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MieterEcho 396 / Juni 2018

In der Partizipationsfalle

Schneller Bauen durch mehr Bürgerbeteiligung?

Von Joachim Maiworm

Die Angebotsmieten in Berlin schießen zwar weiter durch die Decke, aber erfreulicherweise wurde so viel gebaut wie seit Ende der 1990er Jahre nicht mehr. So zumindest lautet der Tenor des Anfang Mai veröffentlichten Wohnungsmarktberichts der Investitionsbank Berlin. Etwas in den Hintergrund geriet dabei, dass der Neubau angesichts des anhaltenden Zuzugs bei Weitem nicht ausreicht, um den Bedarf an Wohnraum für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zu decken. Ein Grund für die Misere wird von verschiedenen Seiten in einer ausufernden Bürgerbeteiligung gesehen, die den Neubau dringend benötigter Wohnungen verzögert oder gar verhindert. Deshalb steht Katrin Lompscher (Die Linke) als zuständige Senatorin im Fokus der Kritik, denn sie gilt als entschiedene Förderin der Partizipation in der Stadtentwicklung.


Nach Angaben des Tagesspiegels warnte jüngst Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU, davor, „den Wohnungsbau zu Tode zu partizipieren“. Ins gleiche Horn blies die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, die bei ihrer Klausurtagung im Januar die Senatorin indirekt für eine störende „Partizipation in Endlosschleife“ verantwortlich machte. In Erinnerung ist auch der sogenannte Brandbrief der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, in dem diese im letzten September gegen überzogene Formen der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Umsetzung von Neubauvorhaben deutlich Stellung bezogen. Eine ungewöhnliche Intervention schon deshalb, weil diese Unternehmen laut Koalitionsvereinbarung „in Vorbildfunktion“ zu einer „umfassenden Beteiligung“ der Anwohner/innen bei Bauprojekten verpflichtet sind. Offensichtlich sahen sich die öffentlichen Wohnungsunternehmen nicht mehr in der Lage, schnell und problemlos zu bauen, um ihre vertraglichen Aufgaben erfüllen zu können. Während auf die Senatorin die Kritik niederprasselt, wendet sie sich bei allen Gelegenheiten weitgehend gelassen gegen den Einwand, Partizipation verzögere den Wohnungsbau. Sie verweist im Gegenteil darauf, dass eine frühzeitige Beteiligung von Anwohner/innen und anderen Betroffenen im Ergebnis sogar zu einer Beschleunigung von Neubaumaßnahmen führe, da dies die nötige Akzeptanz der Bevölkerung fördere.
Lompscher kann sich dabei auf die Koalitionsvereinbarung berufen, die der Partizipation große Bedeutung zumisst. Der Senat spult deshalb ein umfangreiches Programm ab, um auch jenseits der rechtlich vorgeschriebenen formellen Beteiligung die an Partizipation Interessierten in seine Vorhaben einzubinden. Im April 2017 etwa beschloss die Berliner Regierung die Erarbeitung von Leitlinien für Bürgerbeteiligung bei der Stadtentwicklung. Dabei sollen zunächst die Regeln für die Durchführung der Beteiligung geklärt werden, also wann und wie zukünftig über Projekte informiert werden muss und wie man sich in die Beteiligungsprozesse einbringen kann. Dafür wurde ein 24-köpfiges Gremium aus Bürger/innen sowie Vertreter/innen von Politik und Verwaltung geschaffen, das dem Senat und Abgeordnetenhaus bis zum Herbst 2018 Ergebnisse vorlegen soll.
Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen verabschiedeten im Dezember des vergangenen Jahres zusammen mit dem Senat und der „Humboldt-Viadrina Governance Platform“ eigene Leitlinien zur Bürgerbeteiligung – mit Blick auf die zuvor gegenüber dem Senat geäußerte Kritik wohl nicht ganz freiwillig. Auch hier war der Anspruch, klare Beteiligungsgrundsätze festzulegen. So werden nunmehr Bauprojekte frühzeitig nach vier verschiedenen Beteiligungsstufen – Information, Konsultation, Mitgestaltung, Mitentscheidung – eingeordnet. Deutlich sind aber die Grenzen der Mitsprache. Nicht für jedes Bauvorhaben gilt jede Partizipationsstufe. Denn in keinem Fall soll an dem Grundsatz gerüttelt werden dürfen, dass es nicht um das „Ob“, sondern nur um das „Wie“ des Bauens bzw. der Quartiersentwicklung geht. Sicherlich eine Reaktion darauf, dass in der jüngeren Vergangenheit die Bebauung der Elisabeth-Aue in Pankow mit etwa 5.000 Wohnungen am Widerstand der Anwohnerschaft scheiterte. Um solche Szenarien in Zukunft zu vermeiden, investiert der Senat viel Geld und engagiert Kommunikationsagenturen, die einen aufwendigen Vermittlungsprozess zwischen Politik bzw. Verwaltung und Bevölkerung organisieren. Da noch keine stadtweit gültigen Leitlinien für die Bürgerbeteiligung im Bereich Neubau gelten und nicht nur die landeseigenen Gesellschaften als Bauträger zum Zug kommen, werden auch projektspezifisch „Dialoge“ mit der lokalen Bevölkerung über die Art und Weise ihrer Beteiligung geführt.

