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MieterEcho 397 / August 2018

Heißer Sommer, heißerer Herbst

Stadtpolitische Bewegung wehrt sich gegen den geplanten Google Campus

Von TOP B3rlin

„Es gibt nichts zu verhandeln und wir lassen uns nicht spalten!“, so heißt es in einer Pressemitteilung, die Ende Juli von stadtpolitischen Initiativen und Anwohner/innen des ehemaligen Umspannwerks in der Ohlauer Straße veröffentlicht wurde. Sie wehren sich seit Monaten gegen Googles Pläne, in Kreuzberg einen weiteren sogenannten Campus zu eröffnen – den siebten weltweit nach London, Tel Aviv, Madrid, Seoul, Warschau und São Paulo.


Die Erklärung der Aktivist/innen verstand sich als Reaktion auf die Gesprächsbereitschaft, die Googles Pressesprecher Ralf Bremer einigen von ihnen gegenüber bekundet hatte. Man müsse sich doch nur gemeinsam an einen Tisch setzen, so das Credo, dann würde sich schon eine Lösung für die angespannte Situation finden lassen. Doch die Versuche, die Protestierenden für sich einzunehmen, stießen auf taube Ohren, auch zum Bedauern von Florian Schmidt (B90/Grüne), Bezirksbaustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Im April hatte dieser eine „selbstverwaltete Dialogstruktur“ befürwortet, an der allerdings nur solche Aktivist/innen teilnehmen sollten, die einer gütlichen Einigung mit Google nicht im Wege stünden. Am Rande eines Podiums schlug der Baustadtrat zudem eine Art Sonderabgabe für Google und andere Unternehmen der Branche vor, um die Protestierenden zu beschwichtigen. Über einen Fonds solle die Abgabe in gemeinnützigen Wohnungsbau fließen. Unklar bleibt jedoch, welche Mittel es für den Bezirk gäbe, diese einzufordern.
Eine solche Befriedungspolitik spielt allerdings nur den Selbstbildern der Tech-Industrie in die Hände, für die das rebellische Kreuzberg ein Labor des hippen neuen Plattformkapitalismus darstellt. In dessen Logik ist „Diversity“ lediglich ein Mittel zur Wertsteigerung, während die soziale Realität in den Unternehmen anders aussieht. Den am Protest beteiligten Gruppen hat die Haltung von Senat und Bezirk hingegen einmal mehr bewiesen, dass für die Politik eine radikale Umkehr und ein Stopp der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsinteressen gar nicht denkbar ist. Im Gegenteil: Die Verteidigung der Kapitalinteressen ist Teil der Standortpolitik in der unternehmerischen Stadt und das gilt ganz besonders auch für Berlin. Deshalb wird Partizipation geheuchelt, wo Verdrängung durch Aufwertung und Mietsteigerung längst im Gang ist. Die Innenstadt nur für Gutverdienende – das kennt man bereits aus anderen Metropolen, und der aktuell rasant fortschreitende Umbau Kreuzbergs unter dem Stern der Tech-Ökonomie deutet in diese Richtung.

Befriedungsbemühungen des Senats

Die Proteste der letzten Wochen und Monate zeigen aber auch, dass eine „selbstverwaltete Dialogstruktur“ nicht auf die gönnerhafte Unterstützung durch die Senatspolitik angewiesen ist. Unterschiedliche Gruppen haben zu Protesten aufgerufen, sich ausgetauscht und zusammengearbeitet, um der Unternehmenspolitik von Google und den Befriedungsbemühungen vom Senat – zum Teil radikale – Kritik und Praxis entgegenzusetzen. Zu diesen Gruppen gehören die technikkritischen Anarchist/innen von „Google Campus Verhindern“, der „Counter Campus“ der kommunistischen Gruppe TOP B3rlin, das „Anti-Google-Café“ in der Bibliothek „Kalabal!k“ oder das Nachbarschaftsbündnis „No Google Campus“, das aus den Gruppen „Lause bleibt“, „GloReiche Nachbarschaft“ und „Bizim Kiez“ besteht. Diese unterschiedlichen Initiativen setzen anlässlich der geplanten Eröffnung des Google-Campus verschiedene Themenschwerpunkte: Mietsteigerung und Gentrifizierung, die neoliberale Start-up-Förderpolitik der Stadt Berlin, der sogenannte „technologische Angriff“ durch die Akteure der Digitalisierung, die Ideologie des Silicon Valleys und die Verdrängung von Kleingewerbe. In lesenswerten Broschüren mit Titeln wie „Do the right thing“, „Do the red thing“ und „Keine guten Nachbarn“ hat diese inhaltliche Auseinandersetzung Ausdruck gefunden.
Einen weiterer Baustein des Protests sind die kritischen Kiezspaziergänge, zu denen „Google Campus Verhindern“ und „Counter Campus“ eingeladen hatten. Nach einer Auftaktveranstaltung im Winter wurden Ende Juli erneut verschiedene Orte in Kreuzberg besucht, an denen die strukturellen Veränderungen im Kiez sichtbar werden. Dabei ist klar, dass die Probleme nicht erst beim Google-Campus anfangen. Bereits seit Jahren ist der verstärkte Zuzug von Unternehmen der Digital- und Medienwirtschaft in Kreuzberg 36 zu beobachten (MieterEcho Nr. 393/ Februar 2018). Der Bebauung des Spreeufers durch Medienunternehmen folgten die Factory am Görlitzer Park und der Umbau des Postgebäudes an der Skalitzer Straße durch Rocket Internet und anderen zu einem Co-Working-Space der Blockchain-Szene.
Im April hatten sich die Anti-Google-Gruppen an der „Mietenwahnsinn“-Demo beteiligt. Außerdem wurde während der Start-up-Messe „Heureka“ beim Auftritt von Rowan Barnett, der als Gesicht des eigens gegründeten „Google for Entrepreneurs Deutschland“ für den Aufbau eines „Start-up-Ökosystems“ in Berlin werben wollte, ein „No Working Space“ gefeiert. Mitte Juni zum Auftakt der Fußball-WM fand unter dem Motto „Kick Google aus dem Kiez“ direkt vor dem Umspannwerk eine Mischung aus Straßenfest und Kundgebung statt. Und in den Räumen des Theaters Hebbel am Ufer trafen sich Initiativen und Aktivist/innen, um unter dem Motto „Tschüss Google, das ist jetzt unser Campus!“ konkrete Utopien zu einer Nutzung des Umspannwerks zu entwickeln, die einer Stadtpolitik für alle entsprechen.

