentration von Start-ups

Es geht um einen sogenannten Google-Campus. Das Konzept: Google will Leute mit Geschäftsideen oder mit eigenen kleinen Firmen im Bereich internetbasierter Dienstleistungen anlocken und an einem Ort konzentrieren. Der Hintergrund: Datenbasierte Geschäftsmodelle funktionieren umso besser, je größer die Datengrundlage ist. Also sind die entsprechenden Konzerne darauf aus, ihre Produktpalette ständig zu erweitern. Dafür kaufen sie Start-ups, diese meistens von jüngeren Leuten gegründeten Firmen, die Fremdkapital brauchen und normalerweise von einem Konzern aufgekauft werden wollen. Da ist es im Interesse beider Seiten, wenn der Konzern einen Ort schafft, wo er solche Firmengründungen unterstützt und im Blick behalten kann. In London, Madrid, Warschau, São Paulo, Tel Aviv und Seoul hat Google bereits solche Orte geschaffen. Die kleinen Start-ups können dort Schreibtische mieten. Wer das Interesse des „großen Bruders“ Google weckt, darf in einem privilegierten Bereich des Gebäudes arbeiten und wird zu exklusiven Veranstaltungen eingeladen.

Der Protest gegen den bereits im November 2016 verkündeten Plan, in Kreuzberg auf 2.400 Quadratmetern eine solche Einrichtung zu eröffnen, speist sich aus der Angst vor Verdrängung von Wohnbevölkerung und Gewerbetreibenden. In London ist einem Bericht der Wochenzeitung „Jungle World“ zufolge genau das im Umfeld des Google-Campus geschehen. „Ich habe eine empirisch fundierte Idee davon, was hier passieren wird, wenn Google sich ansiedelt“, sagt Anna Steigemann. Sie ist promovierte Stadtsoziologin an der Technischen Universität und als Anwohnerin zur Protestkundgebung gekommen. Steigemann hat sowohl in Berlin als auch in New York zur Verdrängung von Gewerbe und Wohnbevölkerung geforscht. „Für die kleinen Gewerbe der Umgebung hat es nur negative Folgen“, prophezeit sie. „Insbesondere die Start-ups, die nicht im Google-Campus unterkommen, werden sich in der Umgebung ansiedeln wollen, weil ja der Austausch in diesem Gebäude stattfinden wird. Zudem werden Leute, die bisher keinen Fuß nach Kreuzberg gesetzt haben, wegen Google kommen. Sie werden feststellen, wie schön es hier ist, und sich hier einkaufen. In der Regel haben sie mehr Mittel zur Verfügung als die Alteingesessenen. Das ist Google durchaus bewusst, genauso wie es Zalando auf der Cuvrybrache bewusst ist. Die wollen mit dem Mythos Kreuzberg ihre Firmen aufhübschen, werden uns aber im Endeffekt durch die Mietsteigerungsprozesse rausschmeißen.“

 

Ein Konzern mit vielen üblen Seiten

Google wird aber auch wegen seiner Machtfülle und Skrupellosigkeit abgelehnt. Die „Google-Implementierung ins Gehirn“ sei „kein Hirngespinst“. Dass Google schon nach etwas suchen kann, an das eine Person gerade erst gedacht hat, sei langfristig realistisch. Die Google-Firmenchefs sagen offen, dass sie die totale Technologisierung und Bündelung des Weltwissens wollen, wobei die Verbindung zwischen Mensch und Maschine von Google hergestellt werden soll. Diesen Ausblick skizzierte jemand vom „Anti-Google-Café“ am 1. November im von Verdrängung bedrohten Gewerbehof Lausitzer Straße 10. Das „Anti-Google-Café“ ist ein informelles Treffen jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat in der anarchistischen Bibliothek „Kalabalik“ in der Reichenbergerstraße 63, um die Ecke vom geplanten Google-Standort. Aus der anarchistischen Richtung kam auch der erste sichtbare Protest nach Bekanntwerden der Expansionspläne von Google in Kreuzberg. Seit dem vergangenen Winter gab es immer wieder in der Umgebung Plakate und Sprühereien gegen Google und die technologische Perfektion der Herrschaft.

Zum „Anti-Google-Café“ kommen mittlerweile auch Leute aus der Hackerszene, weswegen dort nur Englisch geredet wird. Auch der 32-jährige Jack Perkins, ein Informatiker aus San Francisco, der 2016 nach Berlin gezogen war, ist zu mindestens einem Treffen gegangen. Er hat erlebt, wie in und um San Francisco herum wegen der Schwemme von IT-Leuten alles teurer wurde. Zudem hat er mitverfolgt, welchen Einfluss die Internetkonzerne auf die Rathäuser in vielen Städten der USA haben, die ihnen Steuern erlassen, um sie anzusiedeln. Seine Lehre daraus: „Es ist wichtig, ‚Nein zu Google‘ zu sagen und nicht nur ‚Nein zu Google in Kreuzberg‘. Diese Firmen wirken sich in einem erschreckend großen Radius aus.“

Der in den Kreuzberger Protest involvierte Hacker Sergej Schmidt* hat vor Jahren viel Lobbyarbeit auf EU-Ebene für Datenschutz und sogenannte Freie Software gemacht und bezeichnet sich gegenüber dem MieterEcho als „Anti-Google-Person“. Seit zehn Jahren sei er immer wieder in Berlin, sagt er, und ähnlich lang beschäftige er sich kritisch mit Google. Bereits bevor er 2015 nach Berlin zog, hatte er die Verdrängungsprozesse in der Stadt wahrgenommen. Seine Hauptkritik richtet sich aber gegen Google an sich: „Die Snowden-Enthüllungen haben es unleugbar gemacht, dass Google Teil des Massenüberwachungsapparats ist.“ Mehr noch: Google sei „ein Symbol für fast alles, was in der Welt falsch läuft“. Schmidt bezieht sich etwa auf Googles Zensur von Internetinhalten zu politischen oder kommerziellen Zwecken, Steuervermeidung und das erst im Juni 2017 verkaufte ehemalige Tochterunternehmen Boston Dynamics, das Kampfroboter für das Militär herstellt. Eine Bündelung der Google-Kritik gibt es neuerdings unter www.fuckoffgoogle.de.

Über den Google-Campus hat Schmidt mit über einem Dutzend Berliner Hacker gesprochen, berichtet er, und festgestellt: „Keiner hatte davon gehört, aber alle waren sofort dagegen.“ So ergibt sich nun eine Allianz von Leuten aus dem IT-Bereich mit welchen aus der anarchistischen Szene und erfahrenen Nachbarschaftsinitiativen wie GloReiche und Bizim Kiez. „Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, der Google rauswirft, dann Kreuzberg“, meint Schmidt. „Andere Orte könnten folgen.“

Im kanadischen Toronto darf Google in einem Smart-City-Pilotprojekt die Infrastruktur eines ganzen Stadtviertels digitalisieren und Nordamerikas größtes unentwickeltes Ufergelände gestalten, wie ein Vertreter der dortigen Protestbewegung in seiner Videobotschaft bei der Kundgebung sagte. „Wir freuen uns sehr, von eurer Arbeit zu hören“, lobte er die Kreuzberger Initiativen. Auch zu Leuten im kalifornischen San José, wo Google sich groß ansiedeln will, soll es nun eine Verbindung geben. Der globale Kampf gegen den globalen Datenkraken wird also auch außerhalb des Internets immer sichtbarer.


* Name geändert

 

 


MieterEcho 393 / Februar 2018

Schlüsselbegriffe: Kein guter Nachbar, Google-Campus, Umspannwerk, Ohlauer Straße, Start-ups, datenbasierte Geschäftsmodelle, Mietsteigerungen, Anti-Google-Café, Internetkonzerne, Massenüberwachungsapparat