Partizipation als Farce

Anders als im Fall der Elisabeth-Aue gingen Senat und Bezirk beim derzeit größten  Wohnungsbauvorhaben in Berlin, dem Blankenburger Süden, aktiv und frühzeitig auf die Bewohner/innen zu. Bei einer Informationsveranstaltung Anfang März 2017 teilte die Bauverwaltung des Senats mit, dass ab 2025 auf den 70 Hektar der einstigen Rieselfelder zwischen Blankenburg und Heinersdorf etwa 5.000 neue Wohnungen – hauptsächlich von städtischen Gesellschaften – errichtet werden sollen. Ein Jahr später aber wurde plötzlich eine Planungsvariante vorgestellt, die bis zu 10.600 Wohnungen für 20.000 Bewohner/innen auf einer Fläche von 420 Hektar vorsieht. Vorgesehen sei eine „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts“ mit viel Grün, aber auch „einer gewissen Dichte“. Auf die Anzahl der Geschosse wollte sich die Bauverwaltung nicht festlegen, schließlich sei man ja noch mit den Menschen im Dialog.
Der Tagesspiegel zeigte sich am 5. März überrascht darüber, „mit welcher Chuzpe Berlins Stadtentwicklungssenatorin Karin Lompscher (Linkspartei) den ersten Praxistest für ihr selbst ersonnenes Partizipationsmodell gegen die Wand fährt“. Und wunderte sich angesichts der plötzlichen Verdoppelung des Bauvorhabens nicht über den Frust bei den Anwohner/innen. Ein Jahr lang hatten die Beteiligten (Senat, Verwaltung, Bevölkerung) unter professioneller Moderation die Spielregeln der Beteiligung besprochen, jedoch hielt sich der Senat als Initiator des Verfahrens selbst nicht daran. Anwohner/innen zeigten sich schockiert und kündigten Widerstand an. Der Versuch, die Bürger/innen durch die breit angelegte Partizipation zum Mitmachen zu animieren und auf diese Weise zu Kooperationspartnern zu machen, endete vorerst in einem kommunikativen und politischen Desaster.
Der Fall Blankenburg-Süd verweist auf höchst problematische Aspekte der Partizipation. Um im Vorfeld von Bauvorhaben Konflikte zu entschärfen, werden Beteiligungsverfahren installiert, die mehr Gestaltungsspielräume suggerieren als tatsächlich politisch zugestanden werden können. Machen Anwohner/innen diese Erfahrung und werden sie wie in Pankow hinters Licht geführt, kollabiert die Illusion von Mitbestimmung und die Neigung zu einem autoritären Politikverständnis wächst.

Wohnungssuchende bleiben ausgegrenzt

Die Verengung der Bürgerbeteiligung auf die Anwohnenden grenzt zudem die Wohnungssuchenden sowie zukünftige Nutzer/innen des neu zu erschließenden Raums aus. Sie sind kollektiv kaum organisierbar und erhalten individuell keinen Zugang zur Partizipation. Ihre Interessen und Bedürfnisse können allenfalls über Mietervereine oder andere Gruppen vertreten werden. Undenkbar erscheint es beispielsweise, dass eine Initiative für mehr Wohnungsbau an einem bestimmten Standort auftreten und ihre Interessen durchsetzen könnte. In Beteiligungsverfahren wie in Blankenburg sollten deshalb die Verwaltung und besonders die Stadtentwicklungssenatorin die Interessen der Wohnungssuchenden mit Nachdruck vertreten. Zu erwarten wäre zum Beispiel, dass sie das für die Kernfläche vorgesehene Gartenstadt-Konzept offensiv bewerben. Aber auch bei der öffentlichen Veranstaltung am 3. März in Buch vor 700 Anwesenden vermieden es die Verantwortlichen aus der Bauverwaltung, auf die städtebaulichen und ökologischen Vorzüge einer mehrgeschossigen Bauweise in einem Quartier „der kurzen Wege“ überhaupt näher einzugehen.
Partizipation ersetzt keinen Wohnungsbau. Die breite und von vielen Beteiligungsformaten geprägte Diskussion über Bürgerbeteiligung legt es daher nahe, dass hier von den eigentlichen Ursachen der Wohnungsnot abgelenkt wird. Da 90% des Wohnungsbaus in privater Hand liegen, muss eine Regierung, die es mit dem Recht auf Wohnen auch nur ansatzweise ernst meint, die öffentliche Hand bei der Schaffung bezahlbaren Wohnraums massiv stärken – konfliktbereit und ohne Tricks auch gegen Partikularinteressen der Mittelschichten.


MieterEcho 396 / Juni 2018

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