Image als nachbarschaftlicher Kapitalist

Zwar scheint der Protest gegen Google und Co im Kiez wie ein Kampf von David gegen Goliath. Allerdings könnte genau diese Strategie Wirkung zeigen. Denn bei Google ist man auf sein Image als freundlicher, nachbarschaftlicher Kapitalist bedacht. So betonten etwa Flyer, die bereits vor einigen Monaten in der Nachbarschaft verteilt wurden, dass man sich für die „Bedürfnisse der Nachbarschaft“ interessiere und Möglichkeiten digitaler Weiterbildung oder Veranstaltungsräume zu Verfügung stellen wolle. Dies bot Googles Pressesprecher Bremer auch den Hackerinnen des feministischen Kollektivs „Heart of Code“ an. Da Google sich gern mit der Förderung von Frauen in der Tech-Industrie schmückt, wäre die Einbindung der kritischen Programmierinnen in das Selbstmarketing nur logisch. Dieser Plan ging jedoch nicht auf, denn „Heart of Code“, die ihren eigenen Hackspace in Kreuzberg verwalten, lehnten das Angebot zum gemeinsamen Projektemachen mit Nachdruck ab. Die ablehnende Haltung vieler Nachbar/innen gegenüber dem Google-Campus ist im Kiez spürbar geworden und sie ist in der Lage, die neoliberale Weltverbesserungsidee des Konzerns Google empfindlich zu irritieren und zu stören. Diese Ablehnung will „No Google Campus“ grafisch umsetzen und dabei Google quasi mit den eigenen Mitteln schlagen. Auch auf der Website google-ist-kein-guter-nachbar.de können sich Anwohner/innen, Gewerbetreibende und andere in eine Online-Karte eintragen lassen, um ihren Protest zu bekunden. Transparente hängen bereits aus einigen Wohnhäusern und die im Kiez verteilten Plakate und Flyer mehren sich. Außerdem gab es in ganz Berlin Aktionen an Standorten der Tech-Ökonomie. Der Eröffnungstermin des Campus, der bislang von Google unter Verschluss gehalten wird, könnte ebenfalls Anlass zu weiteren Aktionen bieten.
Anders als die selbst organisierten Proteste von Initiativen und Anwohner/innen dienen sowohl die runden Tische des Senats und der Bezirke – an denen sich die asymmetrischen Machtverhältnisse nur wiederholen – als auch die freundlichen Anquatschversuche von Google der Beendigung der politischen Auseinandersetzung. Google und andere Tech-Riesen wollen sich als politische Akteure etablieren und können dabei auf die Unterstützung der Politik setzen. Das hat sich vielerorts auf der Welt gezeigt und auch schon seit Längerem in Berlin. Am 1. September wird eine erste große Demonstration gegen den Google-Campus stattfinden und den Auftakt zu einem Herbst der stadtpolitischen Bewegung setzen. Nicht nur kündigen sich Protestaktionen zu Horst Seehofers (CDU) „Wohngipfel“ an, auch gibt es einen erneuten Aufruf der #besetzen-Kampagne und der Konflikt um das räumungsbedrohte Hausprojekt Liebigstraße 34 spitzt sich ebenfalls zu. Aus einem heißen Sommer könnte also ein noch heißerer Herbst werden.

Das Thema „Google – Digitale Wirtschaft als Motor der Verdrängung“ war Titelthema im MieterEcho Nr. 393/ Februar 2018.

Weitere Informationen:
https://top-berlin.net
https://www.google-ist-kein-guter-nachbar.de
https://fuckoffgoogle.de
http://googlecampusverhindern.blogsport.de
https://kalabalik.blackblogs.org/anti-google-cafe
https://www.gloreiche.de
https://www.bizim-kiez.de


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