In welcher Stadt wollen wir leben?
Euref-Campus als Modellstadt der Zukunft?
Von Christine Scherzinger
Fernab von der Nachbarschaft, hinter Zäunen und mit Kameras versehen, entsteht in Schöneberg eine Modellstadt der Zukunft: Der Euref-Campus. Unter dubiosen Bedingungen und ohne die Belange der Nachbarschaft zu berücksichtigen, entstand innerhalb von 10 Jahren ein hochverdichtetes Areal. Der Investor Reinhard Müller ignorierte bezirkliche Auflagen, unter anderem die Sanierung des Industriedenkmals sowie den notwendigen Bau einer Erschließungsstraße. Und dennoch hat er Großes vor: Er verfolgt das Ziel, ein weltweit führendes Beispiel für eine hoch entwickelte Smart-City zu werden und wirbt auf seiner Website damit, die Klimaziele für das Jahr 2050 bereits erreicht zu haben.
Das mit Sensoren, neuen Energieträgern und selbstfahrenden E-Fahrzeugen ausgestattete Gebiet soll vorwiegend einem Fachpublikum zeigen, welche Innovationen für eine zukünftige smarte Stadt entscheidend sind. Durch eine permanente Interaktion zwischen der Technologie und den Nutzer/innen, werden die Menschen als ein Teil der technischen Infrastruktur gesehen. Drei Studiengänge einer öffentlichen Universität bilden Nachwuchsmanager/innen für die neuen Aufgaben der zukünftigen Stadt aus. Betreffend der pro Semester anfallenden 5.000 Euro Semestergebühren können, wenn Motivation und Leistungen nachgewiesen werden, private Stipendienprogramme, finanziert von den Unternehmen vor Ort, für einen angeblichen sozialen Ausgleich sorgen. Weitere privat-öffentliche Kooperationen und zahlreiche mit Risikokapital ausgestattete Start-ups basteln an einer möglichen Stadtzukunft. Die Mitarbeiter/innen in Start-ups sind die neuen Kreativen der unternehmerischen Stadt geworden. Sie sorgen durch ihr Knowhow für meist technologiebasierte Innovationen, um im harten Städtewettbewerb bestehen zu können. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft hat den Euref-Campus mittlerweile als Referenzstandort für die im Jahr 2015 entstandene Smart-City-Strategie Berlins ernannt. Das Konzept der intelligenten Stadt würde sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten und eine nachhaltige Stadtentwicklung zum Ziel haben, so die Senatsverwaltung.
Digitale Zukunft von unten
Diese Darstellungsweisen erinnern an die Diskussion um Smart-Citys, die als Planungsidee entstanden sind. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Masdar City in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In einem Top-Down-Projekt wurde die CO2-neutrale Ökostadt kreiert. Heute lebt in der Stadt nur noch die Upper Class. Die anderen Menschen können sich das Leben dort nicht leisten. Die positive Energie-Bilanz bezieht sich nur auf das unmittelbare Areal der Stadt. Die Pendlerströme und die Verkehrsbelastungen, die durch Menschen entstehen, die dort zwar nicht leben können, aber dort arbeiten, fließen in diese Rechnung nicht ein. Aber sieht so unsere Stadt der Zukunft aus? Wollen wir in einer Stadt leben, in der noch mehr die privaten Unternehmen und ihre Vorstellung von Menschen als Konsumenten die Führung übernehmen? Wollen wir eine Politik, die kritiklos diese Konzepte übernimmt oder sie sogar befördert? Auch wenn Technologie zur Verbesserung der städtischen Infrastruktur ein wesentliches Instrument sein kann, fließen bei den dargestellten Prozessen, bei diesem Smart-City-Konzept und beim Euref-Campus die Bürgerperspektiven nicht mit ein. In einer wachsenden Stadt und mit schwindenden Ressourcen werden sowohl Verteilungsfragen als auch sozialräumliche Perspektiven immer wichtiger. Nachdem in der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft meist technokratische und wirtschaftliche Vorstellungen einer smarten Stadt vorherrschten, werden in der Zivilgesellschaft immer mehr Forderungen laut, die digitale Zukunft jetzt von unten zu gestalten (Google Campus verhindern, Netzpolitik, City Lab). Diese Initiativen haben schon jetzt zahlreiche Ideen, wie eine Zukunft der Stadt aussehen kann und wie die Gesellschaft in demokratische Prozesse einer alternativ ausgestalteten Smart-City integriert werden könnte. Auch aus anderen Städten gibt es positive Beispiele. Barcelona macht es vor, wie es gehen könnte. Der Smart-City-Ansatz dieser Stadt wurde unter anderem mit den Bürger/innen entwickelt. Die Ressourcen und Daten werden für die Entwicklung der Kommunen eingesetzt. Technik wird hier wieder Mittel zum Zweck für die Menschen. Das Projekt Stadt wird als Gemeinschaftsprojekt verstanden und nicht als ein Projekt von privaten Unternehmen, fernab von jeglicher Nachbarschaft.
Die Stadtgeographin Dr. Christine Scherzinger arbeitet u.a. als Lehrbeauftrage an der FU Berlin. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Auswirkungen der Digitalisierung in Städten, veränderte Arbeitsmärkte, linke Stadtpolitik und kritische Stadtführungen. Ihre Dissertation erschien im Transcript-Verlag Berlin: „Visionen einer zukünftigen Urbanität. Über Kunst, Kreativität und alternative Stadtgestaltung“. Website: http://c-scherzinger.de
Der Begriff „Smart City“ ist nicht einheitlich definiert. Meist ist er ein Sammelbegriff für technologiebasierte Entwicklungskonzepte, um Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, nachhaltiger, ökologischer und sozial inklusiver zu gestalten. Die Nutzung digitaler Technologien soll bei der Bewältigung von Umweltverschmutzung, Verkehrsproblemen, demographischem Wandel, Bevölkerungswachstum oder Ressourcenknappheit helfen. Kritik an Smart City bezieht sich unter anderem auf übertriebene Technikgläubigkeit, auf Kommerzialisierung, weil Städte als Marktplätze für Technologieanwendungen begriffen werden, auf die Ausweitung der Überwachung durch Kameras und Sensoren und ihres potenziellen Missbrauchs oder darauf, dass die Technologien selbst im Vordergrund stehen und nicht die Stadtbevölkerung.
MieterEcho 398 / Oktober 2018
Schlüsselbegriffe: Euref-Campus,Smart